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Berufsbild des Lkw-Fahrers aufwerten Reinert hat nur noch Piloten

Reinert Logistics Renè Reinert Stephan Opel Foto: Reinert Logistics Renè Reinert Stephan Opel

Den Fachkräftemangel bekommt auch Reinert Logistics zu spüren. Daher will das Unternehmen, das seit September mit einer Doppelspitze arbeitet, seine Fahrer verstärkt in der Fläche und bei Kunden vor Ort einsetzen.

trans aktuell: Herr Reinert, Herr Opel, seit September gibt es eine Doppelspitze bei Reinert Logistics. Warum haben Sie sich dazu entschieden und wie haben Sie sich die Aufgaben aufgeteilt?

Opel: Das Wachstum des Unternehmens in der Vergangenheit war exorbitant, diese Größenordnung lässt sich von einer Person alleine nicht mehr führen. Wir sind die Aufgabenteilung im engen Schulterschluss angegangen. An strategischen Themen arbeiten wir beide, im operativen Bereich werden wir die Aufgaben aufteilen – Herr Reinert übernimmt etwa die Verantwortlichkeiten in Richtung Technik und IT, meine Aufgaben wenden sich in Richtung Vertrieb und Personal sowie kaufmännische Themen.
Reinert: Wir sind aber sozusagen noch in der Findungsphase.

Was sind die nächsten gemeinsamen Aufgaben?

Opel: Aktuell arbeiten wir daran, strategische Veränderungen im ganzen Unternehmen vorzunehmen – vom Fahrer bis zur Geschäftsführung. Dazu benötigen wir auf allen Ebenen sehr gutes Personal. Gleichzeitig beschäftigen wir uns mit Themen wie einer optimierten Transportplanung und einer weiteren Netzwerkausweitung. Wir wollen flächendeckend so präsent sein, dass wir dem Kunden eine Top-Performance anbieten und gleichzeitig im Bereich der Kostenführerschaft ganz vorne arbeiten können – und das alles bei sehr hoher Transparenz.

Rein national?

Reinert: Auf dem europäischen Markt haben die osteuropäischen Teilnehmer die Marktmacht. Wir sind der Ansicht, dass der deutsche Markt die größten Potenziale für uns bietet. Allerdings steigen auch die Anforderungen der Kunden, etwa bei den Lieferzeiten – Amazon macht es vor. Ich denke aber, dass wir eine gute Ausgangsbasis für Optimierungen und weiteres Wachstum haben. Der limitierende Faktor ist derzeit gutes Personal, da geht es uns nicht anders wie der gesamten Branche. Aber wir sind hier aktuell gut unterwegs.

Welche Strategie verfolgen Sie dabei?

Reinert: Wir haben ein eigenes Recruiting-Team in Deutschland, das bundesweit unterwegs ist, sowie ein Team in Polen, die für uns nach Kraftfahrern suchen. Und wir versuchen auch abseits der üblichen Wege, Mitarbeiter zu finden, etwa auch Frauen für den Fahrerberuf zu begeistern oder den Führerschein vorzufinanzieren. Am wichtigsten aber ist, die guten Mitarbeiter im Unternehmen zu halten. Hier arbeiten wir sehr stark an den Verbesserungen der Rahmenbedingungen Außerdem verfolgen wir das Ziel, das Berufsbild des Fahrers zu verbessern und es wieder attraktiver zu machen. Unsere Fahrer sind gut ausgebildet und haben ein umfangreiches Aufgabengebiet, das viel technisches Know-how voraussetzt. Deswegen gibt es seit 2016 bei Reinert nur noch Piloten.
Opel: Unsere Kunden befinden sich in ganz Deutschland, deshalb muss sich der klassische Fernverkehr ein Stück weit zu einem sogenannten Regionalkonzept verändern. Wir versuchen, unsere Fahrer in der Fläche beziehungsweise vor Ort zu platzieren – sei es beim Kunden oder in den jeweiligen Niederlassungen – und über diesen Weg die beschriebenen Regionalkonzepte zu implementieren. Damit ermöglichen wir unseren Fahrern eine verbindliche Planbarkeit, sowohl in Bezug auf seine Arbeitszeit als auch hinsichtlich ihrer „Hometime“.

Werden die Fahrer dabei nach dem Gehaltsniveau vor Ort bezahlt? Das ist etwa in Bayern deutlich anders als in Sachsen.

Opel: Ja, wobei die diversen Tarifstrukturen nicht mehr unbedingt maßgeblich sind – die Fahrer kommunizieren inzwischen ganz klar ihre Forderungen. Diesbezüglich muss man sich grundsätzlich auf die jeweiligen Marktgegebenheiten einstellen. Hinzu kommt, dass alle Fahrer feste Ansprechpartner haben, welche sich auch um persönliche Belange kümmern. Wir bilden etwa derzeit sogenannte Fahrer-Coaches aus, momentan an die 50, die als eine Art Tutoren für neue Fahrer fungieren.
Reinert: Eine attraktive Vergütung und ein gutes Bonussystem, mit der eine gute Leistung zusätzlich belohnt werden kann, ist das eine. Aber Geld ist nicht alles – wir müssen auch die Rahmenbedingungen ändern. Lange Standzeiten beim Be- oder Entladen an den Rampen oder das Fehlen von Toiletten beim Kunden gehen einfach nicht. Mit einem Leerfahrtanteil von fast 50 Prozent über die Branche hinweg wird außerdem viel der kostbaren Arbeitszeit unserer Fahrer verschenkt. Aber die Kunden haben das inzwischen auch bemerkt und sind dabei, das ändern zu wollen.

In der Vergangenheit hat das Unternehmen Reinert einen großen Anteil seiner Fahrer aus Ostdeutschland und Osteuropa rekrutiert, die deutschlandweit im Einsatz waren. Arbeiten Sie so auch im Rahmen des Regionalverkehrskonzeptes?

Opel: Das Verhältnis deutscher zu ausländischer Fahrer liegt bei uns bei 50 : 50 Prozent. Und jeder davon bevorzugt ein anderes Modell: Manche Fahrer wollen am Wochenende nach Hause, andere können zwei oder drei Wochen unterwegs sein. Daraus wird dann ein Fahrerstamm gebildet. Hier müssen wir enorm flexibel sein, weil, überspitzt gesagt, der deutsche Fahrer ausstirbt. Durch Schulungsprogramme, Sprachkurse und die Kommunikation über Tablets versuchen wir, diese Gewichtung aufzufangen.
Reinert: Unser Unternehmenssitz ist grenznah. Wir haben also schon immer mit Arbeitskräften aus dem Ausland gearbeitet – das ist doch auch die europäische Idee. Alleine aufgrund des Arbeitskräftemangels ist das gar nicht anders möglich. Allerdings ist auch unser Standpunkt, dass der Fahrer ein wichtiges Mitglied des Unternehmens ist, weshalb wir die Fahrer auch direkt bei uns beschäftigen – nur so haben wir als Unternehmen eine langfristige Perspektive.

Wie sehen Sie das Verbot der Wochenruhezeit im Lkw?

Opel: Das müssen wir natürlich darstellen, geht ja gar nicht anders – auch wenn wir sehen, dass es von vielen Marktbegleitern ignoriert wird, weil die Kontrollen nur sporadisch stattfinden. Wir haben etwa Pensionen oder auch Jugendherbergen, mit denen wir entsprechende Rahmenverträge abschließen. Wenn die Fahrer im Rahmen des Regionalkonzepts wochenweise vor Ort sind, kümmern wir uns natürlich um deren Unterbringung.

Werden die Fahrer auch regional disponiert?

Opel: Wir werden weiter eine zentrale Disposition in Schleife für die gesamte Fläche haben, aber disponieren auch in den Niederlassungen spezielle Verkehre. So können wir von Fall zu Fall entscheiden und uns vor allen Dingen auch den Kundenanforderungen deutlich besser stellen.
Reinert: Das Regionalkonzept ist zum einen eine Chance für die Mitarbeiter auf bessere Planbarkeit ihrer Arbeits- und Freizeit. Das Regionalkonzept ist aber auch vor dem Hintergrund der starken Schwankungen in vielen Branchen mit dem entsprechenden Volumen notwendig, wie der Baustoffindustrie oder in der Handelslogistik. Daher ist es sinnvoll, die Fahrzeuge auch vor Ort zu haben. Außerdem ist es kostengünstiger, weil die Fahrzeuge nicht aus anderen Regionen kommen und auf diese Weise unnötige Leerkilometer ziehen.

Was bedeutet das für die Flottenplanung?

Reinert: Für eine solche Vernetzung spielt eine einheitliche IT eine zentrale Rolle. Nur so kann eine Transportplanung gelingen, die auch mit Überhängen und den unterschiedlichen Warenströmen klarkommt. Dabei wollen wir verstärkt auch auf Modelle wie Begegnungsverkehr oder Fahrertausch setzen. Aber das Grundprinzip wird sein, den Fahrer vor Ort zu haben und die Fahrzeuge wenn möglich zweischichtig zu fahren. Dabei ist eine weitere Voraussetzung, dass der Fuhrpark eine gewisse Homogenität hat, um die verschiedensten Dinge miteinander zu verbinden.

Ist allein diese Industrialisierung der Schlüssel zum Glück im Transportbereich?

Opel: Die Zahl der Nischen, in denen man als Mittelständler bestehen kann, sterben aus, weil immer mehr Großkonzerne diese Nischen ebenfalls abzudecken versuchen. Gleichzeitig können Mittelständler mitunter nicht die entsprechende Sicherheit für die jeweiligen Volumina bieten, auch im Hinblick auf die Personalknappheit. Die Kunden wollen, dass der Dienstleister mit ihnen mitwachsen kann, auch hinsichtlich der Finanzierungsmöglichkeiten. Wir haben die dafür benötigte Größe am Markt.
Reinert: Die Industrialisierung ist der Weg – es dauert eben ein bisschen, bis man das erreicht. Daher versuchen wir, die operativen Themen in die digitale Richtung voranzutreiben, um unser eigenes Tempo zu erhöhen und den Aufwand zu reduzieren. Ein Beispiel dafür ist unsere App für die Palettenabwicklung oder unsere Schadens-App für die Abwicklung von Flottenschäden. Das hat die Hemmschwelle der Fahrer erhöht, Bagatellschäden in Kauf zu nehmen – weil die Informationen über einen Schaden durch die App ganz schnell bis zur Geschäftsleitung fließen. Aber auch die Schadenregulierung ist dadurch schneller geworden.
Opel: Alle Prozesse vom Papier in die digitale Form zu überführen, ist allerdings eine massive Herausforderung und bedeutet eine strukturelle Änderung für das gesamte Unternehmen – beispielsweise über die Faktura und die Finanzbuchhaltung bis zu den operativen Prozessen in der Disposition. Wir werden nur das machen, was für unsere Arbeit sinnvoll erscheint.

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