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Automobilindustrie im Wandel Das Cockpit der Zukunft

Conti Automtisches Fahren Cockpit Zukunft Foto: Continental 6 Bilder

Wenn Maschinen mehr Verantwortung übernehmen, dann müssen sie dabei sicher mit dem Menschen kommunizieren. Der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine fällt deswegen bei allen aktuellen Megatrends in der Automobilindustrie eine zentrale Rolle zu. Systemübergreifende, ganzheitliche Ansätze sind gefragt.

Die Automobilindustrie befindet sich im Umbruch: Neben der Elektrifizierung hat auch die Digitalisierung das Fahrzeug erfasst. In modernen Lkw und Bussen zeichnen etwa 170 Sensoren Daten auf, mehr als 90 elektronische Steuereinheiten verarbeiten sie und rund 150 Aktuatoren setzen sie in mechanische Bewegung um. Und natürlich verlangen nicht nur Pkw-Fahrer, sondern auch Lkw-Fahrer und Spediteure digitale Dienste, die das Fahren effizienter oder komfortabler machen. Gerade bei Nutzfahrzeugen spielen die Total Cost of Ownership (TCO) – also die Gesamtkosten für den Fahrzeugbesitzer – eine entscheidende Rolle. Schließlich eröffnen Fahrerassistenzsysteme neue Möglichkeiten, die Zahl der Unfälle weltweit zu reduzieren. Das wird voraussichtlich zu einer weiteren Automatisierung der Fahrzeuge führen, denn in 90 Prozent der Unfälle ist menschliches Versagen die Ursache.

Dabei spielt die Mensch- Maschine-Schnittstelle (MMS), oder im Englischen: das Human-Machine-Interface (HMI), eine wichtige Rolle für die Weiterentwicklung und auch für die Akzeptanz der oben genannten technologischen Entwicklungen. Ausgehend von der aktuellen Marktsituation betrachtet dieser Beitrag daher die Anforderungen und Lösungen für die nächste Fahrzeuggeneration von Trucks und Bussen. Im Ausblick werden MMS-Konzeptideen und Technologien für das automatisierte Fahren aufgezeigt.

Trends in der Instrumentierung: Die Größe zählt

Die Mensch-Maschine-Schnittstelle im Fahrzeug wird zunehmend von Trends im Endverbrauchermarkt dominiert. So wie Smartphones die mobilen Tastentelefone verdrängt haben und in Fernsehern immer größere Flachbildschirme zum Einsatz kommen, ziehen displaybasierte Lösungen und die mit ihnen verbundenen Interaktionsmöglichkeiten in das Fahrzeug ein. Damit einhergehend bedarf es Konzepte einer vom Fahrer intuitiv zu nutzenden und sicher zu kontrollierenden Mensch-Maschine-Schnittstelle, die die Fahrerablenkung minimiert, trotzdem aber eine Bedienung von mobilen Geräten zulässt. Daher ist die Entwicklung einer verständlichen, einfach zu nutzenden, erschwinglichen und sicheren Lösung die größte Herausforderung für Designer und Fahrzeughersteller.

In der Instrumentierung werden in Pkw zunehmend Hybridcluster mit Zeigerrundinstrumenten durch sogenannte frei programmierbare Kombiinstrumente (FPK) ersetzt. Als Quasistandard haben sich Farb-TFT-Displays in 12,3 Zoll Größe im Format 8 : 3 durchgesetzt. Eine Lösung, die auch auf Lkw übertragbar ist. Denn mit steigender Funktionsdichte in Lkw und Bus kommt es zu einer wachsenden Anzahl an Informationen, die dem Fahrer angezeigt werden sollen – unter Berücksichtigung seiner Fahrsituation, aber ohne ihn weiter abzulenken.

Ablenkung mit flexiblen Anzeigen und Bedienhilfen minimieren

Die in Lkw befindlichen Kombiinstrumente werden in der nächsten Fahrzeuggeneration immer mehr durch FPK ersetzt. Das FPK bietet die Möglichkeit, flexibel Informationen von Fahrzeug und seiner Umgebung, Assistenzfunktionen sowie sicherheitsrelevante Informationen bis hin zu Infotainment- und Kamerabildern anzuzeigen. Die in hoher Stückzahl für Pkw gefertigten Displays lassen sich für Nutzfahrzeuge zu günstigen Preisen verwenden. Aufgrund der unterschiedlichen Geometrien von Lkw zu Pkw sind auch größere Displays – etwa in Dimensionen von 14 Zoll und darüber – denkbar. Ein wesentlicher Vorteil der flexiblen Gestaltung der grafischen Benutzerschnittstelle: Es werden nur die, je nach Fahrmodus, besonders wichtigen Informationen angezeigt. Auch der Einsatz von Kamerasystemen, die das Geschehen rund um das Fahrzeug abbilden oder als digitaler Spiegelersatz dienen, erfordert passende Anzeigegeräte.

Darüber hinaus lassen sich beim Einsatz von FPK Kosten sparen, indem auf zusätzliche Monitore verzichtet werden kann. Denn die Anzahl an Displays nimmt weiter zu. Im zentralen Bereich des Dashboards werden Schalter zunehmend durch Touchflächen und Displays ersetzt, die vorerst weiterhin mit Drehstellern und Sprachsteuerungen kombiniert werden. Dieser multimodale Ansatz findet sich in vielen Pkw und zunehmend auch Lkw, weil der Fahrer auf diese Weise weniger als bei Einzelsystemen abgelenkt wird. Touchfunktionen können zudem haptisch mit taktiler Rückmeldung und multipler Fingererkennung ausgeführt werden. Konnektivität über mobile Geräte, Cloud-Server oder Social Media werden verbreitet vorhanden sein und vermutlich auch die Logistikprozesse beeinflussen.

Der holistische MMS-Ansatz macht den Unterschied

Die Mensch-Maschine-Schnittstelle der Zukunft ist allerdings nicht auf einzelne Produkte oder Lösungen begrenzt. Vielmehr ist sie ein systemübergreifender, ganzheitlicher Ansatz, um die im Zuge der Digitalisierung deutlich steigende Menge an Informationen zu kanalisieren. Hardware- und Softwarekomponenten werden sich künftig dynamisch an Präferenzen und Bedürfnisse des Fahrers sowie an Situation und Umgebung des Fahrzeugs anpassen. Das ultimative Ziel einer sogenannten holistischen MMS: das Fahren im Nutzfahrzeug sicherer und intuitiver zu machen. Dieser Ansatz wird heutige Fahrzeugarchitekturen beeinflussen und vormals getrennte Produkte verschmelzen lassen. Aus einem selbstständig arbeitenden FPK und einem im Mittelkonsolenbereich vorhandenen Infotainmentsystem lassen sich künftig von einer zentralen MMI-ECU (Head-Unit) als Recheneinheit mehrere Monitore oder Anzeigeflächen ansteuern. Kostenoptimierung ist weniger auf Modul- als vor allem auf Systemebene möglich. Ein niedrigeres Gewicht, ein Maximum an Gestaltungsfreiheit und Flexibilität bezüglich Funktionen und Zuordnungen sprechen für dieses Konzept.

Herausfordernd ist die Kombination strikt voneinander getrennter Partitionen in einer einzigen Head-Unit, um die entsprechenden Funktionen in FPK und Mittelkonsolendisplay abzubilden. In der Regel unterscheidet man dabei zwischen sicheren Partitionen, für sicherheitsrelevante Funktionen, zuverlässigen Partitionen, etwa für Geschwindigkeit, und offenen Partitionen, etwa für soziale Netzwerke. Die zugrunde liegende Softwarearchitektur basiert auf einem Hypervisor-Konzept. Es ermöglicht eine fahrerbezogene Personalisierung und eine flexible Informationsdarstellung über mehrere Monitore hinweg. Konnektivität, die Einbindung von mobilen Geräten, Telematikanwendungen, Daten von Fahrzeugaufbauten und Drittanbietern sowie Informationen von sicherheitsrelevanten Systemen wie dem Rechtsabbiegeassistenten können in dieser Lösung intelligent kombiniert und dargestellt werden.

Vier zentrale Anforderungen für die MMS der Zukunft

Eine Konzeptstudie von Continental formuliert aufgrund einer intensiven Befragung und Beobachtung von 21 Probanden – darunter Lkw-Fahrer, Nutzfahrzeughersteller und Flottenbetreiber – vier zentrale Anforderungen an die künftige MMS: Freude am Fahren, Beschäftigung des Fahrers in verschiedenen Situationen, um Unter- oder Überlastung zu vermeiden, zusätzlichen Fahrernutzen, vertrauensbildende Maßnahmen in neue Technologien für das automatisierte Fahren. Wesentlich ist dabei die Einteilung in drei unterschiedliche Zonen mit jeweils spezifischen Funktionen. Zunächst gibt es eine Zone in der Windschutzscheibe mit sämtlichen Informationen zum automatisierten Fahren. Die zweite Zone in Höhe des Lenkrades stellt die relevanten Fahrzeuginformationen dar – etwa Kameraanzeigen, Fahrzeugzustand sowie Diagnosedaten. Rechts davon gibt es eine Zone für Logistikdaten, in der der Fahrer beispielsweise während des automatisierten Fahrens Aufgaben erledigen kann.

Wie sich der Fahrer involvieren und informieren lässt, spielt für die Akzeptanz des automatisierten Fahrens eine wichtige Rolle: Gerade im Status "Automatisiert Fahren" muss der Fahrer die Zustände kennen und das Systemverhalten möglichst intuitiv verstehen. Die MMS als Schnittstelle zwischen Fahrer und Fahrzeug hilft also, das für die Akzeptanz des automatisierten Fahrens entscheidende Vertrauen in das Fahrzeug herzustellen. Mit Übernahme der Fahrtätigkeit durch Fahrzeugsysteme stellt sich die Frage, inwieweit der Lkw- oder Busfahrer fit und konzentriert sein muss oder wie er anderen sinnvollen Tätigkeiten nachgehen kann. Eine Möglichkeit: Die Sperrung oder Freischaltung von Funktionen je nach Fahrmodus – manuell oder automatisiert – kann dabei helfen, Zeit im Fahrzeug sinnvoll zu nutzen. Denkbar sind etwa die Erledigung von logistischen Tätigkeiten, der Tagesplanung, von Dokumentationen und die Übernahme von Büroarbeiten wie zum Beispiel Lieferscheine zu erstellen oder eine Abrechnung vorzubereiten.

Automobile Welt befindet sich in Transformation

Das automatisierte Fahren und neue Aufgaben für den Fahrer erfordern neue Anzeigeflächen, zum Beispiel virtuelle Displays in der Frontscheibe. Head-up-Displays und OLED-Folien (Folien organischer Leuchtdioden) sind erste Schritte in diese Richtung. Damit erscheinen Informationen im primären Sichtfeld des Fahrers. Besonders Informationen zum automatisierten Fahren sind hier optimal platziert, da der Fahrer sie sofort in Zusammenhang mit der Umfeldsituation erkennen kann. Diese können um Signale eines LED-Leuchtstreifens am unteren oder oberen Rand der Windschutzscheiben ergänzt werden – beispielsweise, um eine bevorstehende Übergabe per Countdown einzuleiten. All das ist ein erster Schritt in Richtung der Vision, die gesamte Windschutzscheibe als Display zu nutzen.

Die automobile Welt befindet sich in einer Phase der Transformation. Digitalisierung und Vernetzung spielen eine immer größere Rolle. Großflächige Anzeigeeinheiten, virtuelle Darstellungen, neue Bedienkonzepte und das automatisierte Fahren führen zu neuen Konzepten und Systemlösungen – immer mit dem Ziel, dem Menschen die Fahraufgabe zu erleichtern oder teilweise und in Zukunft vielleicht ganz abzunehmen. Entscheidend für die Akzeptanz auf Seiten der Fahrer wird, neben der Transparenz des Systems, auch sein, wie vorhersehbar das System reagiert. Die holistische Mensch-Maschine-Schnittstelle im Nutzfahrzeug der Zukunft ist ein wesentlicher Schritt in diese Richtung.

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