Alfa Romeo Designschmiede blickt auf Lastervergangenheit

Alfa Romeo, Autotransporter Foto: Alfa Romeo Automobilismo Storico 12 Bilder

Schwere Lastwagen, Transporter, Omnibusse und sogar Obusse – die klangvolle Automarke Alfa Romeo hat eine reiche Nutzfahrzeuggeschichte.

Sie ist ruhmreich, aber heftig gebeutelt. Mit großer Vergangenheit und ungewisser Zukunft. Manche halten sie längst für tot, andere für unsterblich. Die klangvolle Automarke Alfa Romeo erfüllt alle Voraussetzungen für Drama oder große italienische Oper.

Schmuckstücke auch fürs Lastengeschäft

Hinter dem Scudetto, dem schildförmigen Kühlergrill, verbergen sich Autos aus dem Delikatessengeschäft, obwohl die Ware manchmal verdorben und das Haltbarkeitsdatum schnell überschritten war. In der Weltwirtschaftskrise um 1930 fängt der italienische Staat die taumelnde Marke auf. Die Regierung forciert Industrialisierung, Motorisierung und den Nutzfahrzeugbau. Alfa Romeo ist als Staatsunternehmen dabei.

Ab 1930 wachsen in Mailand Lkw und Omnibusfahrgestelle heran. Sie haben deutsche Ahnen: Die Dieselmotoren gehen auf eine Lizenz von Deutz zurück, die Lkw auf Büssing-NAG. Die kantigen Fahrerhäuser gelten freilich als grobes teutonisches Design, italienische Karossiers fertigen elegante, individuelle Kabinen.

Die ersten Lkw von Alfa Romeo tragen die schlichten Bezeichnungen "40", "50" und "80", ihre Motoren leisten aus 10,6 und 11,5 Liter Hubraum 90 und 110 Pferdestärken. Mit etwa drei bis sechs Tonnen Nutzlast handelt es sich um mittlere bis schwere Kaliber.

Alfa baut erste eigene Modelle

Bald tauchen Rechtslenker im Programm auf, sie erleichtern auf den bergigen Straßen Italiens das Fahren am Straßenrand, sind in Italien bis Anfang der siebziger Jahre erlaubt. Gleichzeitig nabelt sich Alfa Romeo von Büssing ab, entwickelt mit "85" und "110" eigene Modelle. Die Kühlermaske trägt ein V-förmiges Design. Man experimentiert mit Gasantrieben, entwickelt rustikale Ausführungen für Militär und afrikanische Kolonialgebiete, feinere für Omnibusse und Dreiachser. Der größere Deutz-Diesel leistet inzwischen 120 PS.

In der zweiten Hälfte der Dreißiger baut Alfa Romeo sein Programm aus. Die Modelle "350" und "500" tragen drei bis vier Tonnen. Ihr Sechszylinder von Deutz bringt es auf 75 PS.

Alfa Romeo entwickelt jetzt eigene Dieselmotoren. Zunächst als Industriemotoren, dann für die neue Doppelbaureihe 430 und 800. Das Unternehmen setzt auf Frontlenker, sie sehen pausbäckig aus, eigenwillig ist die geteilte Scheibe mit seitlich heruntergezogenen Fenstern. Die Türen sind hinten angeschlagen. Geplant mit klassischem Kühlergrill, baut Alfa Romeo nun ein grobes Schutzgitter mit drei kräftigen Querrippen vor den offenen Kühler. Typisch Militär, die neuen Lkw starten Anfang der vierziger Jahre in kriegerischen Zeiten.

Diesel aus dem Baukasten

Beim 430 mit 2,9 Tonnen Nutzlast setzt Alfa Romeo auf eine Vorderachse mit Einzelradaufhängung. Der 800 mit sieben Tonnen Nutzlast fährt mit starrer Achse. Die Dieselmotoren entstammen einem Baukasten: ein Vierzylinder mit 5,8 Liter Hubraum und 80 PS, dazu der Sechszylinder mit 8,7 Liter und 115 PS. Beide Modelle laufen mit angehobener Nutzlast auch in der Nachkriegszeit vom Band. Doch wechseln die Nutzfahrzeuge vom Stammwerk Portello in Mailand nach Pomigliano d’Arco bei Neapel. Hier baut Alfa Romeo bereits Flugtriebwerke.

Um 1950 hat Alfa Romeo wieder Luft für Weiterentwicklungen. Die bauchige Kabine bleibt nahezu unverändert, der Grill wird integriert, trägt fünf kräftige Querstreben. Wem dies zu rustikal aussieht, der greift bei Sonderausführungen zum feingliedrigeren Omnibus-Grill mit aufgesetztem Scudetto. Die Ingenieure feilen an Radständen und Varianten, entwickeln einen Dreiachser. Der Hubraum der Motoren klettert, mit ihm die Leistung auf 90 und 130 PS. Mit einer Nutzlast von rund 4,5 Tonnen heißt das leichtere Modell nun 450 und bald 455, der 800 steigt nun mit mehr als acht Tonnen zum 900 und 950 auf.

Mit dem Mille kommt die Sportlichkeit

Jedoch ist mit der Kabine bald kein Staat mehr zu machen. Alfa Romeo reagiert mit einer Neukonstruktion, dem "Mille". Er geht 1958 in Produktion und besticht durch moderne und schnittige Optik. Klare Linien, große Fenster, längere Kabine mit Zusatz-Seitenfenster, eine sportlich schräge Frontscheibe, ein moderner Grill im Stil des Transporters Romeo mit aufgesetztem Scudetto – der Mille ist attraktiv. Einzig die geteilte Frontscheibe und die hinten angeschlagenen Türen kann man ihm ankreiden. Mit Servolenkung, druckluftunterstützter Kupplung und synchronisiertem ZF-Splitgetriebe profitiert der Fahrer von ungewohnt viel Komfort.

Der Elf-Liter-Motor leistet 163 PS, bald 174 PS. Für spezielle Anwendungen wie Autotransporter mit flachem Fahrerhaus gibt es den Mille mit liegendem Motor. Doch gegen Fiat und die damals erfolgreiche Lkw-Marke Lancia kann sich Alfa Romeo nicht behaupten. 1964 läuft der letzte Alfa Romeo Mille vom Band.

Damit ist die Nutzfahrzeug-Ära von Alfa Romeo nicht beendet. Mitte der fünfziger Jahre hatte der Staatskonzern Renault französische Nutzfahrzeugmarken unter der Überschrift "Saviem" zusammengeführt. Die leichten Saviem-Lkw machen Karriere: Sie laufen in Deutschland als MAN, in tschechischer Lizenzfertigung als Avia – und von 1967 bis 1974 als Alfa Romeo.

In den 1970ern endet die Geschichte

Während die Geschichte der schweren Brocken von Alfa Romeo in Europa ausläuft, geht sie in Südamerika weiter. Die brasilianische Marke FNM fertigt seit 1953 Lkw nach Lizenz von Alfa Romeo. 1968 übernimmt Alfa Romeo die Mehrheit, mit Werkzeugen aus der italienischen Fabrikation entsteht der Mille als FNM 180 und 210 neu. In den siebziger Jahren geht FNM in Fiat auf. Noch einige Jahre laufen Mille-Kabinen unter dem neuen Markenzeichen. Dann fällt mit Verzögerung schließlich der Vorhang für die Lkw von Alfa Romeo – die große Oper ist endgültig beendet.

Bewegte Geschichte: Alfa Romeo

Der französische Automobilpionier Alexandre Darracq errichtet 1906 ein Automobilwerk in Mailand. Die Italiener jedoch kaufen lieber heimische Marken. 1910 übernehmen lombardische Geschäftsleute das Werk. Sie gründen die Gesellschaft "Anonima Lombarda ­Fabbrica Automobili", kurz A.L.F.A. 1915 endet die Marke im Konkurs. Unter Ingenieur Nicola Romeo geht es weiter, ab 1920 mit dem klangvollen Namen Alfa Romeo.

Um 1930 wird Alfa Romeo in der Weltwirtschaftskrise vom Staat übernommen. Die teure Rennsportabteilung der Marke geht an den ehemaligen Fahrer Enzo Ferrari – Grundstock seiner späteren Sportwagenmarke. Alfa Romeo erwirbt sich in den kommenden Jahrzehnten einen herausragenden Ruf für sportliche Autos, den in den siebziger Jahren der kompakte Fronttriebler Alfasud ruiniert: Fortwährende Streiks im süditalienischen Werk und miserable Qualität rücken Alfa ­Romeo ins Abseits.

Bevor Ford Mitte der achtziger Jahre die Marke übernehmen kann, greift Fiat 1986 zu. Die Folgen sind nicht unumstritten: Heute hat Alfa Romeo kein eigenes Werk, das Programm ist knapp, die Autos ­basieren auf Fiat-Plattformen. Am Rande des seit zehn Jahren stillgelegten Werks Arese nahe Mailand ist die ruhmreiche Vergangenheit im faszinierenden Werksmuseum zu betrachten. Offiziell geschlossen, warten dort rund 100 automobile Preziosen auf Besucher.

Alfa Romeo für alle

Ein Alfa Romeo mit 50 oder 100 Plätzen? Das war noch in den sechziger Jahren in Italien Alltag, auch in Uruguay, Schweden, Griechenland und während des Zweiten Weltkriegs sogar in deutschen Städten. Von den Dreißigern bis Mitte der sechziger Jahre fertigte Alfa Romeo eine Vielzahl von Omnibus-Fahrgestellen, aufgebaut von seinerzeit namhaften Fabrikaten wie Macchi, Menarini, Orlandi, Reggiane, Sicca oder Varesina.
Basis waren zunächst Lkw-Fahrgestelle, auch mit abgesenktem Rahmen, doch Anfang der fünfziger Jahre entwickelte Alfa Romeo ebenfalls moderne Omnibus-Fahrgestelle mit quer eingebautem Heckmotor, später mit liegendem Mittelmotor. Die Karossiers entwickelten darauf faszinierende Aufbauten, mal mit langer Haube, mal als Trambus in Stromlinienform.

Zu den Spezialitäten von Alfa Romeo zählten über viele Jahre Obus-Fahrgestelle, die Filobusse. Typisch waren in den vierziger Jahren dreiachsige Fahrgestelle mit mittigem Fahrerplatz in separater Kabine. Derlei Busse waren in Berlin, Esslingen, Kiel und Mainz im Einsatz.

Der Ideenreichtum der Entwickler von Alfa Romeo war beeindruckend: Zeichnungen von 1939 zeigen  einen vierachsigen Solo-Obus, ein Jahr später entstanden detaillierte Entwürfe für Obus-Gelenkzüge mit fünf Achsen. Bereits 1946 wurde er als Gelenkbus mit zwei gelenkten Achsen im Nachläufer Wirklichkeit. Fahrgestelle von Alfa Romeo bildeten ebenfalls die Grundlage für Anhängerbusse von Macchi. Deren Fahrgastraum war bei einigen Modellen über einen Faltenbalg mit dem Zugwagen verbunden. Alfa Romeo lieferte ebenfalls die Basis von Doppeldecker-Obussen für Südafrika. Insgesamt fertigte Alfa Romeo zwischen 1940 und 1965 rund 4.500 Omnibusse. Darunter sind in den Statistiken von Mitte der fünfziger bis Mitte der sechziger Jahre rund 1.500 Obusse verzeichnet.

Romeo: feine Technik im Transporter

In den fünfziger Jahren gehört die sportliche Marke Alfa Romeo zu den Transporter-Pionieren. 1954 erblickt der "Romeo" das Licht, auch Autotutto genannt, übersetzt: „ein Auto für alles“. Gebaut wird der schmucke Frontlenker-Lieferwagen im Werk ­Pomigliano d’Arco bei Neapel. Unter der einteiligen Windschutzscheibe prangt auf dem großen Kühlergrill der Scudetto. Der Motor steckt vorn in der Kabine, eine seinerzeit geschätzte Konstruktion. Eher unüblich – erst recht für einen klassischen Alfa Romeo – ist der Frontantrieb. Mit 4,35 Meter Länge und 2,4 Tonnen ist der Romeo kompakt.
Bei den Motoren des Transporters handelt es sich um technische Leckerbissen: Der Benziner stammt aus der Giulietta, ein 1,3-Liter aus Aluminium mit zwei oben liegenden Nockenwellen und 37 PS. Damals sehr exotisch ist ein Diesel im Transporter. Dies gilt erst recht für diesen Zweizylinder mit 1,2 Liter Hubraum und 22 kW (30 PS). Der ungewöhnliche Motor ist per Kompressor aufgeladen, seine Konstruktion stammt vom jungen österreichischen Ingenieurbüro List.

Ein gründliches Facelift frischt 1966 den Transporter auf. Er geht jetzt als F11/F12 sowie als Fahrgestell A11/A12 an den Start. Die Motorleistung des Benziners beträgt nun 44 kW (60 PS), ein Perkins-Diesel mit 1,8 Liter Hubraum folgt. Die spanische Marke Fadisa, später Ebro, heute Nissan, baut Romeo und Kollegen lange in Lizenz. Große Stückzahlen erreichen die Transporter von Alfa Romeo nie, um die 2.000 bis 3.000 sind es pro Jahr. Käufer sind traditionell italienische Behörden – Alfa Romeo ist schließlich Staatsunternehmen.

Für diese Kundschaft muss kein eigenes Modell her: Es folgt der Schwenk zum Alfa ­Romeo AR6, Anfang der achtziger Jahre der seinerzeit neue Fiat Ducato mit Scudetto. Die Operation hat ein Vorbild: Mit diesem Dreh hat Alfa Romeo schon Ende der Siebziger den AR8 ins Programm geholt, ein abgewandelter Daily. AR6 und AR8 laufen bis Mitte der achtziger Jahre, dann versinken sie ersatzlos im Fiat-Konzern.

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