Abbiegeunfälle Ungeahnte Gefahr

Foto: Daimler

Abbiegeunfälle passieren im Straßenverkehr immer noch viel zu oft. Fahrzeugbauer und Speditionen wollen Abhilfe schaffen.

Eine 82-Jährige will eine Straße überqueren, als ein Lastwagenfahrer sie beim Linksabbiegen übersieht. Die Seniorin wird von der Zugmaschine vorne links erfasst und anschließend vom Hinterrad des Lkw überrollt. Sie ist sofort tot. So geschehen kürzlich in Münsingen auf der Schwäbischen Alb. Vermutlich hat der Fahrer die Rentnerin mit Rollator übersehen, weil sie sich im Toten Winkel befand. Gerade im Stadtverkehr kommt es oft zu solch gefährlichen Situationen.

Daimler-Abbiegeassistent geht bald in Serienproduktion

Um Unfälle wie in Münsingen zu vermeiden, hat der Fahrzeugbauer Daimler einen Abbiegeassistenten entwickelt. In absehbarer Zeit soll er in Serienproduktion gehen – bis dato musste sich das System umfangreichen Tests unterziehen. Erstmals präsentiert wurde der Abbiegeassistent auf der IAA Nutzfahrzeuge 2014. Eine Radarsensorik auf der Beifahrerseite vor der Hinterachse des Lkw überwacht den gesamten Seitenbereich. Das System hat die komplette Länge eines Fahrzeugs im Blick und warnt vor anderen Verkehrsteilnehmern – aber auch vor Kollisionen mit Laternen und Co. Auch MAN treibt das Thema voran. Bereits 2007 hat das Unternehmen vom ADAC in Bayern einen Preis für die Entwicklung eines Abbiegeassistenten bekommen. "Damit das System zum Beispiel nicht auf falsche Gegenstände reagiert, bedarf es weiterer Verbesserungen", erklärt Sprecher Stefan Klatt die ausbleibende Serienreife. Kamerasysteme mit Rundumüberwachung sind zwar schon auf dem Markt, gehören bei Fahrzeugen aber noch längst nicht zur Grundausstattung.

25 Osnabrücker Unternehmen haben sich zusammengeschlossen

Es gibt jedoch nicht nur technische Möglichkeiten, um der Abbiegeunfälle Herr zu werden. In Osnabrück haben sich im März Unternehmen – vorwiegend aus der Logistikbranche – zusammengeschlossen, um die Straßen sicherer zu machen. Einige schwere Unfälle in der Region Osnabrück haben Speditionen wie Hellmann, Meyer & Meyer und Serrahn auf den Plan gerufen. Mittlerweile sind 25 Firmen beteiligt. Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Osnabrück-Emsland-Grafschaft Bentheim, der Gesamtverband Verkehrsgewerbe Niedersachsen (GVN) und das Kompetenznetz Individuallogistik (KNI) koordinieren das Projekt. "Seit dem Zusammenschluss im März ist schon einiges passiert", erklärt Ulrich Hoefner, GVN-Geschäftsführer der Bezirksgruppe Osnabrück-Emsland.

Derzeit hängen acht große Plakate in der Region aus, die vor dem Toten Winkel warnen. "Im Mai haben wir der Stadt Osnabrück 70 Konvexspiegel zur Verfügung gestellt", erklärt Hoefner. "Eine Aktion im gesamten Emsgebiet steht auch auf der Agenda", sagt der GVN-Mann. Der Tag der Logistik am 5. September stehe dort ebenfalls im Zeichen der Sicherheit. Live-Präsentationen des Daimler-Abbiegeassistenten und des Kamera-Monitor-Systems von Continental sind geplant.

Radfahrer müssen sich der Gefahr bewusst sein

"Beim Thema Abbiegeunfälle ist Eigeninitiative gefordert", erklärt Thomas Bräuer von der Spedition Martin Berghegger in Bramsche die Beweggründe der Firma, am Zusammenschluss mitzuwirken. In seiner Funktion als Fuhrparkleiter hat er auch die Rolle der Fahrer im Blick. "Zwei- bis dreimal im Jahr bieten wir Schulungen an, bei denen Abbiegeunfälle eine Rolle spielen", erklärt er. Bräuer will ein größeres Bewusstsein für das Thema schaffen. Das menschliche Leid sei tragisch. "Doch auch der Unfallverursacher leidet oft ein Leben lang unter den psychischen Folgen", sagt Bräuer. Ein Fahrer von Berghegger sei zum Glück noch nicht in einen Abbiegeunfall verwickelt gewesen.
Logisch ist: Bei Unglücken dieser Art haben Radfahrer oder Fußgänger keine Chance. Das Risiko bei einem Lkw-Unfall zu sterben, ist für die anderen Beteiligten viermal so hoch wie für die Lastwagenfahrer. "Trotzdem darf Lkw-Fahrern nicht immer gleich der Schwarze Peter zugeschoben werden", erklärt Reinhard Buchsdrücker, Dekra-Experte für Fahrertraining. "Immer wieder höre ich den Spruch: Der Fahrer hat nicht aufgepasst", sagt er. Doch das stimme in den wenigsten Fällen, meistens befinden sich die Unfallopfer im Toten Winkel. "Diese Gefahr müssen sich Radfahrer mehr bewusst machen", erklärt der Experte. "Vielen sind die Sichteinschränkungen der Lkw-Fahrer nicht bekannt." Darum findet Buchsdrücker Aufkleber wichtig, die am Heck der Lkw angebracht sind und vor der Gefahr warnen.

Den Toten Winkel auf ein Minimum reduzieren

Eine andere einfache aber wirksame Methode: Die Schablone zur korrekten Einstellung der Seitenspiegel. Auf den Boden gemalt, hilft sie, die Spiegel optimal zu justieren. "Das A und O ist die richtige Spiegel-Einstellung", erklärt Buchsdrücker. "Der Tote Winkel verschwindet mit dieser Methode nicht – man kann ihn aber auf ein absolutes Minimum reduzieren." Die Gefahr des Toten Winkels komplett beseitigen – das geht nur mithilfe von Assistenzsystemen. Der Dekra-Mitarbeiter bedauert, dass sich die Markteinführung hinzieht. "Die Mehrheit der Fahrer würde das System gerne verwenden." Denn dann könnten Abbiegeunfälle endlich der Vergangenheit angehören.



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