Nach einem Abbiegeunfall wird das Verhalten von Fahrer und Fahrzeughalter geprüft. Rechtsanwalt Tom Petrick informiert beim trans aktuell-Expertengespräch über die Haftungsfrage.
Wer in einem Abbiegeunfall verwickelt ist, fällt zunächst in ein tiefes Loch. Auch weil bei Personenschäden im Zuge eines Strafverfahrens gegen ihn ermittelt wird. Wie Rechtsanwalt Tom Petrick von der Kanzlei FELS aus Bayreuth bei dem Expertengespräch von trans aktuell zum Thema Abbiegeunfälle berichtete, leitete etwa bei einem aktuellen Fall aus Berlin die Staatsanwaltschaft gegen den Fahrer ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung ein. Doch nicht nur gegen ihn, sondern auch gegen den Fuhrparkleiter und den Geschäftsführer – denn es geht um die Frage der Haftung.
Im vorliegenden Fall war eine 32-jährige Radfahrerin durch einen rechts abbiegenden Lkw tödlich verletzt worden. Der Fahrer hatte zwar in den Spiegel geschaut, der war allerdings nicht richtig eingestellt, sodass es bis zwei Meter vom Fahrzeug weg einen deutlichen toten Winkel vom rechten Frontbereich bis hin zur Auflieger-Kante gab.
Der Staatsanwaltschaft stehen in so einem Fall reichlich Gesetze zur Verfügung, etwa in der Frage der Haftung des Fahrers: § 9 StVO zur Vorfahrtsregelung oder § 56 Abs. 1 StVZO zum Fahrzeugspiegel. "Es gibt jede Menge Rechtsprechung", sagte der Fachanwalt für Verkehrsrecht, "aber es gibt keine Entschuldigung zu fahren, wenn man nichts sieht." Eine Vorfahrtsverletzung unter Verstoß gegen das Sichtbargebot falle somit unter Umständen unter § 222 StGB zur fahrlässigen Tötung – das kann übrigens auch für den aufgeklappten Laptop oder die Kaffeemaschine auf der Beifahrerseite gelten, die den Blick auf die Spiegel versperren.
Bei fahrlässiger Tötung wird die Fahrerlaubnis entzogen
Wird ein Fahrer wegen einer fahrlässigen Tötung verurteilt, wird ihm meist nach § 69 StGB die Fahrerlaubnis entzogen – ein zusätzliches Desaster für den Fahrer und auch für das Unternehmen. "Im Feuer stehen aber auch der Vorstand oder der Geschäftsführer, oder wer eben als Halter des Fahrzeugs gilt", sagte Petrick. Sie müssen Sorge tragen, das keine Verkehrswidrigkeiten begannen werden. Ihre Pflichten hinsichtlich Fahrer, Fahrzeug, Ladung und Verkehrssicherheit sind umfassend definiert, etwa in § 31 Abs. 2 StVZO und in § 130 OWiG.
Dabei kann der Unternehmensinhaber seine Pflichten als Fahrzeughalter auch delegieren, etwa an einen Fuhrparkleiter. Laut Petrick ist aber unerlässlich, dass die ausdrückliche Übertragung der Halterpflichten in die eigene Verantwortung des Beauftragten erfolgt, ebenso wie die klare Umgrenzung der Aufgaben. "Wir haben festgestellt, dass bei Oberlandes- und Kammergerichten eine simple Delegation oft nicht anerkannt wird", berichtet Petrick."Deswegen sind auch hier regelmäßige Kontrollen notwendig."
Falsch eingestellte Spiegel können auch Verantwortung des Halters sein
Im Fall des Abbiegeunfalls in Berlin war die Staatsanwaltschaft der Meinung, dass die falsch eingestellten Spiegel nicht nur Verantwortung des Fahrers, sondern auch des Halters sind. „Der Zustand des Fahrzeugs sei nicht vorschriftsmäßig, da die Spiegel falsch eingestellt. Fahrzeuge mit totem Winkel seien nicht konform zur StVZO“, sagt Petrick.
Der Halter haftet neben dem Fahrer. Das Gericht prüft dann, ob der Halter oder sein offiziell benannter Stellvertreter ein geeignetes System für die Spiegeleinstellung installiert hatten: die Anweisung der Fahrer zur richtigen Einstellung, das Bereitstellen von Ressourcen wie einen Spiegeleinstellplatz auf dem Betriebshof und die regelmäßige Überwachung (siehe Kasten zu Pflichten des Fahrzeughalters).
Bei dem Unfall in Berlin fand das Gericht aber keinen Ansatz für die Haftung des Halters: Die Spiegeleinstellung war Thema im Fahrerhandbuch, zudem konnte das Unternehmen regelmäßige Schulungen durch eine gute Dokumentation nachweisen.
Pflichten des Fahrzeughalters
Checkliste für den Fahrzeughalter in Bezug auf Abbiegeunfälle
- Instruktionen zur richtigen Nutzung des Spiegels
- konkrete Weisungen
- Fahrertraining/-schulung mit Schwerpunkt Spiegeleinstellung
- Dokumentation mit namentlichem Beteiligungsnachweis
- Anweisung im Fahrerhandbuch
- regelmäßige und überraschende Stichprobenkontrollen
- Zur Verfügung stellen von notwendigen Hilfsmitteln und Anweisung zu deren Benutzung
- sorgfältige Auswahl des Fahrers