Warum Sparen 2026 Lieferketten gefährdet

Effizienz als Risiko für die Logistik
Warum Sparen 2026 Lieferketten gefährdet

Viele Logistiker sparen unter dem Etikett „Effizienz“ an den falschen Stellen – und riskieren damit die Stabilität ihrer Lieferketten. Der Trends Report 2026 zeigt, warum Resilienz jetzt wichtiger wird als Kostendruck.

Alpega Trends Report 2026
Foto: Alpega

Effizienz war jahrzehntelang das höchste Gut der Logistik. Doch 2026 wird sichtbar, dass der alte Glaubenssatz gefährlich geworden ist: Viele Unternehmen sparen sich in Wirklichkeit kaputt – und verkaufen das als Effizienz. Während Lieferketten weiter digitalisiert werden, bleiben sie gleichzeitig fragil. Die Branche weiß, was nötig wäre, aber handelt zu langsam. Das zeigt der „Trends Report 2026 – Designing for Disruption“ des Logistik-Softwareunternehmens Alpega Group deutlich.

Effizienz als Selbstzweck – und als Risiko

„Supply Chains wurden über Jahre auf maximale Kosteneffizienz getrimmt“, heißt es im Bericht. Die Folge: fehlende Redundanzen, geringere Fehlertoleranz, überlastete Systeme. Die Experten warnen, dass viele Unternehmen Effizienz mit Sparen verwechseln – und damit ihre Widerstandsfähigkeit systematisch schwächen. Johan Vagerstam, Chief Operating Officer vom Transportemissionen-Berechner Proxio Systems, fasst das Dilemma so zusammen: „Wir haben Prozesse perfektioniert, aber wir haben sie nicht widerstandsfähig gemacht.“ Der Bericht zeigt: Zwar sehen 78 Prozent der Unternehmen in Resilienz ein Top-Ziel – aber nur 42 Prozent investieren tatsächlich in langfristige Stabilität. Der Rest optimiert weiter auf Kosten.

Die Illusion der Transparenz: Daten überall, Erkenntnisse nirgendwo

Transparenz ist das Lieblingswort der Branche. Doch der Report hält fest: „Transparenz ist nur der erste Schritt. Ohne aktives Supply-Chain-Design bleibt sie wirkungslos.“ Viele Unternehmen wissen zwar, wo Risiken liegen, aber sie bauen keine strukturierten Reaktionsmechanismen auf. Im Kern: Sie schauen zu, statt umzubauen. Jonas Goldenstein vom 4PL-Logistikkdienstleister 4flow sagt: „Traditionell haben wir mit der Kostenoptimierung begonnen und anschließend die Arbeitskräfteverfügbarkeit überprüft. Dieser Ansatz funktioniert heute nicht mehr. Jetzt integrieren wir Arbeitskräfteverfügbarkeit und Automatisierungsfähigkeit von Anfang an in unsere Optimierungsmodelle.“ Doch genau dieses langfristige Denken wird häufig als „zu teuer“ abgetan. Sparen schlägt Strategie.

Arbeitskräftemangel: Automatisierung ja – aber bitte billig

Die Branche verliert Fachkräfte schneller, als sie sie nachbesetzen kann. Trotzdem betrachten viele Unternehmen Automatisierung primär als Kostensenkungsinstrument – und nicht als notwendige strukturelle Modernisierung. Der Report betont: „Arbeitskräftemangel ist kein temporäres Problem, sondern ein Systemrisiko.“ Und er fordert ein Umdenken: Robotik, KI-gestützte Planung und digitale Assistenzsysteme müssen Teil der Kernprozesse werden. Nicht, um Personal zu sparen – sondern um Lieferketten funktionsfähig zu halten.

KI als Feigenblatt

Auch beim Thema Künstliche Intelligenz ist die Kluft zwischen Anspruch und Realität enorm. Während 70 Prozent der Unternehmen auf KI hoffen, setzen nur 22 Prozent sie überhaupt produktiv ein. Wolfgang Wörner, Vice President of Emerging Business Models beim KI-Spezialisten Prewave, spricht Klartext: „Viele reden über KI – aber ihnen fehlt die Datenbasis. Ohne klare Prozesse bleibt KI ein Feigenblatt.“ Ein typisches Muster: Unternehmen implementieren isolierte Tools, statt ihre Datenarchitektur zu modernisieren. Das Ergebnis: digitale Punktlösungen, aber keine echte Systemintelligenz.

Dekarbonisierung: Pflichtaufgabe ohne Priorität

Zwar wächst der regulatorische Druck, Emissionen sichtbar zu machen und zu senken. Doch laut Report fehlt es weiterhin an standardisierten Datenflüssen und interoperablen Systemen entlang der Lieferkette. Doch wer Nachhaltigkeit manuell organisiert, hat schon verloren. Datenstandards entscheiden über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Doch viele Unternehmen sparen genau an diesen Grundlagen – und riskieren, gesetzliche Vorgaben künftig nicht erfüllen zu können.

Die gefährliche Lücke zwischen Wissen und Handeln

Die alarmierendste Erkenntnis des Berichts ist die „Readiness Gap“: Unternehmen wissen, wie verwundbar ihre Lieferketten sind – aber setzen kaum Maßnahmen um. 80 % der Firmen sehen Disruption als strategisches Risiko, aber nur 36 % investieren in entsprechende Fähigkeiten. Der Report formuliert es drastisch: „Die Branche ist nicht an fehlendem Wissen gescheitert – sondern an fehlendem Priorisieren.“

Nicolas Urien, Head of Global Trade Advisory beim Beratungsunternehmen Dojö Consulting Group, warnt: „Auf der technologischen Seite würde ich die Rückverfolgbarkeit als Schlüsselkompetenz der Zukunft hervorheben. Die meisten Unternehmen kennen heute ihre End-to-End-Lieferkette nicht wirklich, insbesondere in Branchen wie Textilien, Bekleidung und Chemie, in denen die Produktion stark fragmentiert ist. Um neuen Vorschriften wie der EUDR oder Gesetzen gegen Zwangsarbeit zu entsprechen, müssen Unternehmen in der Lage sein, Materialherkünfte nachzuverfolgen und Compliance nachzuweisen. Das erfordert eine robuste Datenintegration, Lieferantenverwaltung und Systemtransparenz.“

Warum 2026 entscheidend wird

Die geopolitischen Risiken steigen, Arbeitskräfte fehlen, Lieferketten werden global neu sortiert und die Anforderungen der Kunden steigen. Wer weiter spart, statt zu gestalten, läuft direkt in die nächste Krise. Es geht nicht mehr darum, effizienter zu werden, sondern wirksamer. Effizienz löst Kostenprobleme. Resilienz löst Überlebensprobleme. Der Unterschied werde 2026 über Marktanteile entscheiden.

5 Maßnahmen, die Unternehmen jetzt wirklich resilient machen

1. Netzwerke neu designen, nicht nur monitoren

Transparenz reicht nicht. Lieferketten müssen aktiv umgebaut werden (Alternative Routen, Nearshoring, Dual Sourcing).

2. Mehr Redundanz wagen

Ein zweiter Lieferant kostet Geld, aber kein zweiter Lieferant kostet Marktanteile.

3. Datenarchitektur modernisieren

KI braucht strukturierte, vertrauenswürdige Daten. Ohne diese Grundlagen bleibt jede Automatisierung ineffektiv.

4. Automatisierung als Stabilitätsstrategie begreifen

Roboter und KI reduzieren nicht nur Kosten – sie sichern den Betrieb bei Fachkräftemangel.

5. Nachhaltigkeitsdaten standardisieren

Wer Emissionen automatisiert erfasst und austauscht, ist regulatorisch und wirtschaftlich im Vorteil.