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Verkehrssicherheit Optimierungspotenziale noch nicht ausgeschöpft

Zukunftskongress Nutzfahrzeuge Foto: Stephan Klonk Fotodesign 4 Bilder

Moderne Fahrerassistenzsysteme im Lkw helfen dabei, Unfälle ganz zu vermeiden oder zumindest deren Folgen deutlich zu mindern – vorausgesetzt, sie werden richtig bedient.

Monstercrash auf der A 3." "Lkw kracht ungebremst in Stauende." "Drei Tote nach Unfall mit Geisterfahrer-Lkw" – so lauteten zuletzt die Schlagzeilen. Allein in den jüngst zurückliegenden Wochen waren die Medien in Deutschland wieder voll von Meldungen über Unfälle mit schweren Nutzfahrzeugen, bei denen Menschen schwer verletzt worden sind oder ihr Leben verloren haben. Angesichts des damit verbundenen Leids, des hohen volkswirtschaftlichen Schadens und nicht zuletzt auch des Imageverlusts für die Transportbranche ist klar, dass alles getan werden muss, um für noch mehr Verkehrssicherheit auch in diesem Fahrzeugsegment zu sorgen. Wo Handlungsbedarf besteht und welche Innovationen die Hersteller und Zulieferer bereits im Angebot beziehungsweise in der Entwicklung haben, war ein zentrales Thema beim 2. Zukunftskongress Nutzfahrzeuge von Dekra in Berlin.

Fokus auf dem Notbremsassistenten

Dr. Erwin Petersen, Vizepräsident der Landesverkehrswacht Niedersachsen, beleuchtete die Wirksamkeit insbesondere des Notbremsassistenten (Advanced Emergency Braking System = AEBS). Nicht ohne Grund: Kollisionen im Längsverkehr, bei denen ein Güterkraftfahrzeug infolge von Ablenkung, zu geringen Fahrabständen oder nicht angepasster Geschwindigkeit auf ein vorausfahrendes oder stehendes Fahrzeug vorwiegend am Stauende auffährt, bilden einen hohen Anteil an den Verkehrsunfällen mit Beteiligung von Güterkraftfahrzeugen. Das geht aus Zahlen hervor, die im Rahmen der "Niedersächsischen Werkstatt Autobahn" erhoben wurden. Eine hierfür durchgeführte Analyse 138 schwerer Lkw-Unfälle auf niedersächsischen Autobahnen im Jahr 2015 ergab, dass rund 50 Prozent der Getöteten – 17 von insgesamt 33 – bei Auffahrunfällen ums Leben kamen. Mehr als 80 Prozent der Auffahrunfälle wurden durch Güterkraftfahrzeuge über 7,5 Tonnen ohne AEBS verursacht. Wie Petersen ausführte, wären etwa 24 Prozent dieser Kollisionen vermeidbar gewesen, hätten die betreffenden Fahrzeuge ein AEBS nach den geltenden EU-Vorschriften an Bord gehabt.

Mit zumindest als Sonderausstattung bereits verfügbaren AEBS – die Kollisionen auch mit stehenden Fahrzeugen verhindern können –, wären sogar mehr als 80 Prozent der Auffahrunfälle und der dabei Getöteten zu vermeiden gewesen. "Um das Unfallvermeidungspotenzial möglichst auszuschöpfen, sollten alle System- und Fahrzeughersteller ihre Notbremssysteme möglichst zügig weiterentwickeln", forderte der Verkehrssicherheitsexperte. Ebenso sollte die EU-Verordnung den technischen Möglichkeiten angepasst werden, um die breite Einführung optimaler Systeme als Standardausstattung zu unterstützen. Dies gelte vor allem im Hinblick auf die verbesserte Objekt-Identifikation stehender Fahrzeuge, die vorgelagerte optische Abstandsvorwarnung, die Weiterentwicklung und Optimierung von Übersteuerungsmethoden sowie die Nicht-Zulässigkeit der Abschaltbarkeit durch den Fahrer.

Zukunftskongress Nutzfahrzeuge Foto: Stephan Klonk Fotodesign
Dr. Petersen: "Notbremssysteme zügig weiterentwickeln, EU-Verordnungen anpassen!"

Vision vom unfallfreien Fahren

Letzteres stellt offensichtlich immer wieder ein Problem dar – und zwar häufig aus mangelnder Kenntnis der Systembegriffe und der Funktionen. "Weil viele Fahrer das AEBS mit dem Abstandsregeltempomaten verwechseln, schalten sie unter Umständen völlig unnötig das lebensrettende System ab", gab Petersen zu bedenken. Im Rahmen des Berufskraftfahrer-Qualifikations-Gesetzes sollten die Fahrer in diesem Punkt daher unbedingt eingehend geschult werden. Dass die Fahrzeughersteller in Sachen Assistenzsysteme schon eine ganze Menge zu bieten haben, unterstrich Dr. Andreas Schwarzhaupt. "Seit vielen Jahren arbeiten wir an der Vision vom unfallfreien Fahren", betonte der Senior Manager Driver Assistance Systems and Automated Driving bei Daimler. Mit dem Notbremsassistenten Active Brake Assist 4 inklusive Fußgängererkennung und mit dem Abbiege-Assistenten habe Mercedes-Benz Lkw bereits zur IAA 2016 zwei neue Assistenzsysteme auf die Straße gebracht, mit denen die schwächsten Verkehrsteilnehmer, also Radfahrer und Fußgänger, besser geschützt werden können.

Der Active Brake Assist 4 reagiere auch auf querende Fußgänger und könne eine Teilbremsung durchführen. Der Abbiege-Assistent erkenne beim Richtungswechsel an Kreuzungen Fußgänger und Radfahrer und könne den Fahrer optisch und akustisch vor einer Kollision warnen."Dank zahlreicher Helfer fahren moderne Lkw schon heute auf einem hohen Sicherheitsniveau", erläuterte Alexander Banerjee, Projektleiter ADAS CV bei ZF Friedrichshafen. Die Vision eines unfallfreien Fahrens vor Augen, hat der Technologiekonzern mit dem ZF Innovation Truck aktuelle Assistenzsysteme praxisorientiert weitergedacht. Die Ergebnisse sind der Highway Driving Assist (HDA), der versehentliche Spurwechsel verhindert, sowie der in Kooperation mit Wabco entwickelte Evasive Maneuver Assist (EMA) – eine Technologie, die einen Lkw ausweichen und bremsen lässt. Darüber hinaus rangiert das Konzeptfahrzeug mit der autonomen Manövrierfunktion SafeRange selbstständig an die Laderampe.

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Schwertberger, MAN: "Dem Platooning kommt eine wesentliche Bedeutung zu."

Teamleiter Schwertberger setzt auf Platooning

Auf dem Weg hin zum automatisierten respektive autonomen Fahren dürfte dem Platooning in der Transportbranche künftig eine wesentliche Bedeutung zukommen. Einblicke hierzu gab auf dem Zukunftskongress Walter Schwertberger, Teamleiter Forschung Assistenzsysteme bei MAN Truck & Bus. Die Vorteile des Platooning liegen für ihn dabei klar auf der Hand: "Die Reaktionszeit wird durch die Fahrzeug-zu-Fahrzeug-Kommunikation drastisch gesenkt, der Fahrer erfährt eine Entlastung bei seiner Arbeit, durch die kurzen Abstände zwischen den Fahrzeugen wird die Infrastruktur effizienter genutzt, außerdem lassen sich für mehr Kraftstoffeffizienz Windschatteneffekte nutzen." Allerdings gebe es bis zu der tatsächlichen Umsetzung im realen Verkehr auch noch einige Hürden zu meistern. So zum Beispiel bezüglich der allgemeinen Akzeptanz, der rechtlichen Rahmenbedingungen etwa zu den Lenk- und Ruhezeiten oder der Frage nach der optimalen Platooning-Länge. Für grundlegend erachtet Walter Schwertberger zudem die Etablierung von Multi-Brand-Lösungen anstelle von Einzelkonzepten.

Welche Vorteile das automatisierte respektive autonome Fahren auch dem innerbetrieblichen Verkehr bringt, erläuterte abschließend Andreas Wimmer, Vice President Systems & Vehicle Technologies bei Knorr-Bremse. Das Unternehmen hat einen autonom fahrenden Sattelzug aufgebaut, der fahrerlos den Verkehr zu der Laderampe und zurück zum Eingangstor der Spedition bewältigt. So werden Bagatellschäden bei Rangiermanövern und Zeitverluste aufgrund von Fehlbelegungen oder blockierten Laderampen vermieden. Der Fahrer kann sich anderen Aufgaben zuwenden oder die Zeit nutzen, um seine Ruhezeiten einzuhalten. "Unter den spezifischen Bedingungen eines Speditionshofs mit niedriger Geschwindigkeit und einem abgesperrten Bereich sind auch die rechtlichen Rahmenbedingungen für eine schnelle Realisierung gegeben", sagte Wimmer.

Dieser Artikel stammt aus diesem Heft
Lao 01 2018 Titel
lastauto omnibus 01-02 / 2018
9. Dezember 2017
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