VDL Phileas Haltestelle Zukunft

VDL Phileas, VDL-Gelenkbus Foto: Randolf Unruh 8 Bilder

An dem VDL-Gelenkbus namens Phileas ist alles anders: Aufbau, Antrieb, Fahrwerk und Fahrerplatz. Der BRT-Spezialist nimmt nach mühsamem Start allmählich Fahrt auf.

Mit der Zukunft ist es vertrackt: Sie hält sich nicht unbedingt an das, was man von ihr erwartet. Da propagieren Bushersteller seit Jahren BRT-Systeme (Bus Rapid Transit) für den Nahverkehr. Schnell eingerichtet, billiger als Straßenbahnen – die Argumente sind bekannt und schlüssig. Prompt nicken alle Zuhörer freundlich-interessiert, doch dann gehen die meisten Städte zur Tagesordnung über. Anders Eindhoven in den Niederlanden: Hier verbindet seit Jahren ein BRT-System mit eigener Spur den Hauptbahnhof mit neuen Siedlungen und dem Flughafen am Stadtrand. Herzstück ist der ungewöhnliche Gelenkbus namens Phileas, gebaut von der VDL-Tochter APTS.

Fahrer eines Phileas müssen sich umgewöhnen

"Ich kann keine normalen Gelenkbusse mehr fahren", lacht Pieter Bastiaansen, Projektmanager von APTS. Fahrer eines Phileas müssen sich umgewöhnen: Sie sitzen nicht wie üblich vor, sondern unmittelbar über der Vorderachse des Gelenkbusses, dazu aufgrund des eingezogenen Bugs fast mittig. Also fahren Phileas-Anfänger wegen der ungewohnten Sitzposition etwas zu weit links. Auch sollten sie den Begriff "ausholen" aus ihrem Gehirn streichen: Einen Phileas lenkt man direkt und ohne Umschweife in die Kurve. Sonst gäb’s mit dem Riesenradstand zwischen Achse eins und zwei von 7,7 Metern gewisse Probleme. Nicht schlimm also, dass heute der 18,5 Meter lange Phileas-Eingelenker auf eine Proberunde wartet und nicht ein bis zu 26 Meter langer Phileas-Doppelgelenkbus.

Die gewölbte Scheibe und das schmale Gesicht verleihen dem Phileas Dynamik. Markante Fühler-Außenspiegel unterstreichen den besonderen Auftritt. Die Kombination aus tief heruntergezogenen Seitenfenstern mit hochgezogenen Radläufen hat inzwischen Vorbildcharakter. Obwohl nicht mehr taufrisch, ist der Phileas ein Blickfang.
Schwung zeigen auch die gewölbten Seitenwände: Der Gelenkbus basiert auf einer leichtgewichtigen Sandwichkonstruktion aus dem Flugzeugbau. Vollaluminium-Sandwich für Boden und Dach, GfK-Außenbeplankung der Wände – eine Bauweise à la Kühlaufbau. Und ebenso stabil: Türen rechts, links oder beidseitig sind kein Problem. Die Karosserie hält Jahrzehnte, verspricht Pieter Bastiaansen. Die ausgefallene Technik ist kein Zufall: Die Initialzündung des Stadtbusses geht auf eine Wirtschaftskrise Mitte der neunziger Jahre zurück: Damals geriet DAF ins Trudeln, stand Flugzeugbauer Fokker vor dem Aus. In den Niederlanden wurden neue Ideen für neue Produkte gefördert.

Die Antriebstechnik steckt im Heck

Deshalb durfte, ja sollte der Phileas ganz bewusst mit Omnibus-Traditionen brechen, ein Bus von morgen war gefordert. Die Antriebstechnik zum Beispiel steckt im Heck und hinter Blenden auf dem Dach: Ein Hybridantrieb ist dem Phileas deshalb ganz selbstverständlich in die Wiege gelegt worden. Seine Eignung für den BRT-Einsatz drückt sich nicht nur in den vielen Türen aus: Der Fahrer nimmt in einer abgetrennt und hochgesetzten Kanzel Platz. Im Fahrgastraum ist der Boden von vorne bis hinten topfeben. Zwischen erster und letzter Achse nichts als ungestörter Platz für Fahrgäste – dazu gibt’s eine Rundsitzgruppe hoch über der Hinterachse.

Die Achsen des Phileas basieren auf einer Einzelradaufhängung und sind sämtlich gelenkt. Stammt die Vorderachse von ZF, so gehen die anderen Aggregate auf Eigenentwicklungen zurück. Abhängig von Lenkeinschlag und Geschwindigkeit arbeiten sie in gleicher Richtung wie die Vorderräder oder gegenläufig – angesichts mächtiger Radstände eine Notwendigkeit. Die Schau beginnt, wenn alle Achsen in eine Richtung zeigen und der Phileas im Hundegang zentimetergenau am Bordstein andockt oder abfährt. Eine elektronische Spurführung ist vorgesehen, zurzeit jedoch aus rechtlichen Gründen nicht im Einsatz.

Phileas unter die Lupe genommen

Wer alles anders macht, der geht hohe Risiken ein –VDL musste reichlich Lehrgeld zahlen. Auf der Metrobuslinie in Istanbul verdarb sich der avantgardistische Phileas zeitweilig seinen Ruf: Differenzial, Antriebswellen und die Bodenkonstruktion machten schlapp. Sowohl Supersinglereifen als auch die Bremsbeläge verfehlten die erwarteten Standzeiten, auch entpuppte sich der Antrieb als zu schlapp. Bastiaansen gehörte vor Ort zu einer VDL-Eingreiftruppe mit Ersthelfern. Er und seine Kollegen registrierten nicht nur Schwächen des Phileas, sondern auch strapaziöse Einsätze: Der Verkehrsbetrieb pferchte bis zu 320 Passagiere in die Doppelgelenkbusse. Macht viele Tonnen Überlast und erklärt manches Problem im Dauerbetrieb. Beispiel: Der Kombination von Überladung sowie im fort­laufenden Wechsel 12.000 Nm Antriebs- und 7.000 Nm Rekuperationsleistung war die Antriebsachse nicht gewachsen.

Inzwischen, verspricht Bastiaansen, sind die Kinderkrankheiten überstanden. Die zeitweilig stillgelegten Phileas rollen in Istanbul wieder. Mit dem leistungsverzweigten Hybrid von Alli­son ging VDL auf Nummer sicher, rund 5.000 Allison-Hybridantriebe sprechen für Zuverlässigkeit. Im deutlich milderen Verkehrsklima von Eindhoven legt ein Dutzend Phileas jedes Jahr rund 90.000 Kilometer zurück, die Busse nähern sich inzwischen der halben Million. In der nordfranzösischen Stadt Douai fahren Phileas etwa 70.000 Kilometer per anno.

Der Allison-Hybrid arbeitet mit zwei Elektromotoren

Die Probekilometer in Eindhoven überzeugen: Der Fahrkomfort mit Einzelradaufhängung und den Superbreitreifen ist gut, auch als Fahrgast fühlt man sich auf der Bestuhlung mit Cantilever-Befestigung wohl, erst recht in der Loge im Heck. Hier hinten dürfte jedoch das Geräusch des ständig mitlaufenden Dieselmotors etwas gedämpfter ausfallen. Der Allison-Hybrid arbeitet dank seiner virtuosen Kraftübertragung mit zwei Elektromotoren, drei Planetensätzen und zwei Kupplungen sowie wechselnden Übersetzungen extrem gleichmäßig und ruckfrei.

Nur gut 16 Tonnen wiegt der Hybridbus in der Kombination des Dieselmotors Cummins ISL mit 8,9 Liter Hubraum und 250 kW (340 PS) plus E-Antrieb, etwas weniger mit dem kleineren ­Cum­mins ISB (6,7 Liter, 184 kW/250 PS). Nickel-Metall-Hydrid-Batterien speichern die elektrische Energie – nicht unbedingt der letzte Schrei, aber erprobt. Der Dieselverbrauch beträgt in Eindhoven 42 Liter pro 100 Kilometer, Gelenkbusse mit Dieselmotor liegen auf der gleichen Linie bei 54 Liter – eine ansehnliche Einsparung.

Zwei Phileas im Test mit Wasserstoffantrieb per Brennstoffzelle

Damit aber ist die Entwicklung des Phi­leas nicht beendet, jetzt geht sie erst richtig los. In Amsterdam und Hürth bei Köln fahren zur Probe zwei Phileas mit Wasserstoffantrieb per Brennstoffzelle. Darüber hinaus ist zusammen mit Vossloh Kiepe ein serieller Hybridantrieb in Entwicklung – die Technik des Solowagens VDL Citea mit Hybridantrieb lässt grüßen. Nicht zuletzt will VDL die Aufladung der Batterien per Induktionstechnik von Bombardier testen. Technisch heißt das Ziel für den Phileas: Er soll eine Plattform für alle Arten des elektrischen Antriebs bilden, den Obus eingeschlossen.

Pieter Bastiaans: "Unsere Kunden sind Städte, die zu viel Verkehr für eine Buslinie haben und zu wenig für eine Straßenbahn." Also typische Kandidaten für BRT-Systeme. Der Phileas ist nach einer Figur aus der Literatur benannt – Phileas Fogg hatte sich das Ziel gesetzt, in 80 Tagen um die Welt zu reisen – im 19. Jahrhundert ein ehrgeiziges Vorhaben. Auch sein moderner Nachfolger hat es zusammen mit den vielpropagierten BRT-Systemen nicht leicht. Die Zukunft ist eine Schnecke – es geht nur Schritt für Schritt vorwärts. Aber trotzdem voran.

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