TraXon-Getriebe im Härtetest Winterfest

Foto: ZF Friedrichshafen, Joscha Kinstner 13 Bilder

In Schwedisch Lappland muss das neue TraXon-Getriebe auch bei Dauerfrost einwandfrei funktionieren. Für die letzten Tests vor der Serienreife zu Beginn des Jahres 2015 konnte es nicht kalt genug sein.

Wenn die Kältekammer nicht ausreicht und echte Testfahrten in eisiger Kälte gefragt sind, ist Nordschweden das ideale Testgebiet. Genauer: das etwa 100 Kilometer südlich des Polarkreises gelegene Arjeplog. Knirschend presst jeder Schritt den Schnee zusammen und reichlich Nachschub der weißen Pracht fällt im dichten Gestöber auf Mensch und Maschine. Minus 24,5 Grad zeigt das Thermometer  an diesem Morgen als Ausgangstemperatur für den Kaltstart des automatisierten Zwölf-Gang-Getriebes der neuen TraXon-Reihe von ZF.

Der Test-Lkw ist ein nicht ganz aktueller ­Iveco Stralis, der jedoch schon Euro-6-Technik beherbergt. Auf dem Auflieger ist eine Ballastbrücke mit zehn Tonnen Gewicht über der Antriebsachse positioniert. Jeder im ZF-Versuchsteam weiß, was zu tun ist, und die Morgenbesprechung ist in wenigen Minuten erledigt. Kurz darauf sitzt Applikationsingenieur Achim Chiandetti mit dem Arbeitslaptop auf dem Schoß auf dem Beifahrersitz und baut eine Verbindung zwischen dem von ZF entwickelten Programm und dem Steuergerät auf. "Ich überprüfe, welcher Softwarestand gestern auf dem Getriebe hinterlassen wurde, und kann dann Daten auslesen und verändern", erklärt der 27-Jährige. Seit 2012 ist er im Systemversuch bei ZF tätig. Fahrkomfort ist sein Thema und so arbeitet er an der Feinabstimmung der Kupplungsfunktion. Bevor der Motor des Test-Lkw an diesem Morgen starten kann, überprüft Chiandetti mittels Software das Ventilmodul. Die 14 elektropneumatischen Ventile kann er direkt über die Software ansteuern. Für die Genauigkeit und Vergleichbarkeit der Ergebnisse läuft dies nach einem festen Schema ab. "Es ist enorm wichtig, dass die Getriebeaktuatorik dicht ist, sonst bekommen wir Schaltprobleme", erklärt der gelernte Industriemechaniker, der nach einer Weiterbildung zum Techniker und anschließendem Bachelorstudium seinen dritten Wintertest absolviert. Eine Leckage im ­Kolbenraum würde sich durch extrem verzögerte Schaltzeiten bemerkbar machen. Die Feinabstimmung beim Fahrkomfort erfordert extrem viel Gefühl für das Fahrzeug. Die Grundparametrierung, die man am Schreibtisch entwirft, muss letztlich im Fahrzeug umsetzbar sein, deshalb seien Tests unter Realbedingungen wie in Arjeplog unumgänglich. "Das Ziel ist es, Funktionen, die bei Normalbedingungen in Deutschland abgestimmt sind, unter Extrembedingungen genauestens zu überprüfen, ebenso wie die reinen Winterfunktionen."

TraXon-Getriebe wird schonungslos auf die Probe gestellt

Beim Start des Motors wird die Technik schonungslos auf die Probe gestellt. Wegen der niedrigen Temperaturen hat das Getriebeöl eine honigartige Konsistenz und die Schleppverluste sind entsprechend groß. Die Kurve, die die errechneten Daten auf dem Laptop visualisiert, sieht einem Elektrokardiogramm des menschlichen Herzschlags nicht unähnlich.

Sprichwörtlich auf "Herz und Niere" wird auch das TraXon-Getriebe getestet. Zusammen mit Testfahrer Jürgen Pechar gilt es, die Kupplung des Automatgetriebes optimal einzustellen. "Wir müssen sicherstellen, dass auch bei abgeschaltetem ABS die Kupplung schnell und früh genug öffnet. Auch bei extremen Bremsungen darf der Motor nicht abgewürgt werden", erklärt Ingenieur Chiandetti den Test.

Die Messung läuft. Mit einer Leerlaufdrehzahl von 550 Umdrehungen geht es los. In vorgegebener Gangreihenfolge, wo jedes Teilgetriebe geschaltet wird, gilt es die entsprechenden Messwerte einzuholen, um sie dann zu analysieren. Die Testfahrer schalten manuell, überlassen nicht alles der Software. Fahrer Pechar ist zum ersten Mal in Nordschweden mit dabei, hat aber bereits zehn Jahre Erfahrung im Versuch bei ZF. Für die elf Schaltvorgänge, die für den Test relevant sind, folgt er unmittelbar den Anweisungen des Ingenieurs: Vom fünften in den siebten Gang und wieder zurück, dann in den achten und zurück in den siebten. Die Anweisungen kommen beinahe im Sekundentakt. Die Technik selbst erledigt die Vorgaben ebenso unbeeindruckt wie Pechar. Sanft und gleichmäßig geht es über die mit Eis und Schnee bedeckte Fahrbahn. Das Team ist konzentriert. Während Chian­detti in einer ersten Datenanalyse die angestrebten Ergebnisse bestätigt bekommt, hat Pechar die Straße fest im Blick. Die Sicherheit hat auch im Fahrversuch stets Vorrang. Er ist mit seinen 56  Jahren ein versierter Testfahrer und deshalb umso mehr bemüht, ein gutes Vorbild für die jüngeren Kollegen zu sein.

Freischaukel-Funktion hilft Lkw-Fahrern auf eisigen Straßen

Feingefühl für das Fahrzeug, Erfahrung und Teamgeist bedarf es auch, wenn es um die Entwicklung und Feinjustierung verschiedener Funktionen geht, etwa beim sogenannten "Freischaukeln". "Dadurch, dass wir nicht nur hier vor Ort, sondern auch am Firmensitz in Friedrichshafen so eng mit den Ingenieuren zusammenarbeiten, funktioniert das reibungslos", beschreibt Marcus Haug den Entwicklungsprozess. Das Ergebnis demonstriert der Fahrer geschickt am Steuer des zweiten Test-Lkw, einem MAN TGX 18.560, der hier in Nordschweden für ZF im Einsatz ist. Was für viele Lkw-Fahrer ein Graus ist, wurde für den Test extra eingerichtet: Mit warmgefahrenen Reifen auf ­einer weichen Schneedecke über Nacht abgestellt, versinkt der Truck bis zum nächsten Morgen in einer sanften Kuhle. Durch das Gewicht ist der Schnee unter den ehemals warmen Reifen zu Eis geworden. Das für die Testzwecke provozierte Durchdrehen der Reifen poliert die Eisfläche zusätzlich. Für solche Fälle hat ZF beim TraXon-Getriebe die Freischaukelfunktion entwickelt.

Applikationsingenieur Daniel Gelder und ein weiterer Fahrer im ZF-Team, Andreas Arnegger, nehmen in der Kabine Platz und der Test kann losgehen. Über einen Schalter aktiviert Arnegger die Freischaukelfunktion. Das System wählt automatisch den passenden (vierten) Gang, sodass das Drehmoment am Rad nicht zu hoch ist. Durch Betätigen des Gaspedals kann der Fahrer sich nun bis an die Rutschgrenze der Kuhle vorarbeiten, um dann wieder zurückzurollen. Er nutzt dann den Schwung von der anderen Seite und betätigt zum richtigen Zeitpunkt das Gaspedal. So entsteht die Schaukelbewegung, die es ermöglicht, aus der Kuhle herauszukommen. Das System unterstützt den Fahrer beim Freischaukeln und deaktiviert sich automatisch wieder, wenn bestimmte Parameter eintreten: Wenn das System zum Beispiel „Fahrt“ erkennt. "Unser Ziel in der Abstimmung ist es, diese Funktion so robust, intelligent und sicher zu machen, dass der Fahrer den Lkw aus nahezu jeder Situation herausfahren kann", erklärt ZF-Ingenieur Gelder. Die Kupplung muss dafür sehr schnell öffnen, damit das Fahrzeug zurückrollen kann. Würde die Kupplung wie beim normalen Komfortmodus nur langsam aufgehen, würde das die Schwungbewegung des Lkw zu sehr abbremsen.

Kupplung muss standhalten

Die Daten aus dem Freischaukeltest sammelt und visualisiert Gelders Rechner als Kurvendiagramm, während Testfahrer Arnegger den Truck aus der glattpolierten Kuhle herausfährt. Die Feinabstimmung des Assistenzsystems besteht nun darin, dass jeder Fahrer und nicht nur Versuchsprofis wie Marcus Haug und ­Andreas ­Arnegger diese Funktion problemlos nutzen können. ­Herausforderung dabei ist aber nicht nur die universale Anwendbarkeit des Systems, sondern auch, dass die Kupplung dieser Belastung dauerhaft standhält. Dafür wurde bei der Konzeption des Systems ein sogenannter Energie-Eintrag für die Kupplung einberechnet. Beim Freischaukeln liegt dieser Wert deutlich unter der Warngrenze, sodass der Fahrer auch bei ­einer heißen Kupplung die Funktion noch für einen weiteren Versuch nutzen kann.

Kurz vor der Serienreife der neuesten Getriebegeneration steht vor allem der Anwender im Mittelpunkt. Umso wichtiger sind die Tests, die das ZF-Team in Schweden absolviert. Die Simulationen am Computer oder in der Kältekammer ersetzen nicht den Faktor Mensch – weder in der Entwicklung noch in der Anwendung einer intelligenten und zuverlässigen Technologie.

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