Setra S 200 und S 515 HDH Setra Superhochdecker im Wandel der Zeit

Setra S 200, Setra S 515 HDH Foto: Jacek Bilski 15 Bilder

Der Setra S 200 begründete 1972 bei den Ulmern das Zeitalter der luxuriösen Superhochdecker. Grund genug, dem rüstigen Oldie den neuesten S 515 HDH entgegenzustellen.

Es ist einsam geworden um den Superhochdecker als exklusiven Reisewagen. Nach dem Ende von Neoplan Starliner und Mercedes Travego (der freilich hierzulande kein ausgewachsener SHD war) verbleibt aus deutscher Produktion nur noch die Setra Top-Class, die sich an die Vier-Meter- Höhenmarke heran- und über die 400.000-Euro-Grenze hinauswagt. Zuletzt zeigte die Premium-Marke auf der finalen Busworld in Kortrijk einen edlen Vertreter des Luxus-Segments mit Glasdach und Stehküche zum Preis von 18,20 Euro pro Kilo zulässiges Gesamtgewicht (der S 200 bringt es auf 11,63 DM/kg).

Luxus-Omnibus für den interkontinentalen Reiseverkehr

Grund genug für uns, in die Setra-Historienhalle und die Annalen des Lastauto-und-Omnibus-Archivs zu steigen, um die Anfänge dieser Entwicklung nachzuzeichnen und nachzuspüren. Setra ist sich der Bedeutung der Klasse bewusst und hat einen der ersten Vertreter der Baureihe 200 mit Baujahr 1975 aus Frankreich zurückgeholt. Immerhin reizte die Bedeutung des Wagens "Lastauto und Omnibus" zur Einschätzung: "Der Setra S 200 verdient in der Summe seiner Eigenschaften die Auszeichnung: Rolls-Royce der Omnibusse." Und tatsächlich hat die klar gezeichnete Front mit dem strengen Aluminiumgrill und der geteilten Frontscheibe etwas von der Anmut der englischen Luxuskarossen. Der zeitgenössische Prospekt, der nicht geizt mit den Reizen der blonden Hostess im roten Dress mit Minirock, legt dann noch vollmundig nach: "Der Luxus-Omnibus für den interkontinentalen Reiseverkehr."

Der 3,55 Meter hohe Hochdecker – sein moderner Bruder misst stolze 3,88 Meter –, von dem nur 50 Exemplare gebaut wurden, gilt offiziell noch nicht als Vertreter der 1976 gestarteten 200er-Baureihe. Er erinnert vom Konzept her an die Ende der 50er-Jahre an Continental in die USA gelieferten Busse mit "erhöhter Plattform" und Seitenwänden mit Eloxatbeplankung. In vielerlei Hinsicht war der S 200 ein visionärer Vorläufer für den modernen Reisebus, und das nicht nur wegen des Hochdecker-Konzeptes, das 1980 mit den beiden HDS-Modellen mit Unterflurcockpit seinen vorläufigen Höhepunkt fand.

Setra S 200, Setra S 515 HDH Foto: Jacek Bilski
S 515 HDHD: Das luftige Ambiente wird durch das große Glasdach betont.

Neuer S 515 HDH schlägt den Oldie um Längen

Unser Franzose ist einer der ersten Setra, die stolz einen Mercedes-Zehnzylinder in V-Form im Heck tragen. Nach der Übernahme des Kasseler Henschel-Werks wechselten rund 80 Prozent der Kunden auf die Aggregate von Daimler. Wer nun ob der Zahl der Brennräume in Verzückung gerät und dem V10 mehr als eine Träne nachweint, dem seien die "ungewöhnlichen Leistungseigenschaften" (Zitat "Lastauto und Omnibus") des 16-Liter-Blocks namens OM 403 ans Herz gelegt, die mit 18,5 PS pro Tonne ein für die 70er-Jahre typisches Leistungsgewicht erbringen. Die Motordaten: 320 PS und 103 mgk ("Meter-Kilogramm") oder 1.010 Newtonmeter maximales Drehmoment.

Der OM-471-Sechszylinder im S 515 HDH mit 12,8 Liter Hubraum leistet derweil stolze 510 PS und satte 2.500 Newtonmeter. Leistungsgewicht hier: 20,56 PS pro Tonne! Unser kleiner Ausritt mit dem 22 Tonnen schweren Oldtimer rund ums Werk in Neu-Ulm (Vorsicht: Salz auf den Straßen!) hat denn auch nichts gemein mit dem souveränen und druckvollen Gleiten des modernen Bruders, dessen Gänge zudem von der automatisierten Achtgangautomatik gekonnt sortiert werden. Beim S 200 erledigt das noch händisch ein ZF Sechsganggetriebe S 6-90. Freilich, die alte Dame ist nicht in Übung und es qualmt erkennbar getrübt aus dem Auspuffendrohr, aber die geballte Kraft von zehn Töpfen will sich nicht so recht entfalten. Auch der Wendekreis des zwölf Meter langen Wagens spricht mit rund 23 Metern – drei Meter mehr als beim 50 Zentimeter längeren S 515 HDH mit seinen 19,6 Metern – nicht für flinkes Kurvenkratzen.

Überragendes Fazit für den alten wie neuen Bus

Für ABS ist es freilich noch zehn Jahre zu früh gewesen im S 200, trotzdem schreibt der Setra auch in diesem Kapitel Technikgeschichte. Der Prospekt jubelt: "Scheibenbremse vorne – ein neuer, zukunftsweisender Beitrag für noch größere Verkehrssicherheit." Der S 515 HDH bremst mit ABA4 nun auch selbsttätig für Fußgänger und Ampelpfosten, die im BO-Kraftkreis im Weg stehen. In Sachen Festigkeit verbirgt sich eine unsichtbare Neuheit im S 200: Die Seitenscheiben sind jetzt auf Rahmen aufvulkanisiert, die fest mit dem Gerippe verbunden sind. Setra O-Ton: "Der gesamte Wagenkörper stellt eine Einheit von höchster Festigkeit dar, die keine schwache Stelle kennt."

Weiteres Schmankerl des S 200 ist die im Heck verbaute Klimaanlage, die erstmals eine zugfreie Querstrombelüftung bot (Prospekt: "Ungeschmälert bleibt auch die Bügelfalte im Jackett Ihrer Gäste bis zum Reiseziel erhalten."). Der moderne Nachfolger versteckt im Heck seinen Hightech-Kaltwassersatz, bietet aber konventionelle Luftdüsen in edlen Servicesets sowie auf Wunsch beheizte Brüstungsleisten – die gibt es sonst nirgendwo. Das Fazit der Lastauto-und-Omnibus Kollegen von 1972 kann man für beide Modelle fast so stehen lassen, bei allem Kostendruck der Neuzeit, der auch bei Premiummarken längst Einzug gehalten hat: "Bereits daran erkennt man, daß sich die Konstruktion bei diesem Omnibus – ohne nun exakt auf die Marke zu schauen – mal so richtig austoben konnte, und was dabei herausgekommen ist, zeigt alleine schon die äußere Stilistik." In beiden Fällen machen Eleganz und Zeitlosigkeit den Stil aus: Im S 200 ist es die zeitlose Front und die konsequente Betonung der Höhe, im S 515 HDH ist es das ausdrucksstarke Gesicht mit LED-Augen, die schwungvolle "La Linea" und edle Details wie deren Abschluss im Heck mit Positionsleuchten als Kunstwerk. Jeder ist ein Trendsetter seiner Epoche.

Setra S 200, Setra S 515 HDH Foto: Daimler
Setra S 200

Klassische Eleganz gepaart mit hoher Funktionalität

Auch im Innenraum der beiden Luxusbusse treffen Welten aufeinander, und das liegt nicht nur an den konträren Farbgebungen. Ausufernde Orange- und Brauntöne verfolgen die 41 Fahrgäste des S 200 bis auf die Unterflur-Toilette, deren hochwertige Ausstattung einem modernen Fernlinienbus Konkurrenz macht. Viel Platz und ein Emaille-Waschbecken lassen über das üppige Blumendekor der Tapete hinwegsehen. Als wolle der S 515 HDH hier einen bewussten Kontrastpunkt setzen, ist seine in dezentem Schwarz gehaltene Maxi-Toilette mit eingebautem Kühlschrank zumindest außen mit kaum auffallendem Floraldekor verziert. Gegenüber hat Setra für die Busworld eine Stehküche eingebaut, in der es sich sehr gut arbeiten lässt. Sie ist aber kein Vergleich zu dem Multifunktionsraum, den der S 200 zwischen den Achsen in drei verschiedenen Baumustern bieten konnte: Küche, Bar, Garderobe oder Schlafkabine für den Fahrer. Begehbar von innen und außen – das ist wahrer Bus-Luxus! Und trotzdem blieben dem Urahn der Setra-Superhochdecker noch bis zu 14 Kubikmeter Stauraum in den Kofferräumen, die mit zweiteiligen Klappen verschlossen wurden.

Der moderne Bruder kann das nicht ganz so gut, hier passen nur neun Kubikmeter hinter die praktischen Hubklappen, die dem Fahrer besser zur Hand liegen als seine Pendants im S 200.Überhaupt, der Fahrer. Er darf seinen Platz durch eine Schlagtür wie im Lkw erklimmen. Als Haltegriff dient sich das große Bakelit-Lenkrad an. Das Cockpit gehört noch zu den Exemplaren, bei denen ein klassisches Design nicht vonnöten schien: Ein einfaches Brett mit darauf montierten Instrumenten und Schaltern sorgt mit der weit nach unten gezogenen Frontscheibe für freie Sicht nach vorne. Dabei spendierte die legendäre Omnibuswoche in Nizza dem Wagen kurz nach der Präsentation eine fachliche Anerkennung für den besten Arbeitsplatz! Nun ja, wir würden diesen Preis heute der Top-Class geben, steht das aufwendige Design des Arbeitsplatzes doch kaum dem des Exterieurs nach. Klassische Eleganz gepaart mit hoher Funktionalität vermitteln dem Fahrer die Gewissheit, die jeder Setra-Superhochdecker seit 1972 in seiner eigenen Art mit auf den Weg bekam: Mehr Bus geht nicht!

Legendärer Bus aus Nizza

"Der Setra S 200 war der Mittelpunkt des Genfer Autosalons", schrieb "Lastauto und Omnibus" anno 1972. Bis dahin hielten sich die Boden- und Gesamthöhen der Reisebusse für Eindecker in deutlichen Grenzen. Eine Ausnahme bildeten die in den 50er-Jahren von Setra an Continental in die USA gelieferten Busse. In Deutschland gewann dieser Trend zum Hochdecker erst 1970 an Schub, als ein Cityliner für Berlin als Sightseeing-Bus geordert wurde. Das zweibändige Standardwerk "Omnibusgeschichte" von Huss/Schenk beschreibt das Erscheinen des Neoplan Cityliner und des Setra S 200 dann auch so: "Mit diesen Fahrzeugen war der Bann gebrochen. Der Hochdecker entwickelte sich zu dem typischen Reisebus der heutigen Zeit."

Das seit 1957 in Nizza ansässige Unternehmen "Les Cars Phoceens" gewann 1976, also ein Jahr nach dem Bau unseres S 200, die erste Linienkonzession zwischen Nizza, Aix und Marseille, die der Wagen sodann auch 28 Jahre lang und über 1,6 Millionen Kilometer bediente. Nachdem der Wagen sich fünf Jahre von diesen Strapazen erholt, neue Batterien bekommen und eine kleine Reparatur am Druckluftsystem über sich ergehen lassen hatte, durfte er 2010 seinen 1.000 Kilometer langen Heimweg nach Ulm antreten, wo er in die historische Sammlung unter dem Label "Setra Classic" integriert wurde. Allerdings harrt er immer noch einer aufwendigen
Restaurierung, um wieder zu Strahlen wie in den sonnigen 70ern.

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