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Projekt von BMW, Scherm-Gruppe und Framo BMW setzt E-Lkw in Produktionslogistik ein

Foto: Thomas Küppers 17 Bilder

Drei Partner, eine Mission: Der Fahrzeugbauer BMW, die Scherm-Gruppe und der Umrüster Framo zeigen, dass es für E-Mobilität in der Logistik schon Einsatzfelder gibt.

Für den Elektro-Lkw gibt es keine Extrawurst. Langes Verweilen auf dem Speditionshof kann er sich nicht erlauben – auch wenn die Presse dabei ist und den schweren Stromer ausgiebig in Augenschein nehmen will. Der Sattelzug muss spätestens um 9.50 Uhr das Gelände des Logistikdienstleisters Scherm in Karlsfeld (Landkreis Dachau) verlassen. Sonst verpasst er sein Zeitfenster im zwölf Kilometer entfernt liegenden BMW-Werk München.

E-Lkw muss die gleichen Anforderungen erfüllen

Das kann sich der bei Framo im sächsischen Langenbernsdorf umgerüstete Lkw nicht leisten. Denn Rücksicht nimmt auf den 40-Tonner – der in seinem neuen Leben batterie-elektrisch und nicht mehr dieselbetrieben unterwegs ist – niemand. Im Gegenteil: Dem Fahrzeugbauer BMW als Auftraggeber und dem Betreiber Scherm war es wichtig, dass der Exot mit dem ­E-Motor die gleichen Anforderungen erfüllt wie seine konventionell angetriebenen Geschwister.

"Unser Plan war es, ein Dieselfahrzeug 1:1 zu ersetzen", erläutert Scherm-Geschäftsführer Daniel Pasztor im Gespräch mit der Fachzeitschrift trans aktuell. Angesichts der hohen Taktung bei einer Flotte von rund 500 eigenen ziehenden Einheiten kann die Disposition keinen Lkw gesondert betrachten.

600 Lkw im Warenein- und -ausgang bei BMW in München

Gleiches gilt für die Logistik­verantwortlichen bei BMW. Täglich 1.000 Autos werden in München gefertigt. Bei rund 3,2 Millionen Teilen, die dort in der Montage pro Tag verbaut werden und rund 600 Lkw im Warenein- und -ausgang müssen Prozesse und Verkehre getaktet sein. Mehr als das Zeitfenster von 30 Minuten für die Ent- und Beladung bleibt also auch dem Framo nicht, der auf seinem Megatrailer Achsteile auf dem Hinweg und Ladungsträger auf dem Rückweg bewegt. Seit Dezember ist das Fahrzeug bei Scherm im Einsatz. Das finanzielle Risiko haben sich BMW und Scherm geteilt.

Die Geschichte beginnt aber schon früher: 2013 setzte sich ein Team bei Scherm erstmals intensiv mit der Elektromobilität im Güterverkehr auseinander und betrachtete auch Märkte wie die USA und China. "Wir wollten zeigen, dass es schon praxistaugliche alternative Antriebe für den Nahbereich gibt", sagt Scherm-Geschäftsführer Pasztor. Fündig wurde die Spedition schließlich beim Hersteller Terberg, dessen Spezialität Flurförderzeuge und Sonder-Lkw sind, und später bei Framo. Den Wunsch, E-Fahrzeuge in der Praxis zu testen, trug Scherm dann an die BMW Group (Werk München) heran.

E-Lkw mit unschlagbaren Vorteilen im urbanen Umfeld

"Damit hat Scherm bei uns offene Türen eingerannt", sagt Kurt Sperlich, Leiter des Wareneingangs des Werks München bei der BMW Group. "Nachhaltiges Agieren ist eines der Grundprinzipien der BMW Group", bekräftigt er. Das Werk grenze an Wohnbebauung und eine Umweltzone, daher sei sich die Unternehmensleitung ihrer Verantwortung mit Blick auf Lärm- und Schadstoffemissionen bewusst. "Gerade im urbanen Umfeld hat ein Elektro-Lkw unschlagbare Vorteile", erklärt Sperlich.

Seit Juli 2015 hat Scherm einen Terberg in der Flotte

Dass sich der E-Lkw nicht nur in der Umweltbilanz gut macht, sondern sich auch gut in die Produktionslogistik integrieren lässt, hat sich nach Angaben von Scherm und BMW von Anfang an gezeigt. Seit Juli 2015 ist ein 40-Tonner von Terberg in der Scherm-Flotte für BMW unterwegs. "Es ist der erste rein elektrisch angetriebene 40-Tonner mit Straßenzulassung überhaupt in Europa", sagt Scherm-Mann Daniel Pasztor. Zuverlässig verrichtet der Sattelzug seitdem seinen Dienst und trifft im BMW-Werk an den Rampen hin und wieder auf den Framo.

Ein besonderer Moment ist die Begegnung mit seinem E-Lkw auf dem BMW-Gelände auch für den Framo-Chef. "Für mich ist ein Traum wahr geworden", sagt Andy Illgen. Denn von den ersten Gesprächen mit dem Scherm-Management auf der IAA 2016 bis zur Produktion und Auslieferung sei es ein weiter Weg gewesen – wenngleich die Zeitspanne Außenstehenden nicht sonderlich lang vorkommen mag.

Die Aufgaben der Geschwister Terberg und Framo sind dabei höchst unterschiedlich, was daran liegt, dass der Terberg auf 40 km/h gedrosselt ist. Der Framo ist mit Tempo 65 unterwegs und kann damit auch auf Bundesstraßen verkehren. Zwar wären auch 85 km/h technisch möglich, was aber die Batterien deutlich stärker fordern würde und Scherm deshalb nicht forciert. Absolviert der Terberg achtmal am Tag einen Rundlauf von sechs Kilometern, bewältigt der Framo pro Tour (hin und zurück) 24 Kilometer. "Der Terberg wäre für diese Strecke aufgrund seiner Tempobegrenzung nicht infrage gekommen – er wäre ein Verkehrshindernis", sagt Pasztor. "Der Sprung von sechs auf 24 Kilometer pro Rundlauf beziehungsweise von 48 auf knapp 200 Kilometer am Tag ist gewaltig", erklärt der Scherm-Mann und erhält von BMW-Logistiker Sperlich volle Zustimmung. "Durch die höhere Reichweite bekommt die E-Mobilität nun einen deutlichen Schub – wir sehen, was alles möglich ist."

Und auch die Fahrer ziehen mit: Sie sind bereits voll elektrifiziert. Anfangs habe man noch Schwierigkeiten gehabt, sie zu überzeugen, sagt Scherm-Fuhrparkleiter Ulf Frenzel. "Doch das hat sich schnell geändert." Das hohe Drehmoment ab null Drehzahl, etwa bei der Anfahrt an der Ampel, sei ein Erlebnis. Auch die niedrigen Innengeräusche machen das Arbeiten in der Kabine angenehm. Bei der Fahrt sind quasi nur Rollgeräusche und der Kompressor zu hören.

E-Lkw von Framo mit Reichweite von 200 Kilometern

Um neben dem Handling aber auch die Leistung des Framo-Fahrzeugs beurteilen zu können, sei es aber noch zu früh. Es gelte, erst einmal Erfahrungen zu sammeln – auch hinsichtlich der Batterieleistung. 200 Kilometer Reichweite sind nach vollständigem Aufladen möglich. Geladen wird jede Nacht an der Elektro-Ladesäule bei Scherm, zwischengetankt wird bei jeder zweiten Rückkehr nach Karlsfeld. 45 Minuten Laden reichen für eine 60-prozentige Füllung. Während der Strom fließt, wird der Trailer beladen, sodass es auch hier keine zeitlichen Ausfälle gibt. Sperenzchen kann sich der Stromer nämlich nicht erlauben. Denn wie gesagt: Extrawürste für Elektrofahrzeuge gibt es nicht.

BMW sieht Potenzial auch im Gasbetrieb

  • Die BMW Group prüft, wie sie verstärkt alternative Antriebe in der Supply Chain von und zu ihren Werken einsetzen kann. Das ist eine der Aufgaben einer Logistik-Innovationsabteilung, in der unter anderem Dr. Thomas Irrenhauser und Benedikt Anderhofstadt tätig sind. Sie sammeln Informationen über Anbieter, Technologien, Versorgungs-Infrastruktur und Förderprogramme.
  • Einen LNG-Einsatz hat BMW schon mit Duvenbeck erprobt, den CNG-Einsatz mit DB Schenker. Seit Januar betreibt die Spedition Zippel vier CNG-Lkw in Leipzig für die dortige Werksversorgung. Was die E-Mobilität angeht, sind an den Werken Landshut, Leipzig, Regensburg und München bereits neun E-Lkw im Einsatz, die bei Schnellecke, der Scherm-Gruppe, Elflein und ARS Altmann laufen.
  • "Das Potenzial des Elektro-Lkw sehen wir klar im Nahverkehr", sagt Innovationstreiber Irrenhauser. "Im Fernverkehr glauben wir, dass sich auf lange Sicht Wasserstoff durchsetzen wird." Sein Kollege Anderhofstadt und er halten es für wichtig, die Logistikpartner bei den Bestrebungen in Richtung Nachhaltigkeit mitzunehmen. "Logistikdienstleister werden sich umstellen müssen, daher ist es wichtig, dass wir sie über die verfügbaren Angebote und Technologien aufklären", erklärt Anderhofstadt.

Die Unternehmen

  • BMW: 98 Milliarden Euro Umsatz, 130.000 Mitarbeiter, Absatz von 2,5 Millionen Autos (BMW, Mini, Rolls-Royce) plus 164.000 Motorräder. 2016 Feier des 100-jährigen Bestehens. München ist der älteste von 30 Produktionsstandorten in 14 Ländern. 8.000 Mitarbeiter bauen dort täglich 1.000 Pkw. 600 Lkw sind dort täglich im Ein- und Ausgang, gesteuert über acht Versorgungszentren im Raum München. Drei davon betreibt die Scherm-Gruppe, zwei DB Schenker.
  • Scherm-Gruppe: Schwerpunkt Automobillogistik, 2.000 Mitarbeiter an 14 Standorten in Europa. 650.000 Quadratmeter Lagerfläche, 1.000 disponierte Einheiten, 500 eigene ziehende Einheiten. 1972 als Handelsbetrieb gegründet, 1978 Erwerb des ersten Lkw.
  • Framo: Von Fahrzeugbau-Ingenieur Andy Illgen gegründet. Spezialisierung auf Umrüstung von Lkw auf batterie-elektrischen Antrieb – vom Verteiler-Lkw zur schweren Sattelzugmaschine. 25 Mitarbeiter an der neuen Fertigungsstätte in Löbichau bei Gera. Bisher 18 Lkw bei Kunden im Einsatz, für 2018 sind 40 Fahrzeuge geplant.
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