Powertrucks aus fünf Jahrzehnten Volvo FH16 750, Scania R 730 und Co.

Foto: Scania, Volvo Montage: Götz Mannchen, Markus Bauer 26 Bilder

Kann denn Leistung Sünde sein? Einst war man mit 350 PS der King. Heute bietet die Leistungselite mehr als das Doppelte – aus gutem Grund.

Da rutscht nicht etwa die Kupplung. Nein, die Antriebsräder drehen in voller Fahrt einen Wimpernschlag lang durch. Das liegt auch nicht an den Reifen. Und es nieselt nur ganz wenig. Trotzdem erlebt der Mann am Steuer des damals brandneuen Volvo F16 im Sommer 1988 dieses Phänomen nicht nur einmal. An den steileren Brocken der Kasseler Berge tritt es stets beim Runterschalten vom 11. in den 10. Gang auf.

Seinerzeit ist die Technik eben noch nicht so weit, um die damals unerhörte Kraft von 2.005 Nm bis ins Letzte zu kontrollieren. Und so bekommt der 465 PS starke F16 aus den späten 80er-Jahren eben auch genau das zu hören, was die Altklugen heute einem Scania R 730 oder einem Volvo 750 immer noch vorwerfen: dass so viel Power doch sowieso niemand brauche. Wer diese Souveränität einmal verspürt hat, sieht das freilich anders, aber dünn ist die Luft hoch droben anfangs allemal. Die ganz großen Stückzahlen erreichen die Lkw- Hersteller in der Regel nicht, wenn sie ihre Alphatiere von der Leine lassen.

Scania positioniert sich 15 Jahre lang an der Spitze

Was also bezwecken die Konstrukteure, wenn sie ein ums andere Mal immer noch kräftiger auf die Pauke hauen? Da Übermut als Triebfeder nur sehr bedingt in Frage kommt, kann die Antwort nur lauten: Sie wollen ein Zeichen setzen und zugleich prestigeträchtig ins Rampenlicht treten. Nichts eignet sich dafür besser als ein neuer Rekord. Das ist schon 1969 so, als gewissermaßen der Urknall für das heutige Leistungsuniversum stattfindet. Scania reist mit Thors Hammer im Gepäck zur IAA und löst mit dem 14,2 Liter großen V8 wahren Donnerhall aus. 350 PS präsentieren die Schweden einem völlig verdutzten Publikum.

Für Scania ist dies das Ticket in den europäischen Markt. Wie weit der Achtender seiner Zeit voraus ist, zeigt am besten Folgendes: Erst 15 Jahre später wird ihm ein anderer den Rang streitig machen. Da hat Scania bereits im Jahr 1982 mit der 2er-Reihe das bis heute praktizierte Baukastensystem eingeführt. Und der V8 ist bereits bei 420 PS und 1.745 Nm angelangt. 2er-Reihe bedeutet: Der Motortunnel schrumpft merklich. Zudem gibt es eine Klimatisierung mit Pollenfilter. Die Armaturentafel aber bleibt noch immer plan und von einem gewissen Wildwuchs geprägt – vor allem bei den Kippschaltern.

Scania - der "King of the road" muss abtreten

Das berühmte Scania-Cockpit sollte erst gegen Ender der 80er mit der 3er-Reihe kommen. Und den Kühlergrill belassen die Schweden gar bis in die 90er-Jahre als latent aggressiven Lattenverschlag. Das Schicksal eines jeden Anführers ist es allerdings, dass seine Position auf Dauer nicht unangefochten bleibt. Erstaunlich genug, dass der V8 bis hin zum Jahre 1984 den Mythos vom „King of the road“ begründen darf. Dann aber tritt der Iveco Turbostar mit ebenfalls 420 PS auf den Plan.

Er ist das erste Baby der frisch gegründeten Industrial Vehicles Corporation – kurz Iveco, zu der sich die Unternehmen Magirus Deutz, Fiat und OM sowie Lancia und Unic zusammengeschlossen haben. Klarer Fall, dass der erste gemeinsame Lkw ein Paukenschlag zu sein hat. Zumal es immerhin neun Jahre gedauert hat, bis der Zusammenschluss erste Früchte in der schweren Klasse trägt. Mit seinem von Fiat stammenden 17,2 Liter großen V8 ist der 420 PS starke Turbostar denn auch ein Zugtier ersten Ranges. Aus dem riesengroßen Hubraum haben die Iveco-Konstrukteure per doppelten Turbo in maximales Drehmoment von 1.900 Nm ge- holt, die das Aggregat schon bei 1.100 U/ min bereitstellt. Tiefes Brummen, das in den Ohren dröhnt, begleitet den gewaltigen Antritt dieses Büffelmotors.

Mercedes greift nach den Sternen

Lang können sich weder Scania noch Iveco über die Pole-Position freuen. Schon 1985 greift dann Mercedes nach den Sternen und setzt noch einmal 15 Pferdestärken drauf. 435 PS machen den 44er-Benz zumindest bei der Nennleistung zum Chef im Ring. Beim Drehmoment hält sich der VAchtzylinder OM 422 LA eher vornehm zurück und belässt es bei maximal 1.765 Nm. Turboaufl adung und Ladeluftkühlung verhelfen dem 44er-Mercedes zu dieser hohen Leistung. Es hat bei Mercedes lange gedauert, bis diese Techniken Fuß fassen können.

 Eine kleine Ewigkeit gilt ausschließlich der 16 Liter große Zehnzylinder-Sauger als Favorit für die Spitzenmotorisierung, bis im Jahr 1979 die „Neue Generation 80“ (NG80) mit modifizierten Motoren antritt. Da erst feiern Turbo und Ladeluftkühlung bei Mercedes Premiere. Der Zeitpunkt für den Schritt nach ganz oben bei der Leistung ist gut gewählt: Langsam bahnt sich nicht nur der Generationswechsel zum SK (Schwere Klasse) hin ab, sondern es kommt auch auf politischer Ebene zu einem Signal, das Europas Transportwirtschaft kräftig umkrempeln soll: Just 1985 beschließt der Rat der Europäischen Gemeinschaft in Mailand, dass spätestens ab dem Jahr 1992 der freie Güterverkehr in der EU zu verwirklichen sei. Bemerkenswerter als die bloße Spitzen- Position bei der Leistung ist aus heutiger Sicht aber ein ganz anderes Novum, mit dem die Mercedes-Lkw ab 1985 zu haben sind.

1988 kommt EPS serienmäßig in der Schweren Klasse

Die Rede ist von der neuen Halbautomatik EPS. Trotz vieler anfänglicher Probleme kommt sie nur wenig später – ab 1988 – serienmäßig im SK. Der hat die Ganganzeige dann auch in die Instrumententafel integriert, während die EPS-Lkw der NG80 noch ein kleines Extra-Display auf der Armaturentafel tragen. Die Elektronik macht sich jetzt nicht nur an der Schaltung, sondern auch an der Einspritzung nützlich. So präsentiert sich die Drehmomentkurve des OM 422 LA nun plötzlich nicht mehr als hügelförmige Parabel, sondern als über weite Teile oben flach verlaufender Tafelberg. Damit steht das maximale Drehmoment nicht mehr nur an einem Punkt, sondern über ein breites Drehzahlband zur Verfügung. Für diesen 435-PS-Motor liefert Mercedes als weltweit erster Lkw-Hersteller auf Wunsch zudem eine elektronische Dieselregelung (EDR oder EDC), wie sie bald darauf überall auf breiter Front kommt.

Der Grund dafür: Schärfere Abgasnormen ziehen in Europa auf. Zum Ende des Jahrzehnts setzen die Behörden einen ersten Schritt fest, der heute als Euro 0 bezeichnet wird. Er bedeutet eine Schadstoffreduktion um immerhin 20 Prozent. Nur wenig später überspringt Scania dann die 470-PS-Latte – mit weltweit erstem Motor mit serienmäßiger EDC (Electronic Diesel Control).

MAN und Volvo ziehen nach

1987 kommt passend zu dieser Spitzenmotorisierung der neue R 143. Damit setzt sich wieder einmal Scania an die Leistungsspitze in Europa. Zuvor haben dem V8 von Mercedes jedoch schon andere den Rang abgelaufen: MAN ist 1987 mit einem 18,3 Liter großen und 460 PS starken V 10 gekommen, der auf dem gleichen Motorblock fußt wie die V-Maschinen von Mercedes. Und Volvo hat im gleichen Jahr einen neuen Reihensechszylinder mit 465 PS auf Kiel gelegt, der mit seinem Hubvolumen von satten 2,7 Litern pro Topf nicht wenig Aufsehen erregte.

Eine wahre Leistungseuphorie herrscht dann in der zweiten Hälfte der 80er-Jahre. Die Vertriebsleute bei MAN prophezeien für den schweren V10 ein jährliches Volumen von gerade mal 50 Einheiten. Es treffen aber allein aus dem bergigen Spanien Hunderte von Bestellungen ein. Rund zehn Prozent des Marktes können die Big Blocks seinerzeit erobern. Bei Scania macht der V8 gar 30 Prozent der Verkäufe aus. Da geht es Schlag auf Schlag. Kaum knackt Mercedes mit dem SK anno 1988 die 480-PS-Marke, folgt der innovative AE von Renault mit einem 503 PS starken V8-Aggregat der US-Tochtergesellschaft Mack. Der 16,5 Liter große amerikanische Bollermotor bietet mit 2.000 Nm das gleiche Drehmoment wie der knapp zwei Liter größere 460-PS V10 von MAN.

In den 90er Jahren zieht der Big-Block an PS kräftig an

Allerdings stutzt mancher Mechaniker nicht schlecht ob der bei Mack verwendeten Zollschrauben, denen mit europäischen Schraubenschlüsseln einfach nicht beizukommen ist. Auf ungefähr 500 PS pendelt sich die Spitzenleistung zu Beginn der 90er-Jahre ein und verharrt erst einmal für eine Weile auf diesem Niveau. Der Grund dafür: Euro 1 (1992) und Euro 2 (1995) beschäftigen die Ingenieure mit neuen Grenzwerten. Kaum aber ist die Abgasproblematik mit neuer Technik im Griff, flackert das alte Feuer wieder auf. Mit der Einführung der FH-Reihe spendiert Volvo 1993 dem Big Block für den FH satte 520 PS sowie ein Drehmoment von 2.400 Nm.

Renault gibt dem Flaggschiff Magnum ab 1996 dann gar 560 PS mit auf den Weg. Und MAN legt schließlich mit dem ein Jahr später vorgestellten, 600 PS starken V10 einen neuen Rekord vor, an dem fast zehn Jahre lang keiner zu rütteln wagt. Der Dino dankt allerdings relativ schnell auch wieder ab. Als der F 2000 – just im Jahr 2000 – dem TGA zu weichen hat und Euro 3 spruchreif wird, verschwindet er weitgehend in der Versenkung.

Eine umfassende Modernisierung verändert das Bild des Lkw

Auch andernorts wird kräftig gesiebt, fällt manch Big Block der Rationalisierung zum Opfer. Bei Iveco weichen die alten Maschinen Anfang des Jahrtausends der neuen Cursor- Generation, die es auf maximal 13 Liter Hubraum bringt. Renault sattelt im Zuge von Euro 3 von Mack-V8 auf Mack-Reihensechszylinder um, die zu diesem Zeitpunkt nicht mehr als 470 PS hergeben. Und muss schließlich 2005 – inzwischen bei Volvo unter die Haube gekommen – beim Magnum auch davon die Finger lassen und sich mit moderaten Reihensechszylindern der Konzernmutter zufrieden geben.

 Zunehmend schütter somit das Feld der Big Blocks für den Fernverkehr, seinerzeit nur noch angeboten von Mercedes, Scania und Volvo. Bei den Einspritzsystemen macht sich eine ganz neue Garde breit: Steckpumpen, Pumpe-Düse-Elemente sowie Common- Rail. Generell krempelt in den vergangenen zwei Dekaden eine umfassende Modernisierung das Bild des Lkw gründlich um. Ob Volvo FH, Scania 4er-Reihe, Mercedes Actros oder Iveco Stralis: Hightech bis hin zum CAN-Bus blitzt den Lastern bald aus allen Knopflöchern. Abgasrückführung wird spätestens mit Euro 6 fast überall zum Thema.

Ist mit 700 PS das Maximum erreicht?

Da aber Abgasrückführung auch immer mit gewissen Einbußen an Leistung verbunden ist, hat das zur Konsequenz: So um die 16 Liter Hubraum müsste der Big Block schon haben, soll ihm die Meute der kleineren Reihensechszylinder (zunehmend auf 13 statt auf zwölf Liter Hubraum gepolt) nicht zu nah auf den Pelz rücken. Als Vorhut taucht schon 2005 ein ganz neuer Scania V8 auf: 15,6 Liter Hubraum stehen für den neuen Dampfhammer des Greifen seitdem zu Buche. Mit 620 PS und 3.000 Nm aus diesem neuen Achtzylinder lässt Scania wieder einmal alle anderen hinter sich. Lang währt diese Freude nicht.

 MAN stößt schon 2007 mit einem neuen, zusammen mit Liebherr entwickelten V8 in die 680-PS-Region vor. Und Volvo knackt 2009 gar die 700-PS-Marke. Ihren Big Block haben die Volvo-Techniker stets up to date gehalten: EDC und 520 PS bereits 1993, Pumpe- Düse-Elemente und 610 PS im Jahr 2004, satte 660 PS und 3.100 Nm dann wenig später. Im Jahr 2009 dann der ganz große Coup: Erstmals 700 PS und 3.150 Nm im Serien-Lkw. Ende der Fahnenstange?

1.000 PS im Jahr 2030 - die Schweden spielen Zukunftsmusik

Mitnichten: Scania toppt diesen kühnen Streich sogleich mit dem 2010 vorgestellten R 730, aufgebohrt auf 16,4 Liter, der beim Drehmoment jenseits von Gut und Böse antritt. 3.500 Nm geben die Techniker dem 730er mit auf den Weg. Wie Scania Euro 6 meistern wird, das lässt sich an der Technik des R 730 schon ganz genau ablesen: Common-Rail-Einspritzung XPI sowie variabler Turbo – fehlt für Euro 6 dann nur noch die Abgasrückführung. Der Konter von Volvo, allerdings auf altbekannter FH 16-Technik basierend, kommt schon 2011 postwendend. Seitdem sind 750 PS und 3.550 Nm geboten. Wer bietet mehr?

Wenn es so weitergeht wie bisher, dann werden die 1.000 PS ums Jahr 2030 erreicht sein. Auch wenn sich viele Käufer für Boliden dieser Art heute schon nicht finden: Für die Motoren gibt es ja noch andere Abnehmer – Boote oder Baumaschinen zum Beispiel. Verlockend ist noch mehr Power allemal. Denn mag das Fingerhakeln der beiden Schweden auch noch so nach einem innerskandinavischen Gerangel um die Leistungskrone aussehen: Insgeheim werden Scania und Volvo gemeinsam eine diebische Freude daran gehabt haben, dem neuen Actros damit zumindest einen Teil der Show streitig machen zu können.

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