Neuausrichtung bei der Gewerkschaft ver.dienter Punktgewinn

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Ein Treffen von politisch engagierten Lkw-Fahrern mit Vertretern der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) ist erfolgreich verlaufen. Die Zukunft wird zeigen, ob Verdi das Versprechen, ein Netzwerk mit den Fahrerorganisationen zu gründen, auch einlöst.

Es ist gerade mal zwei Jahre her, dass die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) mitten in der Protestwelle gegen Sozialdumping, die damals von der Actie in de Transport Deutschland und den Kraftfahrer Clubs Deutschland in einigen deutschen Städten organisiert wurde, die beiden Fahrerorganisationen brüskiert hat.

Mario Klepp, damals als Bundesfachgruppenleiter Postdienste, Speditionen und Logistik der Verdi-Bundesverwaltung in Berlin noch recht frisch im Amt, hatte ein bereits zugesagtes Treffen in Kassel kurzfristig abgesagt. Erst auf Nachfrage stellte sich später der Grund heraus: Damals hatte der umstrittene Verleger Joop van Rooij die Führung der niederländischen Actie in de Transport übernommen, andere sagen: gekapert, und aus seiner Verbindung zur rechtspopulistischen Partei PVV von Geert Wilders keinen Hehl gemacht. Das war politisch zu heiß für Verdi.

Drei Jahre Allianz im Transportwesen

Das ist Vergangenheit, denn mittlerweile haben die wackeren Aktivisten um Udo Skoppeck und Michael Schmalz einen richtigen Verein gegründet: Die Allianz im Transportwesen, kurz: A.i.d.T., feiert dieser Tage ihr dreijähriges Jubiläum. Sie haben 65 treue Mitglieder und viele Freunde auf Facebook, dort aber auch Neider und Nörgler, denen es nie schnell genug gehen kann. Der harte Kern hat seine Linie gefunden, sich wirklich professionalisiert und mit Gregor ter Heide einen fundierten Kenner des EU-Rechts als Berater im Hintergrund. Und obwohl einige Fahrer bereits wieder mit den Füßen scharren, um hupend mit Lkw-Konvois durch die Städte zu ziehen, hat man sich, neben dem Thema Verkehrssicherheit für den langen und mühsamen Weg durch die Instanzen entschieden. Der erfolgreiche Besuch im Deutschen Bundestag wurde wenige Kilometer spreeaufwärts bei Verdi durchaus mit Bewunderung zur Kenntnis genommen.

Erfolgreich im Kreis

Mit etwas weniger Fokus in der Fachöffentlichkeit gründete vor fünf Jahren der Lkw-Fahrer Lars Kretschmann aus Miltenberg mit fünf Kollegen einen Kraftfahrerkreis. Dieser wird von Patrick Gerson, dem für die Fahrer der Region Aschaffenburg zuständigen Verdi-Gewerkschaftssekretär, der einst selbst als Lkw-Fahrer begann, unterstützt. Bald trat auch Burkhard Taggart, langjähriger Fahrer bei HSV in Friedewald dem Kreis bei. Zusammen mit Kretschmann bildet er dort den Vorstand. Eine stark gewachsene Gemeinschaft trifft sich nun einmal im Quartal an einem Samstag im Calpam Autohof in Kleinostheim, um über aktuelle Probleme zu reden und den Fahrern von gewerkschaftlicher Seite Hilfe im Arbeits- und Tarifrecht zu geben. Eine Mitgliedschaft in Verdi ist keine Voraussetzung. 

Jeder kämpft für sich allein

Lkw-Fahrer sind Einzelkämpfer, viele sorgen sich eher, wenn derzeit auch aus gutem Grund, ob die Polizei ihre Zusatzlampen bemängelt, als ums Arbeits- und Tarifrecht. Jeder handelt für sich selbst die Löhne aus und manche geben schnell klein bei, wenn der Chef droht, ihm den neuen Lkw wieder wegzunehmen. Kein Wunder also, dass von den rund 445.000 Fahrern im gewerblichen Güterverkehr (ohne den Werkverkehr von Handel und Gewerbe) nur rund 20.000 Fahrer bei Verdi organisiert sind. Aber die Gegenseite der Arbeitgeber ist auch nicht besser: Von dem im Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) über die jeweiligen Landesverbände organisierten Arbeitgebern ist nur noch etwa ein Drittel tarifgebunden. Erschwerend kommt hinzu, dass im Zuge der Verlagerung der Kompetenzen auf die jeweiligen Landesbezirke bzw. Landesverbände ein einheitlicher Bundesmanteltarifvertrag für alle Fahrer, den es früher einmal gab, in weite Ferne gerückt ist. 

Henne und Ei

So taucht bei Diskussionen über die Bedeutung der Gewerkschaft immer wieder die Frage nach Henne und Ei auf, was auf die Verhältnisse angepasst heißt: Die Fahrer beklagen, dass die Gewerkschaft nichts für sie tut, und die Gewerkschaft kontert, sie könne erst etwas für die Fahrer tun, wenn sie Mitglied der Gewerkschaft werden. Diese muntere Schuldzuweisung hätte noch jahrelang weitergehen können, wenn Burkard Taggart, sicherlich ermutigt durch den Erfolg der Berliner Aktion, nicht im letzten Jahr eine beherzte E-Mail an Mario Klepp und Ralph Werner, der Verdi schon seit 2015 in Brüssel bei der Europäischen Transportarbeiter Föderation (ETF) vertritt, geschrieben hätte.

Immerhin – Werner ist auf Bundesebene der einzige Lkw-Fahrer, auch wenn er viele Jahre "nur" für die Post gefahren ist. Aus einem zunächst munteren Hin und Her der Argumente folgte schließlich eine konkrete Einladung zu einer öffentlich Diskussionsrunde am 20. Februar im Calpam Autohof in Kleinostheim. Auch die A.i.d.T. war geladen und kam mit einem Dutzend Mitglieder. Insgesamt war der kleine Saal mit 50 Teilnehmern bis auf den letzten Platz gefüllt.

Offene Worte von beiden Seiten

Geschenkt wurde sich nichts – auf beiden Seiten. Mit großer Offenheit erklärten Klepp und Werner, dass man in der Vergangenheit Fehler gemacht habe, an die Fahrer heranzutreten. Aber eins sei auch klar – mit nur wenigen Mitgliedern fließt auch wenig Geld in die Arbeit, die Fachgruppe hängt am Tropf der mit zahlreichen Mitgliedern gesegneten Postdienste. Nur zwei Stellen sind daher in Berlin für die bundesweite Fahrerbetreuung zu finanzieren. Die bisherige Strategie hat sich darauf beschränkt, Fahrer, die beispielsweise einen Betriebsrat gründen wollten, zu unterstützen. Auch der Rechtschutz für Mitglieder ist ein fester Bestandteil der Gewerkschaft. Die versuchte Zusammenarbeit mit dem BGL beim drängenden Thema Bekämpfung des Sozialdumpings sei nicht zielführend gewesen. "Bevor wir hier mit dem BGL wieder etwas gemeinsam machen, soll man dort erst einmal einen Ehrenkodex für die Mitglieder schaffen", betont Klepp. Heißt: So lange Transportunternehmer bei Tagungen den fairen Wettbewerb propagieren und gleichzeitig selber mit Fahrern aus Osteuropa oder dortigen Niederlassungen unfairen Wettbewerb betreiben, rückt eine Zusammenarbeit in weite Ferne.

Neuausrichtung der Strategie

Das Ergebnis des Abends ist kurz gesagt: Verdi will seine Strategie ändern und stärker auf die Fahrer zugehen. Dazu zählt die Unterstützung zum Aufbau weiterer Kraftfahrerkreise wie jetzt in Hannover-Hameln. Mit einer App, die bis Anfang 2017 fertig sein soll, wird der direkte Draht zu den Fahrern verbessert. Das Argument, Fahrer seien schwer zu erreichen, zählt seit Facebook und anderen Medien nicht mehr. Auf den Punkt gebracht: Verdi möchte eine Neuausrichtung und die Themen der Fahrer stärker in den Fokus rücken. "Dazu muss auch in den Reihen der Verantwortlichen auf Landesebene ein Verständnis für diese Aufgabe geweckt werden", sagt Werner. "Weiter müssen wir von den Akteuren des Kraftfahrerkreises lernen, wie man wirkungsvoll Kraftfahrer anspricht und sie für eine Teilnahme an solchen Veranstaltungen gewinnt. Die in diesen Kraftfahrerkreisen angesprochenen Themen werden wir dahingehend auswerten, was Verdi dazu beitragen kann, diese Themen an die Entscheider zu bringen, und wie wir Netzwerke nutzen, um den Druck auf die Politik und die Kontrollbehörden zu erhöhen. Der hiesige Kraftfahrerkreis hat uns gezeigt, dass es möglich ist, Kraftfahrer anzusprechen. Das müssen wir auf Bundes- und Landesebene den Gremien bei Verdi deutlich machen und sie dafür begeistern."

Aufbau eines konkreten Netzwerks geplant

Und deswegen ist der größte greifbare Erfolg dieses Abends, dass Verdi ganz konkret auf das Angebot der A.i.d.T. eingehen will, ein gemeinsames Netzwerk aufzubauen, um noch mehr Fahrer zu erreichen und diese dabei auch vom Sinn und Zweck der Mitgliedschaft in Verdi zu überzeugen. Frei nach dem Motto: Nur gemeinsam sind wir stark. Um dieses Ansinnen zu bekräftigen, trat Udo Skoppeck noch am selben Abend in die Gewerkschaft Verdi ein. Burkhard Taggart wiederum ist ab sofort Mitglied der A.i.d.T. Und damit ist auch der Zwist von einst per Handschlag vergessen. Nun müssen den Worten aber entsprechende Taten folgen. Eine Einladung von Verdi an die bekannte "Berliner Runde" der politisch engagierten Fahrer ist als erster Schritt in Vorbereitung. Ein ver.dienter Punktgewinn – für alle Beteiligten. FERNFAHRER wird das Projekt begleiten und weiter darüber berichten. 

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