Neoplan Cityliner von Müller Oldtimer im Teilzeitbetrieb

Neoplan Cityliner von Müller, Porträt Foto: Thorsten Wagner 6 Bilder

Erfolgreiche Busunternehmen pflegen Oldtimer nicht nur aus Nostalgiegründen, sondern setzen sie gezielt ein – wie Müller in Massenbachhausen seinen aufwendig restaurierten Neoplan Cityliner, der Star der diesjährigen Oldtimer-Messe Retro Classics.

Für gewöhnlich kümmern sich Fahrgäste herzlich wenig um die Marke des Reisebusses, mit dem sie unterwegs sind. Weshalb auch? Hauptsache das Fahrzeug ist bequem und befördert seine Passagiere sicher von A nach B.

Es gibt aber auch Ausnahmen: "Wir wollen mit dem neuen Doppeldecker von Müller fahren", lautete in den 80ern bei dem Busreisenanbieter aus dem beschaulichen Massenbachhausen bei Heilbronn ein häufig geäußerter Wunsch. Anlass dieser Begehrlichkeit war aber nicht etwa ein Neoplan Sky­liner oder der damals nagelneue ­Setra DT. Es war vielmehr ein braver Neoplan Cityliner – der erste des 1928 gegründeten Unternehmens.

Neoplan war König der Straße

Die Kundenreaktion war kein untypisches Phänomen damals. Der Cityliner mit seiner neuartigen Bauweise und der extremen Höhe führte nämlich ein neues Reisehochdecker-Segment ein, das bis zu diesem Zeitpunkt unbekannt war. Bis zur Ablösung durch die neue Generation im Jahr 2006 bildete der Cityliner mit seinem breiten Modellangebot und mehr als 6.000 gebauten Bussen das Rückgrat der Flotte.

"Mit dem Cityliner hatten wir ab 1982 erstmals einen Neoplan im Fuhrpark. Mit dem war man damals der König der Straße, er fuhr sich wie ein Traum", erzählt Walter Müller, einer der heutigen Geschäftsführer. Das 65 Mitarbeiter zählende Unternehmen leitet er zusammen mit seinem Bruder Albert und seiner Mutter Traude. Trotz ihrer 81 Jahre ist sie noch jeden Tag in dem repräsentativen Firmengebäude anzutreffen, das die Müllers 2002 neu errichteten.

"Ich wollte immer schon einen Oldtimer besitzen. Vor zehn Jahren haben wir dann den Saurer LC 4, Baujahr 1958, gekauft und ihn auf den Namen unseres Vaters Wilhelm getauft", erinnert sich Walter ­Müller an die Anfänge der "Old­timer-Abteilung".

Mit Wilhelm und Traude auf Reisen

Vor fünf Jahren kam ­"Traude" dazu, ein Auwärter-Oldtimer, Baujahr 1950, auf Mercedes O3500-Fahrgestell mit Panoramascheiben und Cabriodach. Die ersten Touren mit "Wilhelm" und "Traude" waren zusammen mit der Lokalzeitung "Heilbronner Stimme" als Leserreisen organisiert. In sechseinhalb Jahren kamen so bereits 40 Touren zusammen.

"Wir haben uns ein neues Reisen-Segment erarbeitet, das wir auch mit einer zielgerichteten Vermarktung bearbeiten", erklärt Bus­enthusiast Müller. "Wenn man mit dem Oldtimer zu den Besenwirtschaften kommt, da machen ­alle das Türle auf", flachst er.

Inzwischen verzeichnet der Müller’sche Hauskatalog acht Oldtimer-Touren. Dazu gehört beispielsweise die Reise "Mit dem Dampfzug durch den Welzheimer Wald". Für Walter Müller sind seine Oldtimer "Visitenkarten" des Unternehmens.

Grund genug für ihn,  den kleinen Nostalgie-Fuhrpark um einen weiteren, recht modernen Vertreter zu vergrößern: den Neoplan Cityliner mit der Produktionsnummer 9 aus dem ersten Baujahr 1971.

Oldtimer müssen jeden Tag raus

Bis 1990 verrichtete der Cityliner Dienst in Harsewinkel beim Busunternehmen Bröskamp, ebenfalls ein langjähriger Neoplan-Kunde. "Der Cityliner hat zwar ­einen völlig anderen Charakter als die beiden Haubenbusse, aber er wird sich bei uns bewähren", behauptet Walter Müller.

Dabei muss der Neuzugang wie auch seine beiden älteren Kollegen beileibe nicht nur gutgelaunte Wochenendausflügler kutschieren: "Unsere Oldtimer stehen nicht rum, die müssen jeden Tag raus, das ist doch klar", erklärt Bruder Albert Müller, der sich im Unternehmen vorwiegend um die Technik kümmert.

"Für den normalen Schulbus- oder Linieneinsatz sind sie zu schade, aber für unsere Sonderschulfahrten einfach ideal", sagt Albert Müller. Und so ist auch der Cityliner, der inzwischen schon rund 1,65 Millionen Kilometer auf der Uhr hat, fast täglich mit einem Stammfahrer auf Tour.

Bis der hochwertig mit Edelstahl beplankte Hochdecker, der wie alle älteren Müller-Busse nicht komplett rot lackiert ist, ­ein­gesetzt ­werden konnte, hat es aber eine Weile gedauert. Nachdem Neoplan-Unternehmensveteran und Oldtimer-Mäzen Konrad Auwärter den Bus vom Vorbesitzer übernommen hatte, wurde das Gerippe in einer ersten Restaurationsstufe bei Matthias Kühn in Syrau bei Plauen komplett neu aufgebaut. Dies dauerte bis 2007.

Sanierung von Grund auf

Als der Wagen dann Anfang 2014 nach der Begutachtung von ­Müller-Disponent und Oldtimer-Spezialist Hartmut Nietzold nach Massenbachhausen geholt wurde, war schnell klar, dass es ­allein mit der äußeren Kosmetik nicht getan ist. Die Technik musste ebenfalls grundlegend überholt werden.

Angefangen beim luftgekühlten Henschel-Sechszylinder mit 240 PS, der nach Aussage von Albert Müller "keine Wurst vom Teller gezogen hat". Der Grund waren defekte Kolbenringe und eine falsch eingebaute sowie verschlissene Kupplungsscheibe. "Das ging so weiter. Die komplette Technik war marode", berichtet Müller.

Die Liste der unter Führung von Werkstattmeister Klaus Tiltscher weitgehend selbst ausgeführten Arbeiten fand fast kein Ende: Luftleitungen, Lichtmaschine, Anlasser und vieles mehr mussten komplett erneuert, oft aufwendig besorgt oder nachgebaut werden.

Frontscheiben sind Sonderanfertigungen

Hinzu kamen weitere Arbeiten wie die Erneuerung der markenprägenden obere Frontscheibe (drei Stück wurden als Sonderanfertigung in Finnland für rund 6.000 Euro beschafft). Ebenso stand die komplette Überholung der Scheibenwischer in der Lehrwerkstatt des Herstellers SWF und der ­Einbau eines modernen Begleitersitzes mit Gurt auf dem Programm. Der Rückbau auf die originalen Hecklichter und die Umlackierung auf die Hausfarben von Müller seien noch das Geringste gewesen. Die nachträglich auf das Jetliner-­Modell angepassten Frontscheinwerfer blieben dem Wagen einstweilen erhalten, original waren sie etwas gewöhnungs­bedürftig hochkant verbaut.

Das Ergebnis der rund ein Jahr dauernden Überholung kann sich sehen lassen. Der Wagen ist nach den Worten seines geistigen Vaters Konrad Auwärter von ­einer Einser-Bewertung auf dem kritischen Oldtimermarkt nicht weit entfernt. "Die Gebrüder Müller haben mit sehr viel Liebe den Cityliner auf ihre Hausfarben hergerichtet und noch einmal viel Geld investiert. Es ist ein ganz ­besonderes Fahrzeug geworden", urteilt Konrad Auwärter.

Debüt auf der Retro Classics

Das zweite Debüt nach 2007, jetzt als komplett restaurierter und voll fahrbereiter Oldtimer, hatte der City­liner dann auf der diesjährigen Retro Classics in Stuttgart. Dort stellt Auwärter regelmäßig in schwäbischer Verbundenheit aus. Schließlich wurde der Bus einst keine fünf Kilometer von der Messe entfernt im Stuttgarter Stadtteil Möhringen gebaut, wo 2006 das Werk geschlossen wurde. Die Kollegen unserer Schwesterzeitschrift "auto motor und sport" kürten den Bus dieser Tage auch im Internet zu einem ihrer Highlights der Retro Classics.

Eine kurze Fotoausfahrt mit dem Wagen über die angrenzenden Landstraßen bei Massenbachhausen überzeugt von der Alltagstauglichkeit und Laufruhe des Reisebusses. Vom Federungskomfort der Neoplan-Vorderachse kann sich so mancher heutige Bus eine Scheibe abschneiden. Klappern und Knarzen ist dem Wagen weitgehend fremd. Und die Aussicht für die Gäste ist auch heute noch beeindruckend.

Die Beziehung der Firma Müller zu MAN und Neoplan hat sich sicher gewandelt, ist aber immer noch positiv und von Dauer. Wenn auch der Fuhrpark mit einigen technischen Leckerbissen wie den Midibussen Temsa MD9 und Viseon C11 sowie einem Van Hool Altano mit Unterflurcockpit gewürzt ist, ist die Familie Müller dem Hersteller weitgehend treu geblieben.

Die meisten der 17 roten Müller-Reisebusse auf dem Betriebshof ziert der schwarze Neoplan-Schriftzug auf Chrom. Beim Start des Luxusbusses Star­liner der zweiten Generation im Jahr 2004 war es keine Frage, dass die Firma Müller eines der 20 Felderprobungsfahrzeuge unter seine Fittiche nahm, später kamen noch sechs Busse des seltenen Typs dazu.

Kunden sind vom Neuzugang begeistert

Letzter Neuzugang ist ein Fünf-Sterne-Cityliner mit Hecklounge und zwei weiteren Sitzgruppen sowie komfortablen Beinauflagen: "Bisher hatten wir für die Sitz­anlage immer nur gute Noten ­bekommen, von der Fünf-Sterne-Variante sind die Kunden aber  durchweg begeistert", erklärt Walter Müller das Konzept der "Müller-Premium-Linie". Dieses dritte Geschäftsfeld zielt vor allem auf VIP- und Firmenfahrten ab. "Wir wollen hier keine Kompromisse machen", sagt er.

Kompromisslos soll es auch weitergehen in Sachen Neoplan. Auf der IAA Nutzfahrzeuge in Hannover hat Walter Müller kurzerhand den auf der Messe ausgestellten Neoplan Skyliner gekauft. Müller soll das Fahrzeug im kommenden Sommer erhalten – und zwar zu einem denkwürdigen Datum: dem 75. Geburtstag von Konrad Auwärter.

Gleichzeitig wird der Cityliner, Baujahr 1971, sicher noch lange ­seinen Dienst verrichten – schließlich geht man in der Busbranche nie so ganz in Rente.

Marken-Ikone

Der Neoplan Cityliner wird 1971 zuerst als Bus für Stadtrund­fahrten mit höhergesetzter Fahrgastebene konzipiert, um den Passagieren einen besseren Überblick zu ermöglichen. Premiere feierte er auf der internationalen Omnibuswoche in Monaco. Es war ein Fahrzeug für den Kunden Severin & Kühn (Foto oben im Werk Stuttgart vor dem Versuchsgebäude). Die auffällige Trennung der Fahrzeugfront durch einen schmalen waagerechten Steg, die dynamisch nach vorne geneigten Fensterholme und die optische Verlängerung der B-Säule nach unten stehen auch noch nach vier Jahrzehnten für markantes und zeitloses Design. Inzwischen hat es sich in die Neoplan-DNA eingebrannt. Zudem haben die Konstrukteure den Fahrersitz weiter nach unten gesetzt und die Sitze auf Podesten montiert, um den Fahrgästen die beste Aussicht zu bieten. Nebeneffekt: Erstmals ließ sich eine Toilette unter dem Fahrgastboden unterbringen. Das wiederum ermöglichte mehr Sitze. Die Zusatzverglasung unter den Seitenscheiben kennzeichnete den Aussichts-Cityliner.

Er ist aber mittlerweile sehr selten anzutreffen. Das Konzept erwies sich mit viel Kofferraum besonders für Reisedecker geeignet. 1973 bereits erweiterte Neoplan die Baureihe um einen Dreiachser, der den Weg zum modernen Großraumreisebus beschritt. Das Fahrzeug gewann denn auch sofort den Grand Prix des Salons. lastauto omnibus urteilte seinerzeit: "Seine Fahreigenschaften und der von ihm gebotene Komfort lassen Kritiker verstummen, befriedigen selbst verwöhnte Passagiere und bieten schlechthin optimale Bequemlichkeit. Dass dieser Gesamteindruck nicht nur die Ansicht eines einzelnen Testers darstellt, geht aus dem gewiss strengen Urteil der Jury von Nizza hervor, die eben diesen Neoplan N 116/3 mit dem Grand Prix d’Excellence auszeichnete, der höchsten Auszeichnung im Wettbewerb des europäischen Omnibusbaus." Der Bröskamp-Cityliner mit der Produktionsnummer 9, bis 1990 im Alltagseinsatz, wurde zum 35-jährigen Jubiläum der Baureihe im Jahr 2006 vom Fachbetrieb Matthias Kühn instand gesetzt  und vom neuen Besitzer Müller Reisen in Massenbachhausen auch technisch vollständig überholt.

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