Mit Schrott durch den Pott Als jüngster Fahrer das neueste Firmenauto

""Mit Schrott durch den Pott"" Foto: Jan Bergrath 11 Bilder

Michael Erdmann liebt den Fahrerberuf und den extravagant ausgestatteten Lastzug. Sein Job sind Recycling-Rundläufe, seine Gegner die Staus

Ein Beifahrer hat es nicht leicht bei Michael Erdmann, schließlich ist er der Herr im Haus oder besser in der top gepflegten Fahrerkabine eines Mercedes Actros. Blaue Lichter in allen Nischen erzeugen ein gemütliches Ambiente und die Vorhänge mit dem Schriftzug „Michi seiner!“ sorgen für Wohnlichkeit. Allerdings: Der schwarze Kunstlederbelag auf dem Fußboden ist für fremde Schuhe schlicht tabu.

Das macht es etwas umständlich, auf Schrottplätzen rein- und rauszuspringen, um den edlen Lastzug zu fotografieren. Aber schließlich hat sich der Chauffeur selbst auferlegt, nur mit sauberen Sicherheitsschlappen hinterm Lederlenkrad zu sitzen. Die schmutzigen Arbeitstreter warten im Einstieg hinter der geschlossenen Tür auf den nächsten Einsatz. Deshalb wird der linke Stiefel öfter mal nass, wenn der sommerliche Stark regen gegen das Blech prasselt. Dieses Problem vieler Fahrer haben die Konstrukteure in Wörth wohl noch nicht zu Ende gedacht.

Michael weiß, wovon er redet – schließlich hat er Karosserie- und Fahrzeugbau gelernt. Schon mit 19 Jahren macht er auf eigene Kosten den Lkw-Führerschein. „Wir haben uns einfach mit 15 Mann von der Berufsschule zusammengeschlossen und bei einer Fahrschule einen Mengenrabatt bekommen.“ Im Auftrag seiner Fachwerkstatt holt er im Rahmen nicht gewerblicher Transporte zunächst Lkw bei den Kunden ab.

Doch die Faszination des Berufs hat ihn schon früher infiziert. Sein Vater fährt seit über 30 Jahren im internationalen Fernverkehr. „Wann immer ich die Zeit hatte, bin ich mit ihm unterwegs gewesen. Als ich schließlich alt genug war, habe ich mich um eine erste richtige Fahrerstelle bemüht.“ Im Februar 2009 beginnt Michael in Buchholz im Fuhrpark von Joachim Quick, dem heutigen Vorsitzenden des Bundesverbandes Wirtschaft, Verkehr und Logistik (BWVL).

Als jüngster Fahrer das neueste Firmenauto

Ausgestattet mit einem befristeten Einjahresvertrag ist er als jüngster Fahrer mit Baustoffen im Westerwald unterwegs. Dann bekommt er ein Angebot von Josef Rösgen aus Königswinter. „Mein heutiger Chef hatte 2009 die kleine Firma seiner Eltern übernommen und sich schnell auf Schrotttransporte spezialisiert.“ Auch gibt es einen sehr persönlichen Bezug: „Mein Onkel und mein älterer Bruder waren zu diesem Zeitpunkt schon lange dort beschäftigt.“

Im Mai 2010 fängt Michael bei Rösgen an – und fährt zunächst mit einem Leasingfahrzeug. Er bewährt sich, sodass ihn der Chef Anfang dieses Jahres fragt, was er sich denn für den neuen Lkw, der die Flotte auf acht eigene Lastwagen vergrößern sollte, als Ausstattung vorstellen könne. „Ich habe einfach mal einen Wunschzettel geschrieben“, lacht Michael. Und dann kommt der große Tag. Im März darf er als jüngster Fahrer das neueste Firmenauto im Werk abholen.

„Ich war stolz wie Oskar und habe nicht nur das tolle Profi-Training absolviert, sondern auch den Werksrundgang mitgemacht. Als ich wenig später den neuen Auflieger abholen durfte, war mein Glück vollkommen.“ Kein Wunder also, dass Michael den edlen Laster hütet wie seinen Augapfel. Das ist nicht ganz so einfach, denn die vier bis fünf Schrotthändler und Baustellen, die er werktäglich auf seinen Touren durch das Ruhrgebiet anfährt, bilden eine ganz schön große Angriffsfläche für alles, was es zu schützen gilt: die Mulde vor allzu unkonzentrierten Baggerfahrern, die Alu-Felgen und die Rollplane vor scharfkantigen Gegenständen und die heimelige Hütte vor Feinstaub.

Kaum hat er sich bei einem der Platzmeister die Frachtpapiere quittieren lassen, bläst Michael alle Ritzen und Fugen mit Druckluft ab. Erst dann fährt er auf die Waage. Doch nicht nur die Optik liegt ihm am Herzen, auch die teure Lkw-Technik. Im Chemiepark von Bayer in Leverkusen muss er ein Dutzend Stahlträger abholen. Ein Dauerauftrag, bis das alte Hochhaus komplett abgerissen ist.

Durch die pneumatische Verriegelung ist die Heckklappe zusätzlich gesichert

„Es ist zurzeit meine erste Anlaufstelle auf dem Weg ins Ruhrgebiet.“ Krachend lässt der Baggerfahrer die Träger in die Mulde fallen. Die Ladung ist zwar sperrig, aber mit knapp 15 Tonnen nicht allzu schwer. Michael kontrolliert am Armaturenbord die Achslast. „Für mich ist das natürlich ideal. Denn manch alte Fahrzeugwaage auf den Schrottplätzen ist nicht mehr ganz korrekt. Und auf Baustellen gibt es gar keine Möglichkeit zu wiegen. Aber „Pi mal Daumen“ kannst du dir heute bei den vielen Kontrollen gar nicht mehr erlauben.“

Die Fracht geht zu Interseroh in Mühlheim an der Ruhr, der Weg führt über die A 3 und die A 40. Doch er ist heute früh versperrt, ein Stau von 18 Kilometern. Im Kreuz Kaiserberg hat ein Lkw sieben Tonnen Klärschlamm verloren, weil sich die Heckklappe des Kippers geöffnet hat. „Das kann mir eigentlich nicht passieren“, meint Michael. „Meine Heckportale sind zusätzlich durch eine pneumatische Verriegelung gesichert. Ich kann vor dem Kippen gefahrlos die manuelle Verriegelung öffnen, ohne dass mir der ganze Schrott gleich vor die Füße fällt.“

Besser ist das – wie er gut anderthalb Stunden später auf dem Abladeplatz demonstriert. Kaum hebt sich die Mulde, krachen die Träger mit Schwung auf den Boden und hüllen den Lkw in Staub. Natürlich verrät Michael auch den Kniff, den er immer beim Abkippen nutzt: „Sobald der Schrott ins Rutschen kommt, gehe ich mit dem Fuß von der Bremse. Das schwere Material schiebt den Zug dann ein Stück nach vorne.“ Bei Interseroh werden die Träger auf Maß geschnitten und an Stahlwerke verkauft.

Der Truck-Grand-Prix ist für die Firma der Höhepunkt des Jahres

Normalerweise würde Michael jetzt mit einer Anschlussladung zu Thyssen-Krupp nach Duisburg fahren, eine praktische Tour. Doch der Kunde hat kurzfristig abgesagt. Als Alternative bleibt der Weg über die A 40 Richtung Mönchengladbach, „Schrottbären“ laden. Das ist mit Schlacke versetzter Schrott, der wiederum bei einem anderen Recyclingbetrieb in Mühlheim verarbeitet wird. Wieder Stau. So wird es langsam eng mit der Zeit, als er am späten Mittag Richtung Ennepetal fährt.

„Keine Ahnung, wie mein Chef die Touren plant, wenn die A 40 für die nächsten drei Monate total gesperrt ist. Wenn ich einen Kunden nicht mehr schaffe, bleibe ich stehen. Zeitdruck habe ich nicht wirklich.“ Etwa 30 Schrotthändler kennt Michael. Er ist die ganze Woche unterwegs, meistens im Ruhrpott, manchmal in Süddeutschland, gelegentlich in Berlin. Jetzt lädt er in Ennepetal gegen halb vier doch noch sogenannten Scherenschrott, der in Luxemburg eingeschmolzen wird.

Einen Moment passt er nicht auf. Und ein spitzes Blech reißt ein kleines Loch in die Plane – trotz Netz. „Ich verzichte diesmal darauf, die Ladung abzudecken“, ärgert er sich. „Sonst wird das Loch unterwegs noch größer.“ Bis zum Autohof „Zur Schneifel“ in Olzheim an der B 51 reicht die Lenkzeit noch. Dort duscht er und legt sich früh ins Bett. Morgens um fünf geht es weiter. Danach fährt er zurück auf den Hof und wäscht den Zug noch einmal besonders gründlich komplett – für den schönen Schein. „Am Wochenende fahren wir mit vier Trucks und dem Chef gemeinsam zum Truck-Grand-Prix. Für unsere kleine Firma ist das mittlerweile der Höhepunkt des Jahres.“

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