MAN und DB Schenker Platooning-Projekt läuft an

MAN TGX 26.500 Platoon für DB Schenker Fahraufnahme Foto: MAN 9 Bilder

MAN erprobt gemeinsam mit DB Schenker und der Hochschule Fresenius das automatisierte Kolonne-Fahren. Dazu wurden zwei Serien-TGX mit zusätzlicher Sensorik und einem angepassten Cockpit aufgerüstet.

MAN hat zwei Platooning-Fahrzeuge an DB Schenker übergeben. Die beiden Unternehmen werden das automatisierte Kolonne-Fahren gemeinsam auf dem Digitalen Testfeld Autobahn entlang des bayerischen Teils der A 9 erproben. Dabei kommen zwei Wechselbrückenzüge auf Basis MAN TGX 26.500 zum Einsatz. Sie werden zwischen den beiden DB-Schenker-Geschäftsstellen Nürnberg und München verkehren, eine Strecke von etwa 140 Kilometern oder rund zwei Stunden Fahrzeit und überwiegendem Autobahnanteil.

"Automatisierte Fahrzeuge werden den Verkehr revolutionieren."

"Wir schaffen aus einer Powerpoint-Präsentation Realität", verkündete Dr. Frederik Zohm, Vorstand Forschung und Entwicklung von MAN Truck & Bus, anlässlich der Fahrzeugübergabe. "Automatisierte Fahrzeuge werden den Verkehr revolutionieren. Sie werden die Logistik flexibler und wirtschaftlicher machen", ergänzte Ewald Kaiser, Chief Operating Officer (COO) von DB Schenker. Die Kunden würden nach mehr Effizienz und nach mehr Klimaschutz verlangen. Das Platooning würde beides ermöglichen und sei der nächste Schritt hin zu einer CO2-neutralen Spedition. Bevor am Ende des Weges dieser Preis winkt, bedarf es aber noch einiger Erprobungsarbeit. Auch wenn die Fahrzeuge Mitte Februar fix und fertig auf dem Erprobungsgelände nahe des MAN Truck Forums standen, so sind doch noch einige Vorbereitungen zu leisten.

Zunächst werden MAN-Instruktoren ab April zehn ausgewählte Fahrer des Transportkonzerns auf die neue Technologie schulen. Laut DB Schenker haben sich die Fahrer extra auf diese Aufgabe beworben. Weitere Anforderungen an die Teilnehmer waren demnach ein hohes Maß an Fahrerfahrung sowie ein punktefreies Konto in Flensburg. Die Schenker-Fahrer übernehmen dann voraussichtlich ab Mai selbst das Steuer der Platooning-Fahrzeuge. Nur sie dürfen die Lkw mit der fortschrittlichen Technologie führen und weisen sich mittels Fahrerkarte aus, um die Platooning-Funktionen freizuschalten. In der Anlaufphase sollen die Fahrzeuge noch ohne Ladung verkehren, ab Mai aber Schritt für Schritt den Real-Betrieb aufnehmen. Das bedeutet zunächst wöchentliche Abfahrten, später tägliche Abfahrten. Etwa im September sollen sie den realen Linienbetrieb mit täglich drei Abfahrten mit Stückgut aufnehmen. Laut den Schenker-Projektbetreuern Dr. Ane-Kristin Reif-Mosel und Dr. Chung Ahn Tran sind so in der Erprobung 30.000 Kilometer Fahrleistung möglich. Insgesamt soll das vom Bund mit zwei Millionen Euro geförderte Projekt 20 Monate dauern und im Januar 2019 zum Abschluss kommen.

MAN TGX 26.500 Platoon für DB Schenker Fahraufnahme Foto: Thomas Rosenberger
Das Zentraldisplay zeigt Informationen zum Zustand der elektronischen Deichsel, etwa ob sich ein Platoon-Partner voraus befindet oder ob die Deichsel geschlossen wurde.

Systeme mehrfach redundant ausgelegt

Die beiden Serien-TGX verfügen über eine spezielle technische Ausstattung. Dazu gehören bestehende, aber in ihrer Wirkweise auf das Kolonne-Fahren angepasste Sicherheitsfeatures wie ein Notbremsassistent, der aufgrund des engen Fahrzeugabstandes über eine verkürzte Warnkaskade verfügt, bevor er eine Notbremsung auslöst. Zur Ausstattung zählt weiterhin die Sensorik aktueller Serienfahrzeuge wie die Kamera des Spurverlassenswarners (LGS) und das Radar des Abstandsregeltempomaten (ACC). Hinzu kommt ein Laserscanner mit Lidar-Technologie. Der Laserscanner, der seinen Platz ebenso wie das ACC-Radar am Kühlergrill hat, erfasst Längs- und Querabstand zum Führungsfahrzeug. Auf Basis dieser Daten steuert der Bordcomputer das folgende Fahrzeug.

Die Kommunikation zwischen Führungs- und Folgefahrzeug erfolgt per WLAN, wozu WLAN-Antennen in den Flügeln zu beiden Seiten des Kabinendachs verbaut sind. Sie übertragen den Zustand des Platoons, Geschwindigkeit, Beschleunigung und Bremsverzögerung sowie GPS-Position und nutzen dazu das schnelle G5-Netz, das für das Digitale Testfeld Autobahn an der A 9 errichtet wurde. Die Verzögerung bei der Signalübertragung von Fahrzeug zu Fahrzeug beträgt laut MAN gerade mal zehn Millisekunden. Im gleichen Gehäuse sitzt auch noch eine Kamera, die die Bewegungen des folgenden Fahrzeugs erfasst. Ihr Sichtfeld ist laut dem technischen Projektleiter bei MAN, Peter Strauß, so ausgelegt, dass sie das Folgefahrzeug auch in autobahntypischen Kurvenradien im Fokus behält. Laut MAN sind die Systeme dazu mehrfach redundant ausgelegt. Fällt eine Überwachungs- und Steuerungsebene aus oder sendet sie nicht eindeutige Informationen, so stehen weitere Systeme Gewehr bei Fuß, um die Kontrolle über die Kolonne zu übernehmen und sie jederzeit sicher zu führen. MAN hat auch das Cockpit der beiden TGX für die spezielle Aufgabe angepasst.

Kommunikation zwischen den Lkws überbrückt 1000 Meter

Ins Auge sticht der Armaturenträger, der nun über digitale Instrumente verfügt. Da sind zum einen die digitalen Uhren, die aber bekannte Informationen wie Geschwindigkeit, Motordrehzahl und die Füllstände der Betriebsmittel darstellen. Aufschluss über den Zustand der automatisierten Kolonne gibt wiederum das Zentraldisplay. Hier erscheint beispielsweise ein Hinweis, wenn sich ein Platooning-Partner direkt voraus befindet. Dann kann der Fahrer den Befehl erteilen, ein Platoon zu bilden. Ebenso erscheint in diesem Bereich der digitalen Anzeige die Information, wann die elektronische Deichsel gelöst werden muss, etwa wegen einer Baustelle vor dem Führungsfahrzeug. Schiebt sich ein Pkw zwischen die beiden Lkw, führt das nicht zwangsläufig zur Auflösung des Platoons, aber zu einer deutlichen Vergrößerung des Sicherheitsabstandes.

Die Kommunikation zwischen den Fahrzeugen überbrückt laut MAN etwa 1.000 Meter. Allein die Erfassung des Führungsfahrzeugs durch die Sensorik des folgenden Lkw ist unterbrochen, sodass sich nach dem Ausfahren des Pkw das Platoon sofort wieder zusammenziehen kann. Um die Platoon-Befehle zu erteilen, verbaut MAN ein spezielles Lenkrad, das über einen erweiterten Tastaturblock zur linken und rechten Seite des Pralltopfs verfügt. Spezielle Befehle, wie das Aufnehmen des Platoonings, muss der Fahrer hier mit einem gleichzeitigen Tastendruck quittieren. Außerdem erkennt das Lenkrad, ob die Hände des Fahrers aufliegen. Ist das für einen längeren Zeitraum von mehr als zehn Sekunden nicht der Fall, ruft der Bordcomputer den Fahrer zur Ordnung. Ein LED-Streifen, der in das Lenkrad integriert ist, gibt Aufschluss darüber, ob das Fahrzeug autonom fährt. Dann leuchtet das Band blau – die Farbe scheint sich für autonome Fahrfunktionen in der Branche bereits etabliert zu haben. Vor der Übergabe der Fahrfunktionen an Kollege Computer leuchtet es dagegen rot.

Automatisierungsgrad entspricht Level 2

In den Testfahrzeugen ist auch ein Monitor zur Mitte des Armaturenträgers aufgepflanzt. Der gibt nicht nur technische Informationen wieder, sondern soll im Realbetrieb ein Bild der Verkehrssituation vor dem Führungsfahrzeug in Echtzeit an den Fahrer des folgenden Fahrzeugs senden. MAN-Entwicklungsvorstand Zohm nennt das eine vertrauensbildende Maßnahme. Hinzu kommt ein Not-Aus-Schalter. Per Tastendruck versetzt der Fahrer bei einer Systemstörung damit das Fahrzeug in Normal- beziehungsweise Serien-Zustand. Das ist im Regelbetrieb auch durch einen neuen, ebenfalls blau gefärbten Schalter im Bedienfeld der Mittelkonsole möglich.

Der Automatisierungsgrad der TGX-Fahrzeuge entspricht Level 2. Das Fahrzeug kann also selbstständig die Längs- (Beschleunigen und Bremsen) und Querführung (Lenken) übernehmen, aber es muss immer auch der Fahrer sofort die Kontrolle über das Fahrzeug übernehmen und die Elektronik überstimmen können. So bringt die per E-Motor gesteuerte Überlagerungslenkung ein Lenkmoment von fünf Newtonmeter auf. Das ist laut Projektleiter Strauß genau so viel Kraft, dass der Fahrer einhändig das elektrisch erzeugte Lenkmoment übersteuern kann.

MAN TGX 26.500 Platoon für DB Schenker Fahraufnahme
Ein Novum sind die Flossen unterhalb der Lufthörner, WLAN-Antenne und Kameraauge fürs nachfolgende Fahrzeug.

Auch das Verhalten der Fahrer wird untersucht

Zunächst wollen die Partner MAN und DB Schenker vor allem die Zuverlässigkeit der Technologie erproben sowie deren Nutzen für Sicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umwelt. Das bekräftigen Zohm und Schenker-Vorstand Kaiser. Ein Ziel sei es, Kraftstoff durch das Windschattenfahren einzusparen. MAN-Entwickler Walter Schwertberger geht davon aus, dass der Verbrauch und damit die CO2-Emissionen im Mittel um zehn Prozent sinken. Der genaue Wert hängt eng mit offenen Fragen zusammen: Wie oft wird das Platooning etwa durch Baustellen und einscherende Fahrzeuge im Alltagsverkehr getrennt? Gegenstand der Untersuchungen ist aber auch, wie sich das Platooning auf die Fahrer auswirkt. Diesen Teil des Projekts übernehmen die Forscher der Hochschule Fresenius unter Leitung von Prof. Christian Haas. Dazu gehört laut Haas, dass die Mensch-Maschine-Schnittstelle (MMS), also wie das Fahrzeug dem Fahrer Informationen vermittelt und der Fahrer dem Fahrzeug Befehle erteilt, erprobt wird. "Wir wollen wissen, was im Kopf der Platooning-Fahrer passiert", erklärt er.

Dazu tragen die Fahrer EEG-Sensoren. Die Elektroenzephalografie gibt Aufschluss über Spannungsschwankungen an der Kopfoberfläche und zeichnet so die Gehirnaktivitäten auf. Eine Eye-Tracking-Kamera erfasst zudem die Bewegungen von Auge und Lid. Weitere Daten entnehmen sie der Fahrzeugelektronik. Anhand dessen können die Wissenschaftler unter anderem Rückschlüsse über die Aufmerksamkeit und Ermüdung des Fahrers ziehen. Von Interesse ist für die Forscher zum Beispiel, ob die Fahrer aufgrund des geringen Abstandes zum Vordermann von 12 bis 15 Metern – das ideale Maß soll ebenfalls noch erprobt werden – gestresst reagieren oder ob ihre Aufmerksamkeit durch die fehlende Fahrtätigkeit leidet. "Dazu werden die Testfahrer von uns auch immer wieder interviewt", erklärt Dr. Sabine Hammer vom Institut für komplexe Gesundheitsforschung der Hochschule Fresenius. Die Fahrer sollen zudem Informationen liefern, inwiefern sich ihr Berufsbild und womöglich das Berufs-Image durch die Technologie verändern und wie viel Vertrauen sie in die neuartige Technologie haben.

Zentrale Fragen noch ungeklärt

Einige zentralen Fragen werden im Rahmen des Projekts aber nicht geklärt werden. Etwa wann es möglich sein wird, Platooning-Fahrzeuge außerhalb von Piloten auf öffentlichen Straßen zuzulassen und wann grenzüberschreitende Fahrten mit automatisierten Lkw machbar sind. Das sei in Zukunft eine notwendige Voraussetzung, erklärt Dr. Reif-Mosel. Dazu müssten jedoch die nationalen Straßenverkehrsordnungen angeglichen werden. Auch die Kommunikation zwischen Fahrzeugen unterschiedlicher Marken ist heute noch nicht möglich – laut Schwertberger noch nicht einmal innerhalb des VW-Konzerns. Genauso ist unklar, wer im Falle eines Falles die Haftung für Schäden übernimmt. Alle drei Partner gehen indes davon aus, dass der Fahrer auch an Bord eines automatisierten Lkw einen festen (Arbeits-)Platz hat. "Wir wollen ihn an Bord haben, damit er das System überwacht", bekräftigt etwa Schwertberger. Zudem soll der Testbetrieb für Verständnis bei den übrigen Verkehrsteilnehmern sorgen.

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