Jobs - Zu Lande und in der Luft Um Himmels Willen

Zu Lande und in der Luft Foto: Andreas Techel 14 Bilder

Den Milchlaster fahren ist die eine, aber Kraftfahrer Stephan Pütz hat noch eine andere Aufgabe. Im Namen seiner Firma steigt er regelmäßig mit dem Heißluftballon auf. 

Als Kraftfahrer auf der Straße

Grau rauscht das Asphaltband der A 7 im Licht der Scheinwerfer dahin, verschwindet unter den Rädern des MAN. Die Borduhr zeigt 4.28 Uhr, Mittwoch früh. Keine ganze Stunde mehr bis Kempten. Im Cockpit herrscht erhabene Ruhe. Der Reihensechszylinder lässt nicht viel von sich hören, die Federung bügelt die Piste vollends glatt.

Nur wenige andere Lastzüge haben den gleichen Weg, einzelne Pkw pfeilen vorbei, womöglich irgendwelche termingetriebenen Vertreter. „Die Allgäutour ist eine der schönsten, die es bei der ‚Muh‘ so gibt“, findet Stephan Pütz. Passender Name übrigens für eine Molkerei, oder? Eigentlich ist es die Abkürzung für „Milchunion Hocheifel“ und genau dort startete der 46-jährige Kraftfahrer vor wenigen Stunden den Motor des MAN.

Der Auftrag: Ein-Liter-Milchkartons auf Paletten zum Rewe-Lager nach Kempten bringen und auf dem Rückweg Milchviehfutter aus Oberstaufen holen. Stephan hat die Tour genau nach Kundenwünschen und seiner noch zur Verfügung stehenden Lenkzeit geplant. Halb sechs bei Rewe die Milch abladen, dann noch eine gute Stunde weiter Richtung Berge, die Rückladung aufnehmen und bis zur großen Pflichtpause wieder Richtung Autobahn fahren.

Die Kinder fahren gerne mit

Während sein TGX 480 geschmeidig die Kilometer frisst, schweifen die Gedanken ab. Gestern hatte er mal wieder tagsüber Zeit für die Familie. Toll wie die Jungs den alten Traktor in Gang gesetzt haben. Eigentlich hatte Mäxchen (9) heute mitfahren wollen, es sind ja Herbstferien. Aber der Start war einfach zu früh und die nächste Tour kommt bestimmt.

Alle drei Kinder fahren gerne mal mit und auch Stephan genießt es sehr. „Die Fahrten im Lkw bauen einfach eine ganz besondere Beziehung auf. Man erlebt viel zusammen und erzählt sich weitaus mehr als zu Hause mit Fernsehen, Internet und Playstation. Meine Anna-Christin (17) fährt besonders gern mit, wenn sie Liebeskummer hat“, schmunzelt er, „und Christopher (14) wird vielleicht in meine Fußstapfen treten.“

Stephan setzt den Blinker und zieht den Retarder. Der MAN schaltet sanft zurück und rollt dann die Abfahrt Kempten hinunter. Hinten im Industriegebiet liegt das Lager. Stephan dockt an der Rampe an und geht hinein. Der Lagerist sagt ihm gleich auf den Kopf zu, dass er heute erst um 13 Uhr abladen könne.

Im Gebirge macht das Fahren richtig Spaß

Als er Stephans Gesicht sieht, muss er grinsen. „Nein, nein, nur Spaß, du kannst gleich loslegen.“ Stephan muss selber lachen, dass er dem Kollegen auf den Leim gegangen ist. „Das sind ganz liebe Jungs hier, überhaupt gibt es an unseren Ladestellen nirgends diese typischen Wichtigtuer.“ Das hat sicher auch mit der alten Weisheit vom Wald zu tun, in den es hinein- und wieder herausschallt.

Dann lässt er die Ameise sausen, das gehört zum Service des Hauses. Tatsächlich dauert die Frühsporteinlage nicht lange und die Papiere sind auch schon fertig. Der Himmel ist immer noch stockdunkel, als Stephan auf die B 19 abbiegt. Am Alpsee vorbei, dann geht es ins Gebirge. Hier macht das Fahren richtig Spaß.

Eine Stunde später steht er auf dem Hof der Weissachmühle. Lagermann Harald Höltzsch begrüßt ihn: „Guten Morgen, wie geht’s? Wegezoll dabei?“ Ein Probenpäckchen Bananenmilch wechselt den Besitzer. Dann will Stephan sich ein Stündchen hinlegen. Die Ruhezeitenregelung verlangt es und nach der Nachtfahrt tut es auch ganz gut. Er schaut noch, ob er auf dem Hof niemandem im Weg steht.

„Harald, schreist du nachher schön laut?“ Der nickt und Stephan zieht erstmal die Vorhänge zu. Während er sich ausruht, bequemt sich die Sonne über den Horizont und nach der verabredeten Zeit serviert Kollege Markus Litau per Gabelstapler eine Ameise durch die Hecktüren. Danach folgen Schlag auf Schlag die Futtermittel-Paletten.

Vom Kfz-Mechaniker zum Kraftfahrer

Stephan parkt sie im Trailer ein und zieht die Gurte drüber. Das Milchviehfutter duftet süßlich aromatisch. Die Berge hüllen sich in muffiges Grau. Heute ist kein Alpenglühen angesagt.

„Ah, das kann so schön sein hier. Gerade wenn du hier früh unterwegs bist. Und tatsächlich, mit etwas Verspätung, Stephan ist schon wieder auf der Schnellstraße, rücken noch ein paar sonnige Berge aus der Wolkendecke. Im Rückspiegel sind sie noch eine Weile zu sehen – eine kleine Belohnung für die Mühen der Nacht. Die Lenkzeit reicht jetzt gerade noch bis Kempten. Aber das passt, Parken im Industriegebiet und ein Rundgang in der schönen Altstadt. Danach ein saftiges Steak und ab in die Koje."

Stephan ficht die stellenweise Härte des Jobs nicht an: „Klar, Anstrengung und unregelmäßige Schlafzeiten gehören dazu, aber die ganze Transportbranche interessiert mich eben. Wirtschaft, Technik, Warenkreisläufe, da geht was.“ Die Dispo schätzt sein Mitdenken und er freut sich, dass dies auch honoriert wird. Bei der Muh jobbte er schon als Schüler.

Nach einer Kfz-Mechaniker-Lehre startete er als Kraftfahrer. Das war vor gut 22 Jahren. Inzwischen hat er drei Millionen Kilometer abgespult und sich viel Routine angeeignet. Dazu gehört auch der Umgang mit der gesteigerten Verkehrsdichte.

„Staus können einem ordentlich die Planung verhageln, aber was nützt alle Aufregung? Und allem Stress zum Trotz: Fährst du vom Hof, ist dein Know-how gefragt, die Ware korrekt abliefern, freundlich professionelles Auftreten beim Kunden, alles das und die vielen netten Kontakte machen mir heute noch viel Freude und Faszination bietet mein Job ja auch noch.“

Als Pilot in der Luft

Blauer kann so ein Himmel doch gar nicht sein. Nicht das kleinste Wölkchen bremst die Januarsonne. Der Höhenmesser zeigt exakt 1.127 Meter an. Unter dem Korb liegt glatt wie ein Spiegel der Tegernsee.

Umgeben von spärlich schneebezuckerten Wiesen und ein paar Häuschen wie von der Modelleisenbahn. Die komplette Alpenkette breitet sich in ihrer ganzen Pracht vor unseren Augen aus. Kalt ist es trotz der Jahreszeit nicht.

Kein Wunder – der Ballon fährt mit dem Luftstrom, so ist es praktisch windstill in der schwebenden Aussichtskanzel. Faszinierend ist dazu die absolute Stille. Die Geräusche der Erdoberfläche sind so weit weg. Dieses sanfte Dahingleiten im offenen „Flugzeug“ ist einfach unglaublich schön.

Plötzlich scheint man alle Zeit der Welt zu haben, um dieselbe einmal in aller Ruhe zu betrachten. Als Passagier kommt man hier so richtig runter, obwohl es ja eigentlich genau in die entgegengesetzte Richtung geht. Aber auch der Pilot genießt die Fahrt. Schließlich hat Stephan als Lkw-Fahrer Stress mit Zeitplänen, Terminen und dem ganz normalen Wahnsinn auf der deutschen Autobahn.

Luftfahren heißt entspannen

Als Führer des Luftfahrzeugs hat er auch viele Aufgaben, aber das ist für ihn eher Entspannung. Die beginnt schon bei der Planung eines Trips. Gilt es etwa ein bestimmtes Gebiet zu überqueren, zum Beispiel den Nürburgring in der Eifel, so deckt er sich mit den entsprechenden Wetterdaten ein und kalkuliert dann mit Hilfe der Landkarte den besten Startplatz.

Die Luftlinie eines Ballons ist, wie oft fälschlich angenommen wird, keineswegs Zufall. Die Luftschichten haben oft recht verschiedene Windrichtungen und -geschwindigkeiten. So lässt sich der Ballon durch die Wahl der Höhe zu bestimmten Zielen dirigieren.

Zum Klima bestimmenden Wind in Richtung Ost oder West kommen noch lokale Windströmungen durch die Topografie, etwa über Gewässern. „Versuch mal im Moseltal flussaufwärts zu fahren, das geht nicht, der Wind weht immer mit dem Wasser.“

„Leinen los, Glück ab, gut Land“

Ein scharfes Fauchen unterbricht für einen Augenblick die Ruhe über dem Tegernsee. Stephan hat den Brennerhebel gezogen und eine mächtige Flamme heizt die Luft in der Ballonhülle. Der Erfolg lässt sich nicht nur am Höhenmesser ablesen, sondern ist auch deutlich spürbar – besonders beim Start.

Zunächst halten den Ballon noch Seile am Boden, meist festgemacht am Verfolgerfahrzeug. Nach dem Kommando „Leinen los, Glück ab, gut Land“ geht es dann schneller nach oben als mit dem Expresslift des Empire State Buildings. So auch heute, der blaue Heißluftballon steigt immer weiter. Sogar der schneebedeckte Hauptkamm des Gebirges taucht langsam auf. Aber eine Alpenüberquerung ist heute nicht drin.

„Haben wir schon gemacht, da waren wir bis zu 60 Knoten, also gut 110 Stundenkilometer schnell.“ Stephan wählt nun einen Luftstrom, der ihn wie geplant in Richtung Chiemgau bläst. Das Tempo bleibt eher gemächlich. Gut zwölf Jahre ist es her, als in der Firma ein zweiter Ballonfahrer gesucht wurde. Stephans Disponent und Freund Maik Klinkhammer hatte dieses Amt schon inne.

Da die beiden mit dem Lkw bestens harmonierten, war es für die Geschäftsleitung gleich klar, dass die Teamplayer auch den himmlischen Auftritt der Firma zusammen bestreiten sollten. Also ging es zum Crashkurs mit zehn Tagen Theorie büffeln und 20 Stunden Praxisübungen. Dazu kamen noch 50 Starts und Landungen, je vier bis fünf pro Schulungsfahrt. Das Examen fand im französischen Nancy statt.

Gezielte Gasstöße regulieren die Höhe

Wie beim Lkw stieg ein Prüfer dazu und fuhr eine Runde mit. „Fliegen“ nennen übrigens nur Laien diese Art der Luftfahrt. Stephan stellte also seine Kenntnisse der Wetterkunde unter Beweis und demonstrierte sicheren Umgang mit den Passagieren. Start und Landung klappten wie im Lehrbuch und der Pilotenschein war seiner.

Seither muss er zum Erhalt der Lizenz mindestens einmal innerhalb von 90 Tagen aufsteigen. Doch er ist im Jahresschnitt fast jede zweite Woche in der Luft. „Wenn ich mal vier Wochen nicht oben war, juckt es mich schon in den Fingern.“ Zweimal 600 Kilowatt liefern die Flammenwerfer ab, so können schon gezielte Gasstöße die Höhe regulieren.

Entscheidend für den Auftrieb ist allein der Temperaturunterschied zwischen der Luft außerhalb und innerhalb der Hülle. Im Winter reichen schon 50 Grad Celsius, im Hochsommer müssen es bis zu 120 sein. Stephan hat inzwischen den Landeplatz ausgemacht. Eine Wiese, nicht weit weg von einem Aussiedlerhof bei Kalten.

Über Funk gibt er dem Verfolgerteam noch Tipps für die Zufahrt. Längst schon hat er den Ballon abkühlen lassen und das Fahrzeug sinkt langsam tiefer. Ein Gasstoß hilft noch über eine Baumreihe hinweg, dann setzt der Korb butterweich mitten auf der Wiese auf. Stephan lässt ihn per Flamme noch so lange stehen, bis der Verfolger zu sehen ist. Das geöffnete Top lässt die heiße Luft entweichen und der Ballon fällt zusammen.

Keine Viertelstunde später hat das Team das Luftfahrzeug in einen Pkw-Anhänger verpackt. Für die Passagiere wird es nun nochmals ernst: Die Taufe steht an. Nach einer würdigen Rede über den „Adelsstand“ der Ballöner erhebt sie der Kapitän in denselben, indem er ihnen eine Locke ansengt und sie mit Sekt ablöscht. Dazu gibt es einen ellenlangen Adelstitel, der jederzeit auswendig dahergesagt werden muss, sonst wird’s teuer.

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