Lkw-Spendenkonvoi Hilfe für die geteilte Stadt

Hilfstransport nach Bosnien, geteilte Stadt, Mostar Foto: York Schaefer 8 Bilder

Auch fast 20 Jahre nach Ende der Kämpfe ist das bosnische Mostar noch eine geteilte Stadt. Unterwegs mit einem Lkw-Spendenkonvoi.

Es werden Hilfsgüter geliefert, aber diejenigen, die sie wohl am dringlichsten brauchen, stehen außen vor. Meter um Meter schiebt sich ein Lkw nach dem anderen durch die engen, vermüllten Schotterwege eines Areals verfallener Baracken. Die Laster sind bis unter die Dächer vollgestopft mit Altkleidern und medizinischen Hilfsgütern wie ausrangierten Brutkästen, Krankenhausbetten und Rollstühlen. Doch während die deutschen Brummi-Besatzungen und die lokalen Helfer des Regional Medical Centers im bosnischen Mostar in der glühenden Nachmittagshitze die Ladung in die Magazinräume unweit des Krankenhauses schleppen, schauen verarmte Roma-Familien, die in einigen der Baracken leben, aus der Distanz zu. Nur ab und an wagen sich Kinder heran und betteln.

"Wir brauchen dringend Kinderbetten"

Bittere Armut, hohe Arbeitslosigkeit, blühende Korruption und ein vor allem an Medikamenten- und Gerätemangel krankendes Gesundheitssystem sind in Mostar auch bald 20 Jahre nach Ende des Bosnienkrieges noch allgegenwärtig. "Wir brauchen vor allem dringend Kinderbetten", sagt Dulsa Džubur, Disponentin des Regional Medical Centers im vorwiegend von bosnischen Muslimen bewohnten Ostteil der Stadt. 33 sperrige Bettgestelle werden aus den Lkw-Frachträumen gewuchtet. Ausstattung für die gerade im Bau befindliche Kinderklinik. Auch die vier deutschen Trucker Mirko, Willi, Dieter und Kurt packen tatkräftig mit an. Berührungsängste gibt es nicht.

Vier der insgesamt sechs Lastzüge des privaten Konvois, der vier Tage zuvor im südniedersächsischen Holzminden mit Spenden im Wert von 250.000 Euro gestartet war, werden hier entladen. Die anderen beiden fahren zur selben Zeit zur Universitätsklinik im weniger zerstörten Westen Mostars, wo hauptsächlich katholische Kroaten wohnen. Am Steuer eines Sattelzuges sitzt der Ristedter Neurologe Hermann Munzel. Er organisiert seit zehn Jahren mit dem europaweit aufgestellten Motorradclub der Eurobiker und deren Sektion, der Biker-Brummi-Hilfe, Spendentransporte nach Osteuropa. Dem ersten Motorradtrip nach Sankt Petersburg mit Impfstoffen für ein Kinderhilfswerk im Jahr 2003 folgten echte Ochsentouren mit bis zu acht Lkw nach Rumänien, Kroatien, Tschernobyl und in den Kosovo.

Eine Spendentour von Deutschland bis in den südlichen Balkan

"Hilfe ist in Bosnien nach wie vor notwendig, als zweite Welle nach dem Krieg", sagt Munzel, ein hochgewachsener Mann mit grauem Vollbart und sanftem Gesichtsausdruck. Bevor er Mediziner wurde, hat er als junger Mann Berufskraftfahrer gelernt. "Viele Mängel, gerade im Sozial- und Gesundheitswesen, werden erst jetzt deutlich." Verglichen mit derartigen Sorgen, wirken die Widrigkeiten einer Spendentour über gut 1.600 Kilometer von Deutschland in den südlichen Balkan wie harmlose Problemchen.

Aber trotzdem: Fahrer Willi Meißner übersieht bei der nächtlichen Ankunft auf dem Autohof Sankt Pankraz in Oberösterreich einen Begrenzungsstein. Der Bremszylinder ist ruiniert, der 40-Tonner steht mitten auf der Zufahrt, unverrückbar wie ein störrischer Esel auf einem Pfad in den Anden. Eigene Reparaturversuche im Dunkeln und bei strömendem Regen scheitern dann doch. Am nächsten Morgen kommt ein Fachmann vom österreichischen Pannen-Notdienst. Er kann den Schaden richten.

Am folgenden Tag bellt der Zöllner an der Grenze von Slowenien nach Kroatien in die Fahrerkabine: "1.000 Euro Strafe! Das ist normaler Transport!" Fahrer Mirko Mönkemeier hatte vergessen, das bei Spendentransporten erlaubte Blaulicht für die Mautbefreiung rechtzeitig auszuschalten. Wirklich ernst meint es der Beamte Gott sei Dank nicht, aber alle merken: Die EU und Schengen sind vorbei, der Balkan beginnt.

Die Spuren der Auseinandersetzungen sind bis heute sichtbar

Mostar ist immer noch eine geteilte Stadt, versehrt von den Wunden des Bürgerkrieges. Kroaten und Muslime hatten erst gemeinsam gegen die Serben gekämpft, dann gegeneinander. Die Spuren der Auseinandersetzungen und der ethnischen Trennung sind bis heute sichtbar: ausgebombte Ruinen und Häuser, durchsiebt von Einschüssen, direkt neben schmucken, oft EU-finanzierten Neubauten. Im Osten der 75.000-Einwohner-Stadt dominieren die zahlreichen, häufig von Saudi-Arabien und der Türkei  bezahlten Moscheen, im Westen die hoch zum Himmel schießenden Kirchtürme. Die Instrumentalisierung religiöser Architektur für politische Zwecke ist in Mostar allgegenwärtig.

Auch in den Köpfen vieler Menschen ist der Krieg noch nicht vorbei. Das erfahren die Fahrer des Hilfskonvois schon bei der Einreise. "Für mich ist nicht erkennbar, dass hier etwas zusammenwächst", meint etwa der 29-jährige Zdenko, der als Barmann an der Grenze zwischen Kroatien und Bosnien-Herzegowina arbeitet. "Ich fühle mich einfach unsicher auf der muslimischen Seite", sagt er und zeigt sein tätowiertes Kreuz auf der Schulter.

Eine exakte Wertauflistung der Spendengüter pro Krankenhaus

Die bürokratischen Hürden, die es zu überwinden gilt, wenn man Spenden in eine Stadt mit zwei sich nicht wohl gesonnenen Volksgruppen bringen will, hatte Tourorganisator Hermann Munzel schon unterwegs erfahren. Immer wieder klingelte sein Handy, die Behörden stellten neue Bedingungen, etwa eine exakte Wertauflistung der Spendengüter pro Krankenhaus. Wird erledigt. Trotzdem kommt der Konvoi an der Grenze zu Bosnien-Herzegowina nicht weiter. Es ist Samstagnachmittag, ein mürrischer Beamter will die mit bis zu sieben Tonnen Ladung gefüllten Frachträume sehr genau inspizieren. Als erfahrener Transporteur begegnet Hermann Munzel derartigen Widrigkeiten inzwischen mit einer Engelsgeduld, Einfühlungsvermögen und bisweilen stoischer Beharrlichkeit. Eine Entladung kommt überhaupt nicht in Frage. "Zur Not fahren wir eben wieder zurück", pokert er mutig. Mit Erfolg. Aber übers Wochenende müssen die Lastwagen trotzdem auf dem Zollhof im Grenzort Metkovic bleiben.

Die befreundeten Motorradfahrer der bosnischen Eurobiker-Sektion haben inzwischen einen Kleinbus-Shuttle ins etwa 40 Kilometer entfernte Mostar organisiert. Auf der Strecke durch die idyllisch bewaldete Berglandschaft der Herzegowina erinnert sich Lkw-Fahrer Willi Meißner an Hilfstransporte während des Bosnienkrieges: "Die Serben haben damals aus den Bergen hier in die Tunnel geschossen, wenn sie Licht gesehen haben", erzählt er. Ein Haudegen der Katastrophenhilfe mit inzwischen 86 Touren durch europäische und afrikanische Krisengebiete für den Arbeiter-Samariter-Bund. "Ein bisschen Abenteuerlust, ein bisschen soziales Engagement", sagt der drahtige Mann mit der rauen Stimme über seinen Antrieb, immer wieder auf Tour zu gehen. Um die 500.000 Kilometer hat er seit 1989 bei Hilfskonvois auf dem Bock gesessen. "Ich habe sozusagen zwei Jahre Urlaub gespendet", bilanziert er.

Mostar hat sich in eine lebendige, junge Stadt verwandelt

Die Zeiten der offenen Kämpfe sind in Bosnien-Herzegowina längst vorbei. Unter den Narben des Krieges hat sich Mostar in eine lebendige, junge Stadt verwandelt – zumindest auf den ersten Blick. Die vielen Cafés östlich und westlich der berühmten Brücke "Stari Most" sind voll besetzt. An dem Baudenkmal – 1566 von den Osmanen errichtet, im Krieg von den Kroaten zerschossen, 2004 wieder aufgebaut – staunen heute die Touristenscharen über die Brückensprünge in die wilde Neretva.

Ein denkwürdiger Moment ereignet sich während einer Stadtführung, als Predrag Thomas, ein Kroate aus Vukovar, auf dem Minarett der Koski-Mehmed-Pašina-Moschee den Reporter am Arm zupft. Ungefragt zeigt er auf die Berge im Nordwesten Mostars und imitiert Schießbewegungen in Richtung muslimischer Altstadt. Er war offenkundig dabei damals. Er hat geschossen. Mit dieser Geste weist er symbolisch auf die unterschwelligen Spannungen in der geteilten Stadt hin.

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