Fernverkehr Moderne Zeiten - die 80er und 90er Jahre

Fernverkehr in den 80er/90er-Jahren 14 Bilder

Plötzlich ist alles anders: Erst kippt der eiserne Vorhang, dann fallen Tarife und Zollgrenzen. Spannend und zwiespältig zugleich sind die 80er- und 90er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts.

Wer in den 80er-Jahren Fernverkehr fährt, der kann mit Spesen ohne Weiteres 3.500 bis 4.500 Mark monatlich nach Hause bringen. Umgerechnet auf die heutige Kaufkraft entspricht das rund 2.800 bis 3.600 Euro. Und wer hinter dem Steuer eines Kippers mächtig schrubbt, der steht bei entsprechendem Stundensatz womöglich sogar noch ein bisschen besser da. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille, die für wohlhabende Regionen wie zum Beispiel den Raum Stuttgart oder München gilt.

Zur Kehrseite gehören in sogenannten strukturschwachen Gebieten erst einmal deutlich geringere Löhne. Zu den Nachteilen gehört außerdem, dass damals Arbeitszeiten üblich sind, für die es heute – milde ausgedrückt – kräftig was hinter die Ohren gäbe. Mit den Tachoscheiben lässt sich nun einmal allerhand drehen. Angesichts des Kalten Krieges, des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan und des immer noch aktiven RAF-Terrorismus sieht eine halbe Stunde oder auch mehr an Lenkzeitüberschreitung nicht unbedingt nach Kapitalverbrechen aus.

Für heutige Verhältnisse lockere Sitten

Da übt sich der deutsche Büttel schon mal in Kulanz. Auch der italienische Carabiniere willigt oft lieber spontan auf einen gemeinsamen Espresso ein, als dass er allzu verbissen seines schweren Amtes waltet. Was steckt hinter diesen aus heutiger Sicht so lockeren Sitten von damals? Hauptsächlich drei Dinge: Spielraum, Spielraum und nochmals Spielraum. Verglichen damit kommt die Ultra-Reglementierung von heute der reinsten Fron auf einer Galeere gleich, wo dumpf die immer gleiche Trommel tönt.

Unternehmen, die im Besitz der begehrten Konzessionen sind, haben während der 80er-Jahre innerdeutsch ein ausgesprochen leichtes Leben. Die Frachttarife sind erzwungen und erlauben es, etwa die nächtliche Linie Stuttgart–Hamburg mit zwei Mann zu besetzen. Die können sich dann bei einem ohnehin schon schönen Stundenlohn zusätzlich über Nacht- und Überstundenzuschläge freuen. Das Zustellen vor Ort übernimmt obendrein jeweils einer von der Tagesschicht.

Transportgewerbe entdeckt den 24-Stunden-Service

Hintergrund ist: In den damals maximal erlaubten acht Stunden Lenkzeit pro Tag ist die Strecke mit 330 PS unterm Hintern für eine Person nicht in einem Rutsch machbar. Ab 1986 fährt auf dieser Relation dann aber nur noch ein Mann, weil nun neun bis zehn Stunden täglich erlaubt sind. Zudem entdeckt das deutsche Transportgewerbe gerade die Logistik. „24-Stunden-Service“ heißt beim Sammelgut der neueste Schrei. Damit ist der Lkw der Bahn um Lichtjahre voraus. Die Transporteure tun sich zu ersten großflächigen Sammelgutkooperationen zusammen. Sie fangen mit Lagerhaltung und Distributionskonzepten an.

Die großen Lager der Industrie sterben aus

Bei der Industrie rennen sie mit solchen Vorschlägen offene Türen ein. Denn dem produzierenden Gewerbe gehen genau diese zwei Punkte allmählich immer stärker auf die Nerven. Große Lager kann sich die Industrie zunehmend weniger leisten. Vom Transport versteht sie ohnehin nichts. Goldene Zeiten also für jeden, der in dieser Hinsicht etwas auf der Pfanne hat. Andererseits: Wer keine Konzession sein Eigen nennen kann, der muss Ausland fahren. Loslegen ist jedem erlaubt, der im Nahverkehr (50-Kilometer-Kreis) noch über die Grenze kommt.

Klar also, dass Karlsruhe nach Frankreich und Spanien fährt, Rosenheim wiederum Bella Italia ins Visier nimmt. Aachen peilt außer Frankreich und Spanien auch noch England an. Verdient wird dabei nicht sonderlich viel: Hamburg–München mit Tarifbindung spült mehr Geld in die Kasse als der frei verhandelte Frachtpreis für den Transport von Hamburg nach Mailand. Deswegen fällt der Verdienst im internationalen Verkehr nicht immer berühmt aus. Aber die Freiheit ist da.

Fahrleistungen von bis zu 13.000 Kilometer pro Monat

Ob Plausch mit den Kollegen am Zollamt während der Wartezeiten, ob der Abstecher ans Meer am Wochenende oder ein Trip in die City mit abgesatteltem Lkw: Das gehört dazu. Ebenso wie eine Fahrleistung von 13.000 Kilometern im Monat. Heute steht der Lkw übers Wochenende in einem gähnend grauen Industriegebiet und es kommen vielleicht gerade mal 8.000 Kilometer pro Monat zusammen. Osteuropa ist während der 80er-Jahre weitgehend uninteressant.

Dieses Terrain beackern die östlichen Staatsspeditionen wie Deutrans, CSAD oder Hungarocamion. Westler können dort nur mit Spezialequipment wie Silo, Tanker oder Kühler Fuß fassen. Frigo-Spezialist Hindelang zum Beispiel fühlt sich aber im Osten wie zu Hause. Eine Ausnahme bilden auch die Österreicher, die wenig Schwierigkeiten mit Visa haben und einen Radius bis nach Russland bestreichen. Auch wenn die Änderungen dann über Nacht kommen: Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus.

In Polen zum Beispiel gärt es schon Anfang der 80er-Jahre kräftig. General Jaruzelsky verhängt das Kriegsrecht und löst die Gewerkschaft „Solidarität“ auf. Das Ende des polnischen Kommunismus kann er damit hinauszögern, aber nicht verhindern. Die Gewerkschaft werkelt im Untergrund, bis sie 1989 doch die Oberhand gewinnt. Prompt fällt in diesem Jahr auch die deutsch-deutsche Mauer. Nun brodelt es fast überall im Osten.

1994 fallen in Deutschland die Gütertarife

Währenddessen arbeiten die Gremien im Westen schon all die Zeit zäh an dem, was sie „die Schaffung eines europäischen Binnenmarktes“ nennen. Das bedeutet auch in deren Worten: „freier Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr“. Anfang der 80er-Jahre war die EU noch klein. Jetzt ist sie schon ein Pfund: Spanien und Portugal zum Beispiel sind seit 1986 mit im Boot. Bis 1992 soll der europäische Binnenmarkt verwirklicht sein. Ab 1994 wird’s damit ernst. Dann fallen die Gütertarife in Deutschland definitiv.

Wer beim Kalkulieren jetzt noch Nachhilfe braucht, den fegt es früher oder später einfach weg. Dazu kommt: Schon 1990 ist Deutschland gerade wiedervereinigt. Der weitere Osten öffnet sich sukzessive und beansprucht seinen Teil vom Frachtkuchen. Noch schwelgen in deutschen Landen hüben wie drüben anfangs alle in Träumen – nur die wenigsten ahnen, welch fatale Lunte damit an den Status des Fernfahrers gelegt ist. Notiz am Rande: Es passt ins Bild, dass das Bundessozialgericht schon 1987 dem Berufskraftfahrer (damals zweijährige Ausbildung) den Facharbeiterstatus aberkennt und dass es erst 2001 mit einer auf drei Jahre gestreckten Ausbildung weitergeht.

Der Osten Deutschlands hinkt technisch hinterher

Deutschlands Osten findet den Kapitalismus, vor dem er ja nun hinlänglich gewarnt sein müsste, anfangs gar nicht so schlecht. Kanzler Kohl hat schließlich „blühende Landschaften“ versprochen. Was soll’s also, dass die Transportkombinate des Ostens mit einem steinzeitlichen Fuhrpark und mittelalterlicher Organisationsstruktur durch die Lande krauchen? Zu fahren gibt es für eine Weile schließlich auch einen Haufen, da der Osten beim Konsum naturgemäß einen irren Nachholbedarf hat. Jedoch trügt der schöne Schein: „Deutsche Sonderkonjunktur“ wird das später heißen, bis die damalige europaweite Rezession der frühen 90er-Jahre sich mit etwas Verspätung schließlich auch in die wiedervereinigte Bundesrepublik hineinfrisst.

Komplizierte Förderregeln

Für den Kauf von Lkw gibt es im Osten seinerzeit obendrein attraktive staatliche Kredite. Was viele aber übersehen: Die Subventionierung gilt nur, wenn das Fahrzeug mindestens 183 Tage in den Fördergebieten zugange ist. Wer damit zu viel außerhalb der sogenannten neuen Länder herumfuhr, musste plötzlich zurückzahlen. Allein das bricht schon manchem ganz schnell das Genick. Als dann ein Großteil der Ost-Industrie schließlich abgewickelt ist und der Absatz in den traditionellen Märkten noch weiter östlich zunehmend unter Schwindsucht leidet, wird’s eng.

Auf Dauer nehmen nun bald die Billiglöhne überhand. Zukunftsweisend ist die Ex-DDR hauptsächlich in einem Punkt gewesen: Mangels Devisen hat sich die internationale Sparte von Deutrans schon früh auf der westlichen Seite der deutsch-deutschen Grenze nach günstigen Beschaffungsmöglichkeiten für Lkw umgesehen und ist dabei im Harz fündig geworden. Peter Manns („Pema“) heißt der findige Bursche, der so ein deutsch-deutsches Mietgeschäft aufgezogen hat und der Deutrans damit zu ihren Volvo verhilft.

Lkw-Vermietung kommt ins Rollen

Als Anfang der 90er-Jahre im Westen die Lkw-Vermietung endlich überhaupt erlaubt wird, hat Pema somit bereits 1.000 Lkw im Bestand. Andere im Westen sind seinerzeit auf einen Mietfuhrpark zwischen gerade mal 20 und 50 Einheiten schon mächtig stolz. Doch zurück in die 90er, in denen es nun Schlag auf Schlag geht. Ab 1994 gibt es auch die bilateralen Genehmigungen zwischen den EU-Ländern nicht mehr. Somit kann sich jeder frei in der EU bewegen.

Kurios verläuft ab dann die Entwicklung: Durch den Wegfall der Zollabwicklung nehmen die Rundläufe kräftig an Fahrt auf. Munter steigt damit das Angebot an Ladefläche und rauschen die Preise entsprechend in den Keller. Andererseits verlagert die Industrie ihre Produktion zunehmend erst nach Spanien oder Großbritannien, später auch in den Osten. Damit gelangt im Gegenzug haufenweise Ladung auf den Markt, die jetzt aber vornehmlich in den Händen von Billig-Frachtanbietern aus vieler Herren Länder landet. Wie das die Szene zunehmend prägt und die Verhältnisse noch einmal verschärft, das steht in der nächsten und somit letzten Folge unserer Historie des Fernverkehrs.

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Harry Binhammer, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Harry Binhammer Fachanwalt für Arbeitsrecht
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