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Digitalisierte Straße Dobrindt plant Testfelder in Großstädten

Foto: Claudia Wild

"Wir wollen bei der Kernkompetenz Mobilität weiter das Innovationsland Nummer eins sein", lautet für Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt das Ziel. Die Umwälzungen durch die vernetzte Mobilität vergleicht der CSU-Politiker mit dem Wechsel von der Kutsche zum Auto. Bevor das Auto fliegen lernt, soll es erst mal vernünftig selbstständig fahren.

Im September letzten Jahres hat Bundesminister Alexander Dobrindt das Digitale Testfeld Autobahn (DTA) auf der A9 in Bayern eingerichtet – womit quasi "das Labor in den Realbetrieb auf die Straße" gebracht wurde. Jetzt zog er in Berlin eine erste Bilanz. Das "technologieoffene Angebot für Industrie und Forschung", wie es das Bundesverkehrsministerium (BMVI) nennt, nutzen bereits namhafte Unternehmen zum Realtest ihrer Technologien – davon überzeugte sich der Minister bei einem Rundgang durch die Ausstellung, bevor er zur Podiumsdiskussion Platz nahm. 

"Das Digitale Testfeld Autobahn ist die erste volldigitalisierte und vollvernetzte Straße weltweit für das automatisierte Fahren", sagte Dobrindt. Für eine sichere Kommunikation zwischen Fahrzeugen untereinander und mit ihrer Umgebung muss die Datenübertragung in Echtzeit passieren. Rund 36 Meter Bremsweg hat ein vollbeladener Gliederzug bei Tempo 80. Jede kleinste Verzögerung kann schwerwiegende Folgen haben. Automatisiertes Fahren soll für mehr Sicherheit und weniger Staus sorgen – so die Idee.
Das Tempo beim Datenfluss muss sich dafür weiter erhöhen: "Wir rollen 5G auf unseren digitalen Testfelder aus", kündigte Dobrindt an, "und stellen unsere Erfahrungen international zur Verfügung". Denn beim Standard wolle Deutschland mitentscheiden. 

Damit der Fahrer die Hände vom Steuer nehmen kann (oder gar keines mehr braucht), sind viele Voraussetzungen nötig, die allesamt auf der A9 unter realen Verkehrsbedingungen getestet werden sollen, bevor es richtig losgeht. Audi lässt auf dem Testfeld den RS 7 concept los. "Lkw-Platoons, bei denen mehrere Trucks vom ersten Fahrzeug aus ferngesteuert werden, sind auf der A9 in Bayern unterwegs", teilt Dobrindt mit. Der Kartenhersteller Here erfasst die Teststrecke zentimetergenau in einer digitalen HD-Karte, mit der automatisierte Fahrzeuge hochpräzise über die Fahrbahn gesteuert werden können.
Zum Erproben des künftigen Mobilfunkstandards 5G zur Car-to-Car-Echtzeitkommunikation wird ein kleines Teilstück der A9 mit Mobilfunk-Sendemasten ausgestattet. So soll die Reaktionszeit des Systems auf den Millisekunden-Bereich reduziert werden. Die passende Radar-Sensorik, die hochpräzise in Echtzeit über Verkehrsfluss und -dichte, Geschwindigkeit und Fahrverhalten informieren soll, kommt von Siemens und Infineon. "Wir liefern die Radarchips", sagt Joachim Wetzel, der bei Infineon das Business Development der Automotive Division verantwortet. Eingesetzt werden die Chips etwa in Fahrerassistenzsystemen. 

Steigende Nachfrage

Die Nachfrage steige stark an, weshalb das Unternehmen 100 Millionen Euro am Standort Regensburg investiert habe, um die Fertigungskapazität zu erhöhen, so Wetzel. Den Funksender für die Radartechnik baut Siemens, die wie Infineon seit Juni 2015 im DTA-Konsortium dabei sind. Ziel ist eine intelligente Verkehrssteuerung direkt bis ins Fahrzeug. Die Autos melden über GPS und eine Car2X-Onboard-Unit kontinuierlich Position, Geschwindigkeit und Fahrtrichtung. Das Verkehrsmanagementsystem kommuniziert Verkehrshinweise, Beschränkungen und Warnungen. Und die Leitstelle sorgt für mit allen Informationen für mehr Verkehrsfluss. Mitte 2017 will das Münchner Unternehmen Siemens an der A9 an drei bis vier Punkten in regelmäßigem Abstand bis zu zehn Sensoren als ersten Schritt installieren, sagte Markus Zwick, der den Bereich Innovative Mobilitätslösungen leitet. 

"Digitalisierung macht Fahren sicherer, bequemer, effizienter", ist der Minister überzeugt. Doch lässt sich so der Dauerstau in vielen Städten und auf Autobahnen beseitigen? Nach der Autobahn soll es nach dem Willen des BMVI jetzt in die Innenstädte gehen. 80 Millionen Euro Bundesmittel stellt Dobrindt dafür bereit, dass weitere Testfelder in München, aber auch Hamburg, Dresden, Ingolstadt, Braunschweig und Berlin starten können.

Verkehrsrecht muss mitwachsen

Dem Bitkom-Präsident Thorsten Dirks geht die Entwicklung jedoch nicht schnell genug, wie er bei der anschließenden Podiumsdiskussion erklärte. "Wir haben in einem Jahr viel erreicht, müssen jetzt aber zulegen."
 
Bis das mitteilsame Auto selbstständig und vernetzt rollt, gibt es noch viel zu klären, etwa beim Verkehrsrecht. Zwar hat der Bundestag die Änderung des Wiener Abkommens von 1968 im April beschlossen. Die Systeme müssen laut BMVI den technischen Regelungen der UNECE entsprechen und so gestaltet sein, dass sie durch den Fahrer übersteuert beziehungsweise abgeschaltet werden können. Doch genau hier liegt das Problem, denn immer wieder schalten Lkw-Fahrer die Assistenzsysteme ab. Soll dies nun verboten werden, muss das Gesetz erneut geändert werden. 

Dobrindt will sich dafür einsetzen, dass die Rechte des Fahrers und des automatisierten Systems gleichgesetzt werden. "Wir sind weiter, als manche glauben", sagt Eric Hilgendorf, Professor für Strafrecht an der Universität Würzburg und Mitglied der Ethikkommission zum automatisierten Fahren. Für ihn ist die Wiener Konvention ein Beispiel dafür, dass das Recht oft als Innovationsbremse herhalten muss. So wird beim automatisierten Fahren oft die knifflige Situation heraufbeschworen, wo der Autopilot über Leben und Tod entscheiden muss. Diese Lebensnotstandsfrage sei nicht einfach lösbar, doch es sei unfair, das Problem bei den Herstellern abzuladen, meint der Jurist. Ein Kollisionsvermeide-Assistent könne etwa so programmiert werden, dass der geringste Schaden an Leib und Leben entstehen soll. Trotzdem kann es zu Entscheidungen mit tödlichen Folgen kommen. Der Jurist und Philosoph fordert daher: "Wir brauchen Abstufungen im Unrecht", Leben zu verrechnen sei rechtswidrig.

Haftungsfrage, moralische und juristische Probleme

Neben moralischen und juristischen Problemen sind auch Haftungsfragen ungeklärt. Wer haftet, wenn das System überraschend versagt: der Fahrer, der Halter oder der Hersteller? Auch manche Datenschutz-Belange sind ungeklärt. Knifflig wird es für Hilgendorf auch, wenn die Algorithmen an Situationen lernen – das lässt sich nämlich nicht testen. Trotzdem: "All diese Fragen sind grundsätzlich lösbar", zeigt sich Hilgendorf überzeugt. Dobrindt hat über die Arbeitsgruppe der G7- Verkehrsminister anregt, eine Art Black Box (ähnlich wie im Flugzeug) im Auto zu verbauen, um nach Unfällen solche Fragen klären zu können. Ob das im Fall des Tesla-Unfalls geholfen hätte? "Tesla hat ein Assistenzsystem verbaut, die machen das Fahren erst mal sicherer", sagte Dobrindt dazu. Doch das Level 2-System erfordere die volle Aufmerksamkeit des Fahrers, "der muss sein Lenkrad in der Hand halten, es ist kein Autopilot". Der Tesla war in einen kreuzenden Lkw gefahren, weil Sensoren und Kamera die weiße Lkw-Seitenwand nicht vom sehr hellen Himmel unterscheiden konnten. Was der Fahrer zu der Zeit machte, ist unklar.

Für Prof. Dr. Barbara Lenz, Leiterin des Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums, steht immer der Mensch im Mittelpunkt, der die Technik auch begreifen muss. "Wir brauchen Beispielsfälle, die den Nutzen sichtbar machen, auch an den Stadträndern, im ländlichen Raum", regte sie an. Ein solcher Fall könne etwa ein 24/7-Fahrzeug sein.  

Sensoren, hochautomatisierte Karten, Telematik, autonome Fahrzeug – und das alles zu einer funktionierenden, lernenden Einheit zusammenbringen, das ist eine große Aufgabe. Doch Dobrindt ist zuversichtlich, dass es klappt: "Wenn die Testkilometer abgeschlossen sind und es mit Sicherheit funktioniert, dann bringen wir es in den Markt"

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