Verordnung zu Fahrerassistenzsystemen Automatisch sicher

Verordnung zu Fahrerassistenzsystemen, Knorr-Bremse, Notbremsassistent, VW Golf Foto: © Martin Hangen/Knorr-Bremse 6 Bilder

Um Tote, Verletzte und hohe Sachschäden bei Unfällen mit Lkw zu vermeiden,
erhebt die EU Spurwächter, Notbremse und Fahrdynamikregelung zur Pflichtausstattung.

Die A 81 bei Sindelfingen an einem Nachmittag im November: Ein übermüdeter und noch dazu betrunkener Lkw-Fahrer aus Tschechien reagiert nicht auf die Bremslichter vor ihm. Ungebremst prallt sein Lkw auf einen Audi A4, schiebt ihn auf eine Mercedes A-Klasse und einen VW Golf. Die Folge: zwei Verletzte, eine mehrstündige Bergung und 15 Kilometer Stau in beiden Richtungen, wie die Stuttgarter Zeitung berichtet.

Notbremssysteme verhindern Unfälle

Wäre der Unfall zu verhindern gewesen? Vermutlich. Durch ein Notbremssystem, das den Fahrer wachrütteln und notfalls seinen Lkw selbstständig zum Stillstand hätte bringen können. In ein paar Jahren soll das System europaweit serienmäßig an Bord sein.
Dazu hat die EU-Kommission im Jahr 2009 die Sicherheitsverordnung 661/2009 verabschiedet, die drei wichtige Fahrerassistenzsysteme vorschreibt: elektronische  Fahrdynamikregelsysteme (Electronic Stability Control, ESC/ESP), Spurverlassenswarner (Lane Departure Warning Systems, LDWS) und fortschrittliche Notbremsassistenzsysteme (Advanced Emergency Braking Systems, AEBS).

Die Systeme werden nach und nach zur Pflichtausstattung. So müssen ab November 2014 nahezu alle Lkw (Fahrzeugklassen: N1, N2, N3), Busse (M2, M3) und Anhänger (O3, O4) bei ihrer Erstzulassung über elektronische Fahrdynamikregelsysteme wie ESP verfügen.

Formulierung lässt Raum für Interpretation

Für neu zu genehmigende Fahrzeugtypen gilt dies laut Verordnung bereits seit November 2011. Was die Serienausstattung bei den neu auf dem Markt erschienenen Modellen betrifft, lässt diese Formulierung scheinbar Raum für Interpretation. "Wenn Fahrzeuge mit ESC typgeprüft sind, heißt das noch nicht, dass auch ESC verbaut ist", heißt es bei Wabco. Daher sei es den Fahrzeugherstellern möglich, dass sie das Stabilitätsprogramm noch bis November 2014 als Zusatzausstattung verkaufen.

In einem zweiten Schritt werden Spurverlassenswarner und fortschrittliche Notbremsassistenten zur Pflichtausstattung von Lkw (N2, N3) und Bussen (M2, M3). Ab November 2013 müssen die beiden Systeme in den neu zu genehmigenden Typen verbaut sein und ab November 2015 in den erstmals zugelassenen Fahrzeugen.

Fahrerassistenzsysteme sollen Kontrolle zurückbringen

Für die Genehmigung der genannten Systeme wurden spezielle Prüfungsszenarien entwickelt. Grundsätzlich gilt: Fahrerassistenzsysteme sollen dem Fahrer die verloren gegangene Kontrolle zurückgeben und nicht zu früh eingreifen. Sie sind nur für Notsituationen gedacht und sollen nicht zu riskantem Fahren verleiten. Grund für die Verordnung ist die schleppende Verbreitung dieser Systeme im Nutzfahrzeugbereich. Dabei ließen sich gerade hier viele Tote, Verletzte und ein hoher volkswirtschaftlicher Schaden vermeiden – auch wenn die Zahl der bei Verkehrsunfällen Getöteten oder Verletzten seit den 1990er- Jahren stark abgenommen hat. Wegen der im gleichen Zeitraum rasant gestiegenen Transportleistung passieren aber weiterhin viele Unfälle mit Lkw-Beteiligung. Im Jahr 2011 starben, wie Erwin Petersen von der Landesverkehrswacht Niedersachsen im Rahmen des Dekra-Symposiums "Sicherheit von Nutzfahrzeugen" beklagte, 889 Menschen bei Lkw-Unfällen. Darunter waren 174 Lkw-Fahrer.

Notbremssystem soll Hindernisse automatisch erkennen

Im Mittelpunkt der Unfallvermeidung steht der Notbremsassistent. Die in der EU-Verordnung genannten AEBS sollen Hindernisse automatisch erkennen und mit einer zweistufigen optischen, akustischen oder haptischen Warnung dem Fahrer Gelegenheit geben, einen Zusammenstoß zu verhindern. Falls die Reaktion des Fahrers ausbleibt, aktiviert der Notbremsassistent automatisch das Bremssystem des Fahrzeuges, um eine Kollision zu vermeiden oder zumindest deren Wucht zu verringern. Sowohl für den Fall, dass der Vordermann langsamer wird oder anhält, als auch für den Fall, dass ein Fahrzeug im Weg steht.

Darin liegt der Unterschied zu den bisherigen Abstandsregeltempomaten und Notbremssystemen, die nur auf bewegte Ziele reagieren. Eine Verbesserung und Vernetzung der Systeme über die Mindestanforderungen hinaus ist ausdrücklich erwünscht. Der Notbremsassistent On Guard Plus von Wabco aktiviert zum Beispiel den erweiterten Bremsassistenten (EBA), falls der Fahrer bei der ersten oder zweiten Warnung wenigstens leicht auf die Bremse tritt. Hindernisse erkennen AEBS durch Kameras und Radar- oder Lasersensoren.

Active Brake Assist war Vorreiter

Den ersten Notbremsassistenten für Lkw brachte Daimler 2006 auf den Markt. Der Active Brake Assist (ABA) basiert auf dem Radarsystem des Abstandsregeltempomaten (ART, ACC). Bei den Kunden konnte sich das System als Bestandteil des Safety Pack, einem Sonderausstattungspaket, zwar durchsetzen. In seiner Verbreitung blieb es laut Daimler zunächst aber weitgehend auf Deutschland und die Schweiz beschränkt.

Vor allem die Kosten der Assistenzsysteme dürften viele Kunden bisher vom Kauf abgehalten haben. Für die nicht serienmäßig verbauten Systeme beträgt der Aufpreis je nach Hersteller bis zu 5.000 Euro. Wohlgemerkt pro Einzelsystem – im Paket sind sie oft günstiger. Mit Unterstützung aus Brüssel werden die wichtigsten Systeme jetzt nach und nach zur Serienausstattung. Bis die Verordnung im Alltag Wirkung zeigt, werden aber wohl noch einige Jahre ins Land ziehen. Sei es wegen der Übergangsfristen, sei es wegen der Investitionszyklen der Spediteure.

Mercedes-Benz-Lkw sind vorbildhaft

Von den Fahrzeugherstellern und Komponentenbauern erhofft Petersen sich, dass sie diese Systeme zügig auf einen Leistungsstandard möglichst über dem von der EU-Norm vorgegebenen bringen und serienmäßig einführen. Hier gehört Daimler erneut zu den Vorreitern: Auf der IAA Nutzfahrzeuge 2012 hat das Unternehmen die jüngste Generation des Active Brake Assist, den ABA 3, vorgestellt. Sowohl der neue Actros als auch der Antos sind schon jetzt mit allen Fahrerassistenzsystemen zu haben – allerdings gegen Aufpreis. Volvo zieht mit dem neuen FH nach, bei den übrigen Herstellern befinden sich die AEBS noch in der Entwicklung. Renault will im Juni mit einer komplett neuen Baureihe aufwarten und vorab keine Details bekannt geben. ESC bieten inzwischen alle Hersteller an. Allerdings beschränkt sich die Serienausstattung zum Teil auf die Fernverkehrsmodelle. Spurverlassenswarner sind nur gegen Aufpreis erhältlich. Noch hängt der Grad an Sicherheit also von der Investitionsbereitschaft der Transportunternehmer ab. Doch je schneller die flächendeckende Einführung von AEBS und Co. gelingt, desto eher werden die Berichte über Lkw-Crashs der Vergangenheit angehören.

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