Adblue-Manipulation Die Sicht von Camion pro

Foto: Camion pro

Die ZDF-Sendungen Frontal 21 beziehungsweise ZDF-Zoom wollen einen neuen Abgasskandal aufgedeckt haben. Dieses Mal bei Lkw und dort maßgeblich von den Flottenbetreibern aus mittel- und osteuropäischen Ländern vorgenommen. 

Im Rahmen der Recherchen hat das Institut für Umweltphysik der Universität Heidelberg eine Studie mit dem Titel "Bestimmungen von realen Lkw NOx-Emissionen auf deutschen Autobahnen" durchgeführt. Dazu und zu weiteren Angaben, die unser Autor Jan Bergrath in seinem Blog in Frage stellt, haben wir Andreas Mossyrsch, Vorstand von Camion pro, befragt. Der Transportverband ist neben dem ZDF der zweite Auftraggeber der Studie.

Wie kommt Camion pro auf eine Manipulationsquote von 40 Prozent, wenn im ursprünglichen Bericht die Rede von 23 Prozent war?

Mossyrsch: Ich hatte Ihrem Haus eine Kopie der Studie kostenlos überlassen. Aus der Zusammenfassung geht hervor, dass die Zahlen von Dr. Denis Pöhler von der Universität Heidelberg ermittelt wurden. Wenn Sie die Studie lesen, klären sich vermutlich auch eine Reihe weiterer Missverständnisse, die in Ihrem Haus beziehungsweise bei ihrem Autor Jan Bergrath bestehen, auf.

Anmerkung der Redaktion: Wir haben auch Dr. Denis Pöhler dazu befragt: Geht diese neue Hochrechnung – möglicherweise 40 Prozent – aus Ihrer Studie wirklich hervor?

Dr. Pöhler: Die Zahl im Bericht sind 23 Prozent für ausländische Lkw, wenn eine relativ hohe Toleranz beziehungsweise ein relativ hoher Grenzwert gewählt wird, ab wann eine Überschreitung erst als signifikant beurteilt wird. Das können Sie sich analog vorstellen, etwa dass Sie in einer Tempo-50-Zone eine Toleranz von +30 km/h gewährt bekommen, also erst bei gemessenen Tempo 80 ein Überschreitung festgelegt wird. Verringert man diese Toleranz, sind mehr Lkw auffällig. Begrenzt man die Berechnung nur auf osteuropäische Lkw, steigt die Prozentzahl weiter. So wurde ein Anteil bis möglicherweise 40 Prozent abgeschätzt.

Warum wurde im Auftrag von Camion pro und ZDF nicht darauf bestanden, dass die Polizei die gemessenen, auffälligen Lkw kontrolliert?

Mossyrsch: Ich hätte gerne Messungen mit Polizeibegleitung durchgeführt. Aufgrund der Rechtslage und mangelnder Kenntnisse bei der Polizei war das nicht machbar. Die Beamten müssten die Lkw stoppen, sich an der Fahrzeug-Elektronik zu schaffen machen und dabei massiv in Grundrechte eingreifen – und das für einen Tatbestand, der polizeilich nicht bekannt ist! Wie Sie richtig bemerkt haben, hat das Messverfahren auch derzeit noch keine Zulassung. Solche Messungen sind vermutlich nur auf Ministeriumsebene zu realisieren. Im Sommer 2016 war das nicht zu leisten. Zumal bei Bekanntwerden die Realisierung des Filmprojekts gefährdet gewesen wäre. Sollte die deutsche Polizei heute dazu bereit sein, steht Dr. Denis Pöhler gern zur Verfügung.

Wieso kommt ein Messgerät zum Einsatz, das nach Angaben in der Studie nicht den gesetzlichen Vorgaben für Abgasmessungen entspricht und scheinbar eine extrem hohe Messtoleranz benötigt und noch dazu per Lanze zur dem Abgasstrom abgewandten Seite misst – so zu sehen im TV?

Mossyrsch: Das von der Uni Heidelberg entwickelte Gerät ist weltweit das einzige, das nicht am zu messenden Fahrzeug angebracht oder in einer Messstation vorgehalten werden muss. Mit gesetzlich zugelassenen Messverfahren ist eine derartige Prüfung nicht möglich. Somit sind nur mit diesem Gerät verdachtsunabhängige Messungen im fließenden Verkehr realisierbar. Weiteren Spekulationen über die Messsonde und Messtoleranzen sind haltlos beziehungsweise irrelevant. Wenn Sie Probleme mit dem Inhalt des Gutachtens haben, wofür ich vollstes Verständnis habe, empfehle ich Ihnen, Ihre Recherchen durch Fachleute begleiten zu lassen.

Halten Sie die Messbedingungen für gerichtsfest beziehungsweise sind sie unter reproduzierbaren Bedingungen zustande gekommen?

Mossyrsch: Als alleiniges Beweismittel, ähnlich einer Radarpistole, können die Messungen derzeit aufgrund mangelnder Zulassungen nicht verwendet werden. Die Messungen sind selbstverständlich reproduzierbar und wissenschaftlich einwandfrei. 

In der Studie werden acht Fotos von Lkw gezeigt, die bei den Messungen auffällig gewesen sein sollen. Laut Dr. Pöhler sind alle auffälligen Lkw mit großer Wahrscheinlichkeit manipuliert. Wieso wurde bei den betroffenen Unternehmen nicht nachgefragt, ob das der Fall ist? Wir haben dort nachgefragt (Beispiel Albert Comimpex) und sind zu anderen Ergebnissen gekommen.

Mossyrsch: Wenn ich Ihre Frage richtig verstehe, sollen wir bei Unternehmen in Osteuropa nachfragen, ob diese illegale Technik einsetzen? Ich nehme an, Christian Bock hatte da andere Rechercheansätze. Fragen dazu bitte an den Autor.

Anmerkung der Redaktion: Wir haben auch den Autor Christian Bock dazu befragt: 

Bock: Ich habe einige Lkw-Unternehmen direkt nach der Messung angeschrieben und um Stellungnahme gebeten habe. Es kamen keinerlei Rückmeldungen. Mir fehlt auch die Vorstellungskraft, warum ein als auffällig gemessene Spediteur uns gegenüber den Einsatz von Emulatoren bestätigen soll. Aus einer Anfrage zu erwarten, dass jemand eine Straftat zugibt, die er jederzeit und problemlos durch den einfachen Rückbau des Emulators verschleiern kann, ist nur als naiv zu bezeichnen und hat keinerlei Aussagewert.

Wieso wurden keine anderen Ursachen für abweichende Werte in Betracht gezogen wie Kaltstart, Hochlast, Hintergrundbelastungen durch den übrigen Verkehr?

Mossyrsch: Wir haben sehr wohl andere mögliche Ursachen in Betracht gezogen. Nachfolgende Fakten haben wir abgewogen: Bei den Messungen der Uni Heidelberg wurden 250 Lkw gemessen. Die Hintergrundbelastung wurde permanent gemessen und korrigiert. Alle Lkw wurden bei vergleichbaren Fahrbedingungen mit konstanter Fahrt auf der Autobahn untersucht. Die Messwerte nahezu aller deutschen und westeuropäischen Lkw bewegten sich ziemlich exakt im Bereich der vorgeschriebenen Werte von Euro 5 oder 6. Ebenso 60 Prozent der Lkw aus MOE. Etwas mehr als 40 Prozent der MOE-Lkw, haben die Grenzwerte teilweise um das 15-fache "gerissen". In 20 Prozent dieser Fälle konnten die Wissenschaftler der Uni Heidelberg anhand der Kennzeichnung am Fahrzeug die Euro 5 oder 6 nachweisen. Vergleicht man die Gesamtzahl 40 Prozent mit Angaben von Toll Collect, stellt man fest, dass nicht 40 Prozent, sondern nur ein verschwindend geringer Teil der Fahrzeuge auf der Straße, EURO 4 oder schlechter entsprächen. Das heißt: circa 40 Prozent der MOL-LKW haben Werte, die sie auf keinen Fall haben dürften! Dass fast nur osteuropäische Lkw, rein zufällig, zum Zeitpunkt der Messung in "schwierigen Betriebszuständen" unterwegs waren, ist ein untauglicher Erklärungsversuch. Außerdem würde das bedeuten, dass die Adblue-Abgastechnik zum erheblichen Teilen nicht funktioniert. Das wäre dann ein Skandal ganz anderer Dimension!

Wieso wurde die Manipulationsszene an drei verschiedenen Orten rund um Targoviste gedreht?

Mossyrsch: Christian Bock als Autor, hat bereits Jan Bergrath mitgeteilt, dass die Fragestellung irrelevant für eine konstruktive Bearbeitung des Themas ist. Christian Bock und ich werden keine Angaben zu Personen, Orten oder Umständen machen, da dies den Informantenschutz gefährden würde. Die unterschwellige Unterstellung, die Aufnahmen seien deswegen nachgestellt, ist absolut unseriös.

Bock: Mit fällt auch nicht ein, inwieweit die Anzahl der Drehorte irgendeine Relevanz haben kann. Es wurde auch bemerkt, dass die Interviews nachträglich gesprochen wurden (ZDF-üblich mit "Gedächtnisprotokoll nachgesprochen") - das ist, wie man sehr einfach recherchieren kann, in fast allen investigativen Sendungen so üblich. Natürlich muss der Zuschauer darauf vertrauen, dass der Inhalt vom Verfasser seriös und korrekt wiedergegeben ist. Ich verweise in dieser Hinsicht auf meine Film-Biografie, den 2. Deutschen Wirtschaftsfilmpreis 2011, die erneute Nominierung 2016, den Sozialcourage-Medienpreis 2016 und andere. 

Wie kommen Sie auf eine Einsparsumme von 2.000 Euro pro Lkw/pro Jahr? Nach unseren Recherchen wird Adblue in der Regel wesentlich billiger eingekauft, die Einsparungen dürften im Fernverkehr höchstens bei 500 bis 1.000 Euro je Lkw und Jahr in Abhängigkeit vom exakten Verbrauch und der exakten Strecke betragen.

Mossyrsch: Die Zahlen stammen nicht von mir. Ich habe meine Informanten zitiert. Diese sprachen auch nicht davon, dass man mindestens 2.000 Euro spart! Möglicherweise sind hier unterschiedliche Einkaufspreise die Ursachen. Soweit mir bekannt ist, gibt es Länder mit deutlich höheren Adblue-Preisen als Deutschland. Hinzu kommt, dass teilweise Fahrzeuge im Zweimannbetrieb eingesetzt werden oder möglicherweise durch Digitaltacho-Manipulationen höhere Betriebsleistungen aufweisen. Die Zahl 2.000 Euro halte ich für hoch, aber nicht für unrealistisch. Abgesehen davon, sind aus meiner Sicht auch 1.000 Euro pro Jahr und Lkw in Rumänien viel Geld und würden den Einsatz von Adblue-Killern nicht infrage stellen.

Wieso soll ein Unternehmer für gerade mal 2.000 Euro pro Jahr eine so gravierende Manipulation vornehmen, die allein schon um die 100 Euro Umrüstung kostet und den Restwert des Fahrzeugs drastisch reduziert, womöglich den Katalysator im Wert von mehreren 1.000 Euro zerstört sowie den Besuch einer Markenwerkstatt selbst bei einer Panne unmöglich macht?

Mossyrsch: Meine Informanten können Ihre Sichtweise nicht bestätigen. Mittlerweile bestreiten selbst Jan Bergrath und seine Informanten in Rumänien die Verwendung von Emulatoren nicht mehr, sondern begrenzen die Verwendung auf "vor allem kleine Unternehmen" – siehe "Jans Blog" "Rohrkrepierer Abgasskandal mit Adblue-Killer". Somit dürfte sich die Diskussion über die Alltagstauglichkeit von Adblue-Emulatoren bereits in Ihrem Haus entschieden haben.

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Harry Binhammer, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Harry Binhammer Fachanwalt für Arbeitsrecht
Experte für Flottenmanagement und angewandte Mobilitätsangebote Rolf Lübke Mobilität, Fuhrpark (inkl. Wasserstoff-Expertise)
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