Zeitausgleich bei Fahrern Viel Arbeit, wenig Freizeit

Klaeser Foto: Jan Bergrath

Die meisten Fahrer wissen inzwischen, dass sie im Mittel von vier Monaten nur 48 Stunden pro Woche arbeiten dürfen. Mit dem Zeitausgleich hapert es bisweilen noch.

Die beiden Regelungen zu den Lenk- und Ruhezeiten aus der VO (EG) 561/2006 einerseits und zu den erlaubten Arbeitszeiten im Paragraf 21a des deutschen Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) andererseits sind zwar aufeinander abgestimmt, aber für viele Fahrer nicht immer leicht zu verstehen. Immerhin ist es nun doch den meisten bekannt, dass sie im Mittel von vier Monaten maximal 48 Stunden pro Woche arbeiten dürfen. Heißt: Wenn ein Fahrer im Rahmen der Doppelwoche (90 Stunden) im Mittel also 45 Stunden pro Woche lenkt, dann bleiben im Schnitt noch drei Stunden übrig für andere Arbeiten. Bereitschaftszeiten nach § 21a ArbZG sind per Definition aus dieser Rechnung herauszunehmen.

Nicht immer aber sind die Verhältnisse so ideal wie etwa bei der AZ in Kempen, wo die Fahrer ausschließlich fahren müssen. Immer wieder bekommt die Redaktion Leserbriefe, wie jetzt den von Maik Dziwisch, der Schichtzeiten (die es in der Verordnung so nicht gibt) von 13 und 15 Stunden für seine Berechnung des Mindestlohns zugrunde legt.

Illegale Überstunden durch falsche Tachobedienung

Dabei vergisst er, dass darin eben auch die Bereitschaftszeiten, die natürlich bezahlt werden müssen, aber auch die Fahrunterbrechungen/Pausen umfasst werden. Sein Vorwurf: Am Ende des Monats würden viele Fahrer somit bis zu 276 Stunden im Monat arbeiten. "Die Rechnung hakt bereits an der simplen Tatsache, dass ein Monat eben aus 4,33 Wochen besteht", sagt Götz Bopp.

Das zweite Problem: Viele Fahrer würden, so Dziwisch, den Tacho etwa beim Abladen (Arbeit) auf Pause stellen. Die Konsequenz daraus ist in dem Blog-Beitrag "Illegale Überstunden" auf der Webseite ausführlich erörtert. "Zwar darf ein Fahrer auch bis zu 60 Stunden pro Woche arbeiten", erklärt Bopp, "doch im Rahmen von vier Monaten muss er einen Ausgleich an Freizeit erhalten, sodass er dann wieder auf seine 48 Stunden pro Woche kommt. Urlaub und Krankheitstage sind natürlich keine Freizeit, dürfen also nicht eingerechnet werden."

Zeitausgleich hat sich bisher nicht durchgesetzt

In der realen Transportwelt hat sich der Zeitausgleich allerdings bislang nicht wirklich durchgesetzt.  Dazu wird in der Tat zu viel mit dem Tacho geschummelt. "Stunden kloppen", wie es für viele Fahrer früher mal ein Anreiz war, geht eigentlich nicht mehr, und klassische Überstunden für Fahrer sind laut ArbZG eigentlich nur möglich, wenn sie, wie etwa in einem Tarifvertrag, die Differenz von den grundsätzlich vereinbarten 38 bis 40 Basisstunden (je nach Mantel­tarif­vertrag) zu den maximal erlaubten 48 Stunden betreffen. "Der Unternehmer hat dafür zu sorgen, dass das ArbZG eingehalten wird", sagt Bopp. "Im Zweifel muss er dann für seine Fahrer, die zu viel gearbeitet haben, Freizeit anordnen." 

Aber wie berechnet sich diese Ausgleichszeit? "Laut Arbeitszeitgesetz gilt für alle Arbeitnehmer die Sechs-Tage-Woche", so Bopp, "somit auch für Fahrer." Deshalb kann auch für Fahrer, die eine regelmäßige Fünf-Tage-Woche haben, der eigentlich freie Samstag mit in die Berechnung eingezogen werden. Selbst wenn die EU-Verordnung 561/2006 ja besagt, dass der Fahrer eine regelmäßige wöchentliche Ruhezeit von 45 Stunden nehmen muss. Diese Ruhezeit ist im Sinne des ArbZG eine Freizeit.
Arbeitnehmer, die eine reine Fünf-Tage-Woche haben, können ohne Ausgleichsbedarf somit exakt 9,6 Stunden arbeiten (5 x 9,6 h = 48 h).

Fahrer arbeiten viel und haben wenig frei

"Nur wenn mit gewisser Regelmäßigkeit über die 9,6 Stunden hinaus gearbeitet wird, muss der Ausgleich erfolgen", erklärt Bopp. Um auszugleichen, müssen zusätzlich freie Tage oder verkürzte Arbeitstage gewährt werden. Bei einem Fahrer, der auf eine 60-Stunden-Woche kommt, könnte das bedeuten, dass in der Folge­woche nach 36 Stunden Schluss ist (60 h + 36 h = 96 h : 2 = 48 h). "Aus der Praxis im Gewerbe ist das allerdings nicht bekannt", sagt Bopp, "der Ausfall von Touren wäre die Folge. Und das Thema Fahrermangel hätte eine ganz neue Brisanz."

Statt mehr Fahrer im Einklang mit dem Arbeitszeit­gesetz einzusetzen, hofft die Branche aber weiterhin auf die laschen und viel zu seltenen Kontrollen der Gewerbeaufsichtsämter. Bis hier konsequent kontrolliert und auch von den Fahrern der Ausgleich eingefordert wird, bleibt es dabei, dass die Fahrer viel arbeiten und wenig frei haben.

Dieser Artikel stammt aus diesem Heft
FF 11 Titel
FERNFAHRER 11 / 2016
4. Oktober 2016
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