Aufs Schlimmste gefasst: Der Spediteur Horst Kottmeyer ist auf ein Szenario ohne Handelsabkommen vorbereitet.
Kottmeyer: Wir sind auf das schlimmste Szenario ohne Handelsabkommen vorbereitet. Wir haben mit Absendern und Empfängern auf beiden Seiten des Kanals intensive Gespräche geführt, bei denen zolltechnische Fragen abgeklärt wurden. Wir werden wohl bei einem Großteil unserer Sendungen durchgehende Papiere erstellen können.
Ich habe den Eindruck, dass die Verlader auf dem Kontinent vorbereitet sind. Das gilt auch für unsere Großkunden in England, die wir im praktischen Betrieb wie ehemals die zugelassenen Empfänger behandeln können. Auch der Eurotunnel hat sich auf den Worst Case sehr gut eingestellt. Das ist wichtig für uns, denn wir wollen Großbritannien zu 95 Prozent unter dem Kanal anfahren. Echte Probleme könnte es bei Exporten aus England geben, wo man augenscheinlich nicht so gut vorbereitet ist.
Was tun Sie da?Wir haben uns dafür entschieden, verstärkt leer aus England herauszufahren, zumal das Preisniveau nochmals gesunken ist. Wir befürchten, dass Rückladungen uns nur mit Problemen belasten, und merken außerdem, dass sich immer mehr deutsche Kunden von englischen Lieferanten verabschieden und sich Alternativen suchen.
Es heißt ja, dass es ein ganz neues IT-System für Fahrzeugdaten und Zollnummern zur Vereinfachung geben wird …Das schon, aber das ist frühestens irgendwann im Dezember einsatzbereit. Wir haben uns darauf eingestellt, hierfür über Weihnachten eine Schnittstelle zu konstruieren. Es ist wirklich eine Zumutung, wenn man sich anschaut, was alles nicht läuft. Wir sind darauf angewiesen, dass sich in Großbritannien etwas bewegt.
Was sind Ihre Pläne, wenn es zu langen Staus kommen sollte?Wir haben das große Glück, dass unsere Kundschaft in der ersten Januarwoche Urlaub hat. Sollten tatsächlich Tausende Lkw ins Stocken geraten, werden wohl viele Spediteure ihre Fahrten nach Großbritannien zunächst einstellen. Die geplanten Toilettenhäuschen am Straßenrand können das Problem nicht lösen. Im Zweifelsfall müssen die Briten dann die Schranke aufmachen und alle durchwinken, auch, um die Versorgung vor Ort zu sichern.
Sie blicken also mit gemischten Gefühlen auf den 2. Januar?Schon. Wir haben alles getan, was uns möglich war, und sind gut aufgestellt. Aber zu den Brexit-Problemen kommt noch ein weiteres, das etwas in den Hintergrund getreten ist: Die Lage mit illegalen Einreisewilligen, die über den Kanal nach England wollen, hat sich wieder zugespitzt. Selbst auf den drei eingezäunten Sicherheitsparkplätzen in Calais kommt es zu Zwischenfällen mit Migranten – bei uns neulich in einer Woche gleich dreimal.
Zur Person
- Horst Kottmeyer führt mit seiner Frau Bettina die Geschäfte der gleichnamigen Spedition aus Bad Oeynhausen in dritter Generation. Seit vorigem Jahr ist er Aufsichtsratsvorsitzender des Bundesverbands Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL), auf Landesverbandsebene Vorsitzender des Verbands Verkehrswirtschaft und Logistik NRW.
- Das Unternehmen beschäftigt rund 300 Mitarbeiter und ist spezialisiert auf Volumentransporte im Binnenverkehr sowie in die Niederlande, nach Belgien, England und Italien.
Verzögerung bei der Software
- Wichtige Software für die Zeit nach dem Brexit wird wohl nicht schon zum 1. Januar verfügbar sein, warnt die britische Vereinigung der Software-Entwickler für die Transportbranche (AFSS). Ihre Mitglieder könnten die Lieferung nicht garantieren, da die staatlichen Behörden es versäumt hätten, ihnen Einzelheiten und Anweisungen für das Projekt zu geben. Angesichts der weiterhin laufenden Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU über ein Handelsabkommen sind diverse Punkte noch immer offen.
- Die Software soll Transport- und Logistikunternehmen helfen, ihre Papiere zur Berechnung der Steuern digital einzureichen. Werde sie nicht rechtzeitig fertig, komme es zu längeren Wartezeiten an den Grenzen und „erheblichen zusätzlichen Kosten“, betont der Branchenverband Logistics UK. Transportunternehmen seien nicht in der Lage, dies aufzufangen. Auch wenn die Software im Wesentlichen für britische Unternehmen zum Tragen kommt, wird sie auf alle anderen Transporte durchschlagen. Der Lkw-Verkehr, der sich in Richtung Kanalhäfen staut, lässt sich nicht einfach umfahren.