Winterreifen für Lkw Auf Grober Sohle

Lkw im Schnee Foto: Hersteller

Im Gespräch: Christian Koch, Reifenfachmann der Sachverständigenorganisation Dekra, erklärt, worauf im Winter bei der Wahl der richtigen Bereifung zu achten ist.

Was macht einen Winterreifen aus – beziehungsweise woran erkenne ich einen Winterreifen?

Koch: Rechtlich gesehen gibt es "Winterreifen" gar nicht. Der Paragraf 2, Absatz 3a, der Straßenverkehrsordnung (StVO) nimmt hier auf die Richtlinie der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 92/23/EWG Bezug, nach der bei Schneeglätte, Schneematsch, Eis- oder Reifglätte ein Kraftfahrzeug nur mit M+S-Reifen (Matsch und Schnee) gefahren werden darf. Diese Reifen werden bislang nicht als „Winterreifen“, sondern als "wintertaugliche Bereifung" beschrieben. Ein M+S-Reifen zeichnet sich durch die grobe Profilgestaltung aus. Zwei weitere Wirkmechanismen kommen bei wintertauglichen Reifen hinzu – die Fein-lamellierung und die Gummimischung, die auch bei tiefen Temperaturen nicht verhärtet.

 Auf welche sicherheitsrelevanten Kriterien ist im Winter zu achten?

Koch: Die wichtigste Eigenschaft ist die Wintertauglichkeit. Das heißt: die Fähigkeit auf Eis und Schnee, aber auch bei tieferen Temperaturen bei Nässe, die Kräfte zwischen Fahrzeug und Fahrbahn sicher zu übertragen. Bei Kurvenfahrt und beim Bremsen sorgt diese Haftung dafür, dass das Fahrzeug sicher fährt.

Was unterscheidet wintertaugliche Reifen von Sommerreifen im Hinblick auf Luftdruck, Laufleistung, Pflege und Wartung?

Koch: Auch wenn die Einsatzgebiete und -zeiten von Winter- und Sommerreifen unterschiedlich sind, so unterscheiden sich die Pneus doch nicht grundlegend. Auch ein Winterreifen kann nur richtig funktionieren, wenn er mit genügend Druck befüllt ist. Dieser richtet sich sowohl nach der Außentemperatur als auch der Belastung des Fahrzeugs. Sofern der Reifen nur im Winterhalbjahr eingesetzt wird, weist er auch im Vergleich zum Sommerreifen keinen übermäßigen Verschleiß auf. Hier gilt die Faustregel "von O bis O", also von Oktober bis Ostern. Zu beachten ist jedoch, dass die Wintereigenschaften mit abnehmender Profiltiefe deutlich schlechter werden. Dekra empfiehlt daher, den Reifen nicht bis zur gesetzlichen Mindestprofiltiefe von 1,6 Millimetern zu verwenden, sondern den Wechsel schon bei einer Restprofiltiefe von vier Millimetern vorzunehmen. In den Sommermonaten sollten Winterreifen ordnungsgemäß gelagert werden. Das heißt: ausreichend kühl, dunkel und frei von Kraftstoffen und Lösungsmitteln.

Was müssen Transporteure, die im internationalen Fernverkehr unterwegs sind, beim Thema Winterreifen beachten?

Koch: Hier sind selbstverständlich die jeweiligen nationalen Regelungen zu beachten, die in den einzelnen Ländern gelten. So unterscheiden sich beispielsweise die Regelungen in Österreich oder Skandinavien deutlich von jenen in Deutschland. Hier sind die Informationen der Verbände wie dem Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) oder dem Bundesverband Reifen­handel und Vulkaniseur-Handwerk (BRV) sehr hilfreich. Entscheidend sind aber auch Erfahrungswerte zur jeweiligen Fahrstrecke und Topografie sowie die Wahrscheinlichkeit, dass winterliche Straßenverhältnisse auf­treten.

Laut Paragraf 2, Absatz 3a, der StVO müssen Kraftfahrzeuge der Klassen M2, M3 sowie N2 und N3 eine M+S-Bereifung lediglich auf der Antriebsachse aufweisen – mit Ausnahme von Land- und Forstwirtschaft sowie Einsatzfahrzeugen. Ist das Ihrer Meinung nach ausreichend und wann empfiehlt es sich, auch die Bereifung der Lenk- beziehungsweise Trailerachsen umzustellen?

Koch: Da Nutzfahrzeuge im Gegensatz zu Personenkraftwagen und Transportern (Fahrzeuge der Klassen M1 und N1) ein anderes Fahrzeugkonzept darstellen und auch deutlich unterschiedliche Reifen und Fülldrücke verwenden (Anmerkung der Redaktion: je nach Reifendimension und Fahrzeug zwischen 4,5 bis 9,5 bar), ist diese Richtlinie durchaus als sinnvoll zu betrachten. Hinzu kommt, dass der für die Lauffläche verwendete Anteil an Naturkautschuk deutlich höher ist als beim Pkw, was den Nutzfahrzeugreifen grundsätzlich wintertauglicher macht. Der Fahrzeughalter sollte hier jedoch aufgrund seiner Erfahrung eine entsprechende Entscheidung zur Ausrüstung seiner Fahrzeuge treffen. Auch spielen hier die Topografie der Fahrtstrecke, die dort herrschenden Winterbedingungen sowie die eingesetzten Fahrzeuge eine entscheidende Rolle für die Wahl des richtigen Pneus. Zusätzlich können sich Fahrzeughalter an den Empfehlungen des Wirtschaftsverbands der deutschen Kautschukindustrie (wdk) orientieren.

Wann wird eine solche wintertaugliche Bereifung auf allen Lkw-Achsen – Lenk-, Antriebs, und ­Trailerachse – notwendig?

Koch: Bei extremen Eis- und Schneebedingungen und starken Gefällen, bei denen es auf die Bremswirkung des Trailers ankommt. Solche Strecken sind zum Beispiel im winterlichen Skandinavien anzutreffen.

Ist das EU-Reifenlabel eine geeignete Referenz, um danach einen Winterreifen auszuwählen?

Koch: Das EU-Reifenlabel als einzige neutrale und vergleichbare Kennzeichnung ist sinnvoll, sollte jedoch nicht als alleiniges Entscheidungskriterium beim Kauf eines Winterreifens dienen. Ein Fuhrparkleiter kennt seine Fahrzeuge und deren Einsatzgebiete und muss ­diese Erfahrung in seine Kaufentscheidung miteinbeziehen.

Welche Berechtigung hat die Kennzeichnung mit Bergpiktogramm/Schneeflocke?

Koch: Aus unserer Sicht hat sie eine sehr große Berechtigung. Diese Kennzeichnung darf ein Reifen nur dann tragen, wenn dieser einen komplexen, objektiven Test bestanden hat. Mit der zukünftigen Einführung dieser Kennzeichnung im Rahmen der ECE-Richtlinie 117/2 wird hierdurch eine erweiterte Differenzierung in "wintertaugliche Bereifung" und "Reifen für erschwerte Schneebedingungen" möglich.

Zur Person:

Christian Koch (48) leitet das Dekra-Reifenlabor in München. Koch erstellt in dieser Funktion Gutachten für Justizbehörden und ist als Berater für Werkstätten, Industrie, Fuhrparks und Justiz tätig. Der Ingenieur ist ausgebildeter Sachverständiger für Unfallrekonstruktion und war insgesamt neun Jahre lang in den Bereichen Forschung und Entwicklung sowie im Kundendienst eines großen Reifenherstellers tätig.

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