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Winfried Hermann im Interview zum Lang-Lkw "Ich bin weiterhin skeptisch"

Foto: Franziska Nieß

Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) wollte die Lang-Lkw auf dem Klageweg stoppen. Nun lässt er sie auf einem Teil des Straßennetzes rollen. Daran knüpft er jedoch Bedingungen.

Ein Wunschkonzert sollte es nicht werden. Baden-Württembergs Minister für Verkehr und Infrastruktur, Winfried Hermann (Grüne), hat eine lange Liste mit Streckenwünschen für Lang-Lkw erhalten. Welche Auswahl er daraus getroffen und warum er sich für das Projekt geöffnet hat, sagt er im Gespräch mit trans aktuell-Redakteur Matthias Rathmann.

trans aktuell: Herr Minister, auf das Thema Lang-Lkw waren Sie in den vergangenen Jahren nicht immer gut zu sprechen. Nun gewähren Sie ihnen auf einigen Straßen freie Fahrt. Was hat Sie zur Kursänderung veranlasst?

Hermann: Auslöser war der Zwischenbericht der Bundesanstalt für Straßenwesen. Die Wirtschaft, die Transportwirtschaft und die Medien haben daraufhin einen massiven Druck aufgebaut. Jetzt, wo sich gezeigt habe, dass kein Schaden eingetreten sei, müsse sich das Land doch bewegen – so der Tenor. Diese Wünsche sind auch beim Ministerpräsidenten angekommen. Mein Ministerium hat dann, trotz genereller Bedenken, einen Vorschlag gemacht, auf einigen Strecken wissenschaftlich zu überprüfen, ob es den behaupteten Klimaschutzeffekt gibt. Aus meiner Sicht wurden die Zwischenergebnisse der BASt-Studie zu positiv gesehen.

Warum denken Sie das?

Weil ich an der Rechnung, dass aus drei konventionellen Lkw zwei Lang-Lkw werden und man einfach 20 bis 30 Prozent Kraftstoff einsparen kann, meine Zweifel habe. Man muss prüfen, wie es um die Auslastung bestellt ist, ob es also Leerfahrten gibt und ob es zu Rückverlagerungen von der Schiene auf die Straße kommt. Wenn ein umweltfreundlicher Verkehrsträger verliert, ist das nicht sinnvoll. Vor diesem Hintergrund hat mein Haus einen Vorschlag gemacht, eine wis-senschaftliche Untersuchung auf den Weg zu bringen, in der Bahn-Befürworter und Lang-Lkw-Befürworter zusammenarbeiten.

Vertrauen Sie der BASt nicht? Oder warum wollen Sie neben der bereits laufenden Forschung noch eine eigene Studie in Auftrag geben?

Die BASt-Studie dreht sich vor allem um die Auswirkungen auf die Verkehrsinfrastruktur und -sicherheit. Das ist alles gut und wichtig. Ein Manko ist jedoch, dass sie den CO2- und den Verlagerungseffekt bisher nicht vertiefend untersucht hat. Wir möchten deshalb sehr fundiert die Auswirkungen auf die Transportkette und den CO2-Ausstoß ermitteln, also untersuchen, welche positiven oder negativen Effekte sich auf Umwelt und Klima ergeben. Wir stehen in gutem Kontakt zur BASt, denn auch dort gibt es Interesse an einer vollständigen Bilanzierung der CO2-Effekte.

Haben Sie schon ein Institut dafür benannt?

Die Ausschreibung ist in Vorbereitung. Wir vergeben die Studie an Dritte nach den üblichen wettbewerblichen Verfahren. Wir wollen eine fundierte Untersuchung von unabhängigen Experten, um jeden Anschein einer interessensgeleiteten Untersuchung erst gar nicht aufkommen zu lassen.

Am 10. April war die Deadline für Streckenmeldungen an das Bundesverkehrsministerium zur Aufnahme in die nächste Änderungsverordnung. Wie viele Strecken haben Sie gemeldet?

Daimler ist sehr früh mit einer langen Liste gekommen. Wir haben gleich gesagt, dass diese auf keinen Fall umsetzbar ist. Es gab in den vergangenen Wochen dann noch viele weitere Streckennennungen durch Spediteure. Aber es hat sich gezeigt, dass deren Wunschliste unendlich geworden wäre. Wir mussten eine Auswahl treffen.

Wie haben Sie diese Auswahl getroffen?

Wir konzentrieren uns im Wesentlichen auf drei Auto­bahnabschnitte: die A 81 von der bayerischen Grenze bis nach Herrenberg und die A 8 von der bayerischen Grenze bis nach Karlsruhe sowie ein kleines Stück auf der A 5 von Karlsruhe nach Rastatt. Zusätzlich gibt es kleinere Zufahrten auf Land- und Bundesstraßen zu bestimmten Werken. Es handelt sich dabei schwerpunktmäßig um Daimler, aber eben nicht nur. Es werden beispielsweise auch Dienstleistungen für Bosch erbracht. Und es handelt sich auch nicht nur um Daimler-Spediteure. Dazu kommt eine Strecke nach Nagold und auch eine große Spedition aus Baden-Württemberg hat uns mit einer Streckenanmeldung nahe der bayerischen Grenze überzeugt.

Trotzdem noch mal die Frage: Wie viele Strecken werden Sie für Lang-Lkw freigeben?

Rein nach der Anmeldeform sind es mehr als zwei Dutzend. Aber da sind Teilstrecken zu Außenlagern und differenzierte Hin- und Rückwege unterschieden. Schwerpunkt sind die erwähnten Autobahnabschnitte. Und bei den Zulieferstrecken handelt es sich um jeweils wenige Kilometer auf dem nachgeordneten Netz.

Unternehmern war wichtig, dass die Kombi-Terminals angeschlossen werden, zum Beispiel Ulm, Singen oder Kornwestheim. Ist das der Fall?

Nein. Man kann nicht hoppla hopp das gesamte Netz freigeben. Wenn Versuch, dann muss es auch ein Versuch sein – und darf nicht bedeuten: Öffnung des gesamten Netzes.

Sie haben gesagt, dass Sie weiterhin Bedenken haben. Wie groß sind einmal Ihre eigenen Zweifel, und welche Konflikte in Ihrer Partei hat die Teilnahme am Feldversuch zur Folge?

Natürlich hat man sich in grünen Kreisen gewundert. Immerhin hatte ich mich dafür eingesetzt, dass die baden-württembergische und die schleswig-holsteinische Landes-regierung wegen des Lang-Lkw vor das Bundesverfassungsge-richt gezogen sind. Das war schon erklärungsbedürftig. Ich habe offen über meine Beden-ken gesprochen, aber auch über die Chance, an wichtige Daten und Informationen heranzukommen. Viele begrüßen, dass wir mit der wissenschaftlichen Untersuchung zur CO2-Bilanz einen großen Schritt in der Debatte weiterkommen werden.

Und was Ihre Zweifel angeht?

Da mache ich keinen Hehl daraus, dass ich weiterhin skeptisch bin, mich aber der wissenschaftlichen Überprüfung meiner Haltung stelle. Fakt ist: Der Lang-Lkw wurde nicht erfunden, um Klimaschutz im Straßenverkehr voranzubringen, sondern um sperrige Güter in großen Fahrzeugen kostengünstig zu transportieren. Das Umweltargument überzeugt mich bisher nicht. Hinzu kommt: Die rechte Spur ist heute schon überlastet. Die Parkplätze an Autobahnen sind heute schon knapp, und für die Lang-Lkw gibt es fast keine Parkplätze. Auch Haltebuchten in Tunnels sind für Lang-Lkw nicht geeignet. Das heißt, dass Lang-Lkw durch Baueingriffe Folgekosten für die Allgemeinheit produzieren. Und gefährlich wäre es, wenn sie schwerer würden – dann hätten wir mit den Brücken ein ernsthaftes Problem.

Zur Person

Winfried (Winne) Hermann ist seit vier Jahren Minister für Verkehr und Infrastruktur in Baden-Württemberg. Der Grünen-Politiker war zuvor Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Bundestag. Hermann, Jahrgang 1952, wuchs in Rottenburg am Neckar auf. Nach dem Abi studierte er an der Uni Tübingen und war als Lehrer tätig, ehe er 1984 in den Landtag gewählt wurde.

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