Fahrer vor Gericht Wehren lohnt sich

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Ein neuer Bußgeldbescheid kurz nach Punkteabbau und MPU? Das hat Karl gerade noch gefehlt!

Karl* ist richtig down. Er sitzt mir am Schreibtisch gegenüber. Wir haben gerade erst den absoluten Fernfahrerhorror beendet. Als Karl das erste Mal zu mir kam, hatte er acht Punkte und den Bescheid über den Führerscheinentzug in der Hand. Eine MPU war fällig. Ein paar Monate lang keinen Lappen, keinen Beruf, keine Einnahmen. Seine Frau hatte Überstunden geschrubbt wie blöd, damit genug Geld reinkam, um irgendwie klarzukommen. Und jetzt schon wieder so ein Punkt!

Vor ihm fuhr ein Kollege, der machte permanent Mätzchen. Ein bisschen über die Mittellinie, ein bisschen weit nach rechts, ein bisschen langsamer, ein bisschen schneller. Fast die ganze Baustelle lang über neun Kilometer – echt nervtötend, die Nummer. Es war deutlich erkennbar: Der vor ihm wollte Karl einfach nur ärgern. Zurückfallen lassen konnte der sich schlecht. Die Autobahn war knallvoll. "Nicht aufregen, Karl, ganz ruhig bleiben, Karl", brummelte er vor sich hin. Das gelang ihm einigermaßen, aber als der vor ihm zwei Kilometer lang konstant mit 50 km/h fuhr, platzte ihm der Kragen. Er überholte. Die Erinnerung an das mittlerweile kilometerweit entfernte Überholverbotsschild wurde durch die blöden Attacken seines Vordermanns voll überlagert. Fatal.

Als er gerade wieder einscherte, sah er links so ein silberblaues Auto mit blauer Mütze. Die Ordnungshüter setzten sich direkt vor ihn und lotsten ihn auf den nächsten Parkplatz. Karl soll überholt haben im Überholverbot und außerdem sein Handy bedient haben. Er wurde belehrt, dass er den Mund halten dürfe. Er sagte nur, dass er nichts sage. An dieser Stelle hatte er auf jeden Fall alles richtig gemacht.

Als er wieder in seinem Lkw saß und nach unten auf das Polizeiauto schaute, fragte er sich mit Recht: "Wie können die überhaupt von da unten sehen, was ich im Fahrerhaus mache?" Die Fahrertür ist nur im oberen Drittel gläsern, ansonsten massives, nicht durchsichtiges Material. "Bemerkenswert", stellte Karl fest.

Der Bußgeldbescheid lässt nicht lange auf sich warten, und eigentlich waren die bei der Bußgeldstelle noch ganz gnädig. Zwar kassiert Karl ein Bußgeld von 135 Euro, aber für beide Verstöße zusammen (Überholverbot und Handy) soll es nur einen Punkt geben. Das ist okay. Aber der eine Punkt ist immer noch gefährlich genug. Wir beschließen, ganz flott Einspruch einzulegen und die Akte anzufordern. Die flattert auch kurzfristig auf meinen Schreibtisch. Zum Überholverbot findet sich dort gar nichts. Zum Handyverstoß nur: "Tippen und Wischen auf dem Display (Handy)."

Als ich mich das nächste Mal mit Karl treffe, meine ich etwas scherzhaft: "Wenn die Erinnerung der Beamten so schlapp ist wie das, was die da aufgeschrieben haben, dann kann’s was werden!" Es vergeht nicht viel Zeit, da lädt uns das Amtsgericht. Karl hat keine Lust, seinem Arbeitgeber mitzuteilen, dass er einen Tag Urlaub braucht, um zum Gericht zu gehen. Das kann man gut verstehen, wenn man sich überlegt, dass Karl das Wohlwollen seines Arbeitgebers schon ziemlich strapaziert hat. Dass Karl gefahren ist, steht sowieso fest. Der Richter braucht ihn also nicht zu identifizieren. Also noch am Tag nach dem Eingang der Ladung raus mit dem Antrag auf Befreiung von der Anwesenheitspflicht. Den bescheidet das Gericht erst in der Verhandlung – aber natürlich positiv. Karl wird von der Pflicht, dabei zu sein, befreit.

Der Richter möchte gleich wissen, was wir denn hier Spannendes vorzutragen hätten. Ich erläutere ihm, wie der Sachverhalt sich ereignet habe. Als ich fertig bin, guckt er mich wohlwollend, aber mit etwas Skepsis im Gesicht an. Der erste Beamte wird vernommen. Er kann sich nicht so recht erinnern, wie weit vor ihm denn Karl war, als sie die Verfolgung begonnen hatten. Als ich ihn frage, wie dicht denn der Verkehr gewesen sei, kommt ein ausweichendes "mäßig bis voll". Ob er das Überholen überhaupt wahrgenommen habe, wird mit einem "Na klar, der hat sich ja links vorwärtsbewegt" beantwortet. Auf die Frage, an wie vielen Lkw Karl denn vorbeigefahren sei, kommt ein "Das habe ich nicht gezählt, an einem aber sicher".

Als ich ihn zum Handy befrage, weicht der Beamte ebenfalls aus und erklärt, dass er nur gesehen habe, dass Karl an einem Gegenstand, der ein Handy war, getippt und gewischt habe. Ich will genau wissen, was für ein Handy das gewesen sei. Das könne er aus der Distanz nicht beurteilen, ist die Antwort. "Ich habe keine Fragen mehr. Das reicht mir", beende ich meine Befragung des Beamten. Nun betritt der zweite Polizeibeamte den Saal. Der erste darf wegtreten.

Der zweite Zeuge wird nun in umgekehrter Reihenfolge zuerst zum Handy befragt. Als Fahrer des Polizeiwagens müsse er nach vorn schauen und habe deswegen nichts gesehen. Zum Überholverstoß könne er eigentlich auch nichts sagen. Der Richter schließt die Beweisaufnahme und bittet mich um einen Schlussvortrag. Überholen ja, aber unter besonderen, die Schwere der Tat mildernden Umständen. Der Handyverstoß sei in keiner Weise nachgewiesen. Der muss weg vom Tisch – sanktionslos – und das Überholverbot in den punktefreien Bereich.

Zwei Minuten später bittet der Richter, sich zu erheben. "Im Namen des Volkes: 55 Euro wegen Verstoßes gegen das Überholverbot." Das heißt, der Handyverstoß ist vom Tisch. Das Ergebnis ist punktefrei. Ich erkläre Karl am Telefon, wie der Termin gelaufen ist, und er meint, langsam kapiere er. "Manchmal geht es nicht darum, ob man es war!" Genau: Es muss auch bewiesen werden, und zwar in rechtsstaatlich einwandfreier Weise. Bei den acht Punkten, die er mal hatte, da hatte er die Bußgeldbescheide einfach akzeptiert und sich nicht gewehrt. Jetzt weiß er: Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt. Irgendwie geht nämlich meistens was.

*Name von der Redaktion geändert

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Harry Binhammer, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Harry Binhammer Fachanwalt für Arbeitsrecht
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