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Verlagerung vom Lkw auf die Schiene Fahrermangel ist Fluch und Segen

Lkw, Schiene Foto: Mario P. Rodrigues

Wie lassen sich mehr Güter von der Straße auf die Schiene verlagern? Mit dieser Frage beschäftigten sich die Teilnehmer beim Forum Schienengüterverkehr der Verbände BME (Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik) und VDV (Verband Deutscher Verkehrsunternehmen) in Bonn.

Das Problem ist bekannt: Weil das Lkw-Aufkommen auf den Straßen steigt, waren im Jahr 2017 die gesamten Kohlendioxid-Emissionen im Straßengüterverkehr um 16 Prozent höher als 1995, teilt das  Umweltbundesamt mit. Hingegen sind Züge zunehmend mit Strom aus erneuerbaren Energien unterwegs.

Über ein gelungenes Beispiel der Verlagerung auf die Schiene berichtete Christian Stavermann, Prokurist der Eisenbahngesellschaft Ostfriesland-Oldenburg (Egoo), ein Tochterunternehmen des Windenergieanlagenherstellers Enercon. Egoo hat ihren Schwerpunkt in der Bahnspedition sowie im kombinierten, konventionellen und lademaßüberschreitenden Streckenverkehr quer durch die Republik.

Zugstrecken auslasten

Doch bislang waren bei Egoo verschiedene Zugstrecken nicht ausgelastet. Inzwischen hat sich das geändert. Denn seit Herbst transportiert Egoo im Auftrag eines großen westfälischen Brauereiunternehmens regelmäßig Bier und  andere Getränke auf der Kurzdistanz von knapp 300 Kilometern zwischen Krombach (NRW) und Westerstede (Niedersachsen).

Win-Win-Situation

Daraus ergibt sich eine Win-Win-Situation für die Brauerei und Egoo. Denn ganze Züge kann Egoo auf Kurzstrecken nicht anbieten – zumindest nicht zu halbwegs vernünftigen Preisen. „Dafür sind die Vorläufe und Nachläufe wie auch das Equipment einfach zu teuer“, betont Stavermann. Wohl aber kann Egoo die Mitnahme von Gütern in Zügen anbieten, die ohnehin unterwegs sind.

Lenk- und Ruhezeiten

Die Brauerei profitiert ebenfalls, und zwar in Form von Planungs- und Liefersicherheit. „Die Realität hat gezeigt: Man bekommt die Lkw nachts kaum mehr planbar durch Deutschland“, berichtete Stavermann und gab zu bedenken: „300 Kilometer sind 600 Kilometer Rundlauf. Da wird es schwierig für den Lkw-Fahrer, die Lenk- und Ruhezeiten einzuhalten.“ Darüber hinaus spare die Brauerei auch etwas Geld im Vergleich zum Lkw.

Zudem bietet Egoo an, dass der Kunde bei der Anlieferung zur Schiene und bei der Abholung seinen eigenen Fuhrpark einsetzen kann. „Wir müssten diese Dienstleistung ohnehin extern einkaufen. Dann kann der Kunde seinen Fuhrpark auch gleich selbst einsetzen“, sagte Stavermann.

Egoo baut dieses Geschäft weiter aus. Im Hinblick auf die Fußball-WM im Sommer plant der Schienenspediteur, im Auftrag einer Münchner Brauerei wöchentlich 18 Ladungen Bier im Rundlauf zwischen der bayerischen Hauptstadt München und Bönen (NRW) zu transportieren, dem Standort von Egoo in NRW. Auch dieser Auftrag hilft Egoo. Denn bislang gab es immer Schwierigkeiten mit der Auslastung im Süd-Zug von München in Richtung NRW. „Etwas Kapazität ist noch vorhanden, sodass auf dieser Strecke noch Buchungen möglich sind“, erläuterte Stavermann. Auf dieser Strecke können zudem Container transportiert werden.

Premium- und Basis-Paket

Grundsätzlich bietet Egoo verschiedene Pakete an: Beim Premium-Paket zum Beispiel stellt Egoo das komplette Roll-in-Paket bereit. Im Gegensatz zum Basis-Produkt: Hier bringt der Kunde die Ladung selbst zum Bahnhof. Egoo lädt auf den Zug auf und am Zielort wieder auf den Lkw des Kunden.

Schwerlastverkehr

Auch im Schwerlastverkehr ermöglicht Egoo Verladungen auf die Schiene. So transportiert Egoo seit Herbst 2017 regelmäßig lademaßüberschreitende Bauteile  aus Beton – beispielsweise von Magdeburg nach Krefeld. Stavermann: „Ein Zugumlauf ersetzt ein kleines Binnenschiff. Und: Mit dem Einsatz eines Zuges eliminieren wir das hohe Beschädigungsrisiko beim Transport mit einem Binnenschiff.“ Der Prokurist macht noch einen weiteren Vorteil beim Zugverkehr aus: So schaffe ein Schwerlast-Lkw heutzutage maximal 200 bis 250 Kilometer Strecke in der Nacht. Egoo dagegen fährt diesen Spezialverkehr im Nachtsprung.

Nach Ansicht von Stavermann eignen sich grundsätzlich alle Güter für die Verlagerung vom Lkw auf die Schiene – zumindest alles Standard-Equipment. Bei Sonder-Equipment (extra hoch, extra breit, extra lang) ist eine Prüfung notwendig. „Wenn wir einmal die Genehmigung für eine entsprechende Route haben, ist diese etwa ein Jahr gültig“, erklärte der Prokurist.

Fahrermangel

Egoo spricht bevorzugt Kunden an, die bislang hauptsächlich auf der Straße unterwegs waren. „Bevor solche Aufträge in die Online-Frachtenbörse gestellt werden, bieten wir den Unternehmen eine vernünftige Lösung an“, berichtete Stavermann.  Zugute kommt Egoo hierbei der Fahrermangel. Für den Spediteur ist dies jedoch Fluch und Segen zugleich. Denn das Ladegut muss erst zum Bahnhof und am Zielort schließlich zum Endkunden – beides Mal mit dem Lkw.

Digitale Fahrpläne

Wie lässt sich der Fahrermangel abmildern oder gar beheben? Hierzu entwickelten die Teilnehmer verschiedene Szenarien. Ausländische Fahrer könnten vermehrt angeworben werden, indem Sprachhemmnisse mithilfe digitaler Technik abgebaut werden. Ein weiterer Vorschlag: Auch digitale Fahrpläne können unterstützen, die dann in die jeweiligen Sprachen übersetzt sind. Warum nicht verrentete Fahrer fragen, ob sie zumindest Wochenende fahren? So lautete ein weiterer Vorschlag, der jedoch umstritten war und kontrovers diskutiert wurde.

Umwege mit dem Lkw

Doch nicht immer gelingt die Verlagerung von Gütern. Hierüber sprach Leonhard Nossol, Geschäftsführer der Zellstoff- und Papierfabrik Rosenthal (ZPR) in Blankenstein an der bayerisch-thüringischen Grenze. Fünf Kilometer Gleis fehlen auf der „Höllentalbahn“ zwischen Blankenstein und Marxgrün (Bayern). Der Ausbau scheitert seit Jahren unter anderem aufgrund von Bürgerprotesten. So muss ZPR die Güter weiterhin mehr als 200 Kilometer mit dem Lkw transportieren.

Aus dem Plenum heraus war die Forderung zu hören, Kommunen sollten neue Fertigungs- und Lagerhallen nur genehmigen, wenn auch der Anschluss an die Schienen gewährleistet sei.  Wenn es schon keinen eigenen Gleisanschluss gebe, müsse es leichter möglich sein, über einen sogenannten Railport die Waren auf die Schiene zu bekommen, so die Teilnehmer. Hier sei dann auch die Unterstützung der Politik notwendig. Dies sei gegenwärtig noch ein Schwachpunkt.

Einige Teilnehmer bemängelten, die Schiene an sich habe eine zu schwache Lobby und überhaupt seien zu wenig politische Entscheidungsträger gekommen. Dem wollen die beiden Veranstalter BME und VDV gegenlenken. So findet das nächste BME-/VDV-Forum vom 29. bis 30. Januar in Berlin statt – um „näher an der Politik“ zu sein.

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