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Verkehrswende Schiene stärken, Straße dekarbonisieren

Foto: stockWERK - stock.adobe.com

Dr. Urs Maier von Agora Verkehrswende über den Abschied vom Diesel und die Machbarkeit schwerer E-Lkw.

Herr Maier, wenn Sie sich die Straßen ansehen: Stehen wir gerade erst am Anfang der Verkehrswende oder sind wir bereits mittendrin?

Wenn ich mir die Situation ansehe, dann erkenne ich Folgendes: Die CO2-Emissionen des gesamten Verkehrs sind heute genauso hoch wie 1990. Der Güterverkehr wächst, und seine Emissionen steigen entsprechend an. Auf den Straßen sind immer mehr Lkw unterwegs, und die Verlagerung auf die Schiene kommt nicht richtig voran. Vor diesem Hintergrund muss ich leider sagen: Die Verkehrswende im Güterverkehr steht noch ganz am Anfang.

Ist das Ziel die Abschaffung des Diesels?

Bei der Verkehrswende steht der Klimaschutz im Mittelpunkt. Und Klimaschutz geht nicht ohne den Ausstieg aus fossilem Diesel und Erdgas. Das sollte jedem klar sein. Aber was kommt danach? Biodiesel und Biomethan können die entstehende Lücke nicht schließen; das Mengenpotenzial nachhaltig produzierter Biokraftstoffe ist weltweit viel zu gering. Und die Verwendung strombasierter synthetischer Kraftstoffe in Verbrennungsmotoren ist so ineffizient, dass auch E-Fuels keine sinnvolle Alternative für den Straßenverkehr darstellen. Aus unserer Sicht liegt der Schlüssel für die Energiewende im Straßenverkehr ganz eindeutig in der effizienten, das heißt möglichst direkten Verwendung von Strom aus erneuerbaren Energien.

Der Verkehrsbereich ist für einen Großteil der Emissionen verantwortlich. Welche Möglichkeiten sehen Sie, im Fernverkehr die Emissionen zu senken oder sogar klimaneutral zu werden?

Das stimmt. Der Verkehr ist für ein Fünftel der CO2-Emissionen in Deutschland verantwortlich. Und davon wiederum geht ein Drittel auf den wachsenden Güterverkehr zurück. Deshalb sagen wir: Schiene stärken, Straße dekarbonisieren. Möglichst viel Güterverkehr sollte auf die Schiene verlagert werden. Das gilt insbesondere im Fernverkehr. Je Tonnenkilometer senkt die Verlagerung auf die Schiene die Emissionen gegenüber dem Lkw um 80 Prozent. Außerdem ist der Schienenverkehr bereits zu über 90 Prozent elektrisch. Strom aus erneuerbaren Energien kann also sehr effi­zient direkt verwendet werden.

Aber nicht alle Straßentransporte können auf die Schiene verlagert werden.

Deshalb müssen Lkw erstens sparsamer werden und weniger Diesel verbrauchen. Und zweitens müssen sie nach und nach auf die Nutzung von Erneuerbare-Energien-Strom als Antriebsenergie Nummer eins umgestellt werden. Besonders effizient nutzen Oberleitungs-Hybrid-Lkw und Batterie-Lkw den Energieträger Strom.

Und was ist mit Brennstoffzellen?

Brennstoffzellen-Lkw benötigen pro Kilometer mehr Strom. Denn sowohl bei der Herstellung des Wasserstoffs per Elektrolyse als auch bei der Rückumwandlung in Strom in der Brennstoffzelle geht Energie verloren. Alle drei Systeme haben Vor- und Nachteile und lassen sich miteinander kombinieren. In der volkswirtschaftlichen Gesamtbewertung sind übrigens weniger die Infrastrukturkosten als vielmehr die Energiebereitstellungskosten entscheidend. Deshalb sollte auch die besonders ineffiziente Kombination aus E-Fuels und Verbrennungsmotoren im Straßenverkehr, wenn überhaupt, nur eine ergänzende Rolle spielen.

E-Mobilität ist bei schweren Lkw also ­sinnvoll und denkbar?

Aber ja. Ich gehe davon aus, dass wir in den nächsten Jahren batterieelektrische Sattelschlepper mit einer Reichweite von etwa 400 Kilometern auf deutschen Autobahnen sehen werden. Zunächst noch bei Pendelverkehren mit entsprechenden Ladepunkten am Start und/oder am Ziel. Oberleitungs-Hybrid-Lkw sind ein vielversprechendes Konzept, gerade im Fernverkehr. Wir werden sehen, was die drei Praxistests in Deutschland ergeben. Und auch Brennstoffzellen-Lkw gehören zur Elektromobilität.

Gerade bei den leichten bis mittleren Lkw haben die Hersteller schon Lösungen parat. Wann lohnt sich hier der Umstieg auf die Stromversion?

Im Verteiler- und Regionalverkehr sind batterieelektrische Lkw unseres Erachtens die erste Wahl. Der Umstieg auf die E-Version lohnt sich heute vor allem dort, wo die Ladevorgänge zeitlich gut planbar und technisch einfach möglich sind.

Welche Voraussetzungen müssen dafür noch erfüllt werden?

Häufig lassen sich im Depot Ladepunkte einrichten, an denen Lkw über Nacht aufgeladen werden können. Je kürzer die Stand- beziehungsweise Ladezeit und je größer die Zahl der Fahrzeuge in einer Flotte wird, desto wichtiger werden die verfügbare Stromnetzanschlussleistung und ein betriebliches Lademanagement. Vor dem aus unserer Sicht wünschenswerten Umstieg eines Unternehmens auf Elektro-Lkw sollte der örtliche Verteilnetzbetreiber frühzeitig in die Überlegungen einbezogen werden.

Noch stehen viele Unternehmen dem ­Thema E-Mobilität kritisch gegenüber, auch wegen der hohen Anschaffungs­kosten. Wie kann man das ändern?

Die Anschaffungskosten sind heute noch recht hoch, das stimmt. Bei einer Gesamtbetrachtung der Kosten über die Haltedauer inklusive Energie-, Maut- und Wartungskosten werden Elektro-Lkw aber bereits deutlich attraktiver. Und klar ist, dass die Klima­schutzziele im Verkehr zukünftig nur mit einer stärkeren Elektrifizierung auch bei Lkw zu erreichen sind. Deshalb braucht es einen spürbaren CO2-Aufschlag bei der Lkw-Maut sowie deren Ausweitung auf leichtere Fahrzeuge und alle Straßen.

Der Umstieg auf Elektromobilität ergibt nur Sinn, wenn auch der Strom aus umweltneutralen Quellen kommt. Wie ist es aus Ihrer Sicht mit der Umsetzung der Energiewende bestellt?

Elektromobilität ist nur so sauber wie der verwendete Strom, ja. Allerdings wissen wir von Batterie-Pkw, dass sie bereits mit dem heutigen Strommix in Deutschland einen Klimavorteil gegenüber Verbrenner-Pkw haben. Und zwar inklusive der Produktion der Batterie. In Deutschland stammen aktuell etwa 40 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien. Bis 2030 sollen es 65 Prozent sein. Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist allerdings in den vergangenen Monaten fast zum Erliegen gekommen. Hier muss die Bundesregierung dringend nachsteuern.

Foto: Agora
Dr. Urs Maier ist seit 2016 Projektleiter Güterverkehr bei Agora Verkehrs­wende, einer gemeinsamen Initiative der Stiftung Mercator und der European Climate Foundation.

Zur Person

Dr. Urs Maier ist seit 2016 Projektleiter Güterverkehr bei Agora Verkehrs­wende, einer gemeinsamen Initiative der Stiftung Mercator und der European Climate Foundation.

Davor war der Diplom-Geograf als Projektmanager im Bereich ­Verkehr und Luftreinhaltung bei der ­Deutschen Umwelthilfe (DUH) tätig.

Seine Promotion legte er am Institute of Geography and Spatial Planning an der Universität Luxemburg ab.

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