Fahrer vor Gericht Messfehler begünstigt Strafmaß

Foto: JR Autobahnkanzlei

Antons Fall droht in einer harten Gerichtsverhandlung zu enden. Dass der Messbeamte seinen Radarwagen "falsch geparkt" hatte, macht die Sache etwas einfacher für Rechtsanwalt Peter Möller.

Anton* sitzt mir in meiner kleinen Autobahnkanzlei in Mellingen gegenüber. Er ärgert sich. Er hat bereits zwei Punkte. Einer wird – so meint er – im März 2017 getilgt. Ein anderer im Februar 2019. Er hat sich selbst einen Auszug aus Flensburg besorgt. Die alten Bußgeldbescheide hat er dabei. Früher, da hat er sich nie gewehrt. Bei dem einen ist die Einspruchsfrist Ende März 2015 abgelaufen, bei dem zweiten im Februar 2017. Mit Ablauf der Einspruchsfrist tritt Rechtskraft ein. Ich erkläre das Anton und mache ihn auf die neuen Tilgungsfristen seit der Punktereform aufmerksam. Danach können Neupunkte Altpunkte nicht mehr mitziehen. Das ist ein Vorteil. Mist ist jedoch, dass die Tilgungsfristen länger geworden sind.

In seinem Fall handelt es sich um zwei Eintragungen mit jeweils einem Punkt. Die verschwinden im Flensburger Punkteverlies erst nach zweieinhalb Jahren. D. h., erst im September 2017 wird Punkt Nummer 1 und im August 2019 Punkt Nummer 2 getilgt werden.

Als Erstes ist Einspruch notwendig

Das ist noch kein Drama, aber auch keine komfortable Punktesituation. Anton hat irgendwie, das zeigen auch die zwei Eintragungen, Pech. Er landet immer ganz knapp über der Punktelatte. Einen Eintrag hat er wegen 17 km/h. Einen weiteren wegen 18 km/h. Jetzt soll er 16 km/h zu schnell gefahren sein. Er ist etwas irritiert. Den Bußgeldbescheid hat er erhalten. Vorher kam aber nichts. Doch den Blitz, den hat er damals bemerkt. Seine erste Frage ist, ob das Ding nicht mittlerweile verjährt sei. Die Tat datiert auf den 5. Mai 2016 und der Bußgeldbescheid auf den 15. Juli 2016. Der Bußgeldbescheid wurde auch zügig zugestellt. Zwischen Tat und Zustellung des Bußgeldbescheides liegen weniger als drei Monate. Dass der Anhörungsbogen nicht eingegangen ist oder gar nicht verschickt wurde, ändert an der Wirksamkeit des Bußgeldbescheides leider nichts. Das Ding ist jetzt im Raum und wir müssen versuchen, es wegzukegeln. Hierzu ist zuerst einmal der Einspruch notwendig.

Ich veranlasse zunächst einmal das Übliche: 1. Einspruch einlegen, 2. Akte anfordern, 3. Messstellenprüfung beziehungsweise Tatortarbeit vornehmen, 4. Deckungszusage bei der Rechtsschutzversicherung anfordern. Ein paar Tage später bekomme ich schon die Zuarbeit unseres Prüfers Ralf Grunert. Der hat sich an dem Messort sorgfältig umgeschaut. Was er mir vorlegt, ist interessant. Es gibt in dem kleinen Thüringer Ort eine Geschwindigkeitsbegrenzung mit zwei Zusatzschildern. Verkehrszeichen 274 begrenzt die Geschwindigkeit auf 30 km/h. Das soll gelten, wie Zusatzschild 1 zeigt: montags bis freitags von 7–17 Uhr. Zusatzschild 2 liefert die Begründung hierfür: wegen einer "Schule". Geblitzt wurde hier nur knapp 100 Meter von den drei Schildern entfernt. Das verstößt eigentlich gegen die Verwaltungsrichtlinie für Geschwindigkeitsmessungen in Thüringen.

Gerichtstermine werden grundlos verschoben

Ich will mir die Geschichte selber anschauen. Zusammen mit Ralf Grunert fahren wir hin. Das Ganze lässt sich wunderbar mit einem Gerichtstermin im Thüringer Wald koppeln. Ich will mir das Umfeld des Schildes anschauen. Ich meine, Schilder aufstellen kann jeder, aber stimmt das auch? Wo ist die Schule? Wir marschieren ungefähr eine Stunde selbst im etwas größeren räumlichen Umfeld des Verkehrsschildes auf und ab. Eine Schule finden wir nicht. Irgendwann habe ich die Nase voll. Es gibt in diesem Ort ein kleines Café. Dort fragen wir nach, wo denn die Dorfschule ist. Sie befindet sich etwa 500 Meter von der Straße entfernt. Für mich ist als Nächstes interessant, wo die Bushaltestellen sind. Die sind unmittelbar bei der Schule. Also schwer nachvollziehbar, diese Beschilderung!

Der erste angesetzte Verhandlungstermin wird ohne erkennbaren Grund abgesetzt. Mittlerweile befinden wir uns im November. Einen Tag vor dem zweiten Termin folgt erneut eine Terminaufhebung. Es wird nunmehr auf Januar ein neuer Termin anberaumt. Anton begleitet mich. Die Situation könnte nicht blöder sein. Den Vorsitz hat auf Seiten des Gerichts eine junge freundliche Richterin. Jeder Satz von ihr sticht. Sie macht einen ausgesprochen kompetenten Eindruck. Im Zuschauerraum sitzt einsam ein etwa 45-jähriger Herr. Der macht sich permanent Notizen. Vor der Verhandlung sagt mir ein Anwaltskollege, dass das ein Mitarbeiter der Präsidentin des Landgerichts wäre. Die junge Richterin würde eben noch vom Landgericht geprüft werden. Vor diesem Hintergrund sind die Vorzeichen nicht sehr einfach. Die Richterin steht natürlich unter Profilierungsdruck. Hier wird nichts verschenkt. Es wird hart verhandelt.

Anwesenheitspflicht im Gericht wird für Anton aufgehoben

Zunächst geht es um die Identität des Fahrers. Anton erklärt mir, dass er doch eindeutig gefahren sei. Das wisse er. Ich erkläre Anton, dass es nicht darauf ankommt, was er weiß, sondern dass es darauf ankommt, was das Gericht weiß. Die müssen ihn identifizieren. Das hat bis jetzt noch nicht stattgefunden und ist aufgrund des Fotos nicht möglich. Nach drei Tagen landet die neue Ladung in meiner Kanzlei. Das Gericht bittet uns, verbunden mit der Ladung Ausdrucke der Fahrerkarte vom Tattag von Anton mitzubringen. Ist sonnenklar, dass das Antons Fahreridentität belegen wird. Ich erkläre Anton, dass wir noch genug andere Argumente haben und dass er bitte mit den Ausdrucken zum Gerichtstermin kommen soll.

14 Tage später stehe ich erneut im Gerichtssaal und will mit der freundlich kompetenten Richterin verhandeln. Wer fehlt, ist allerdings Anton. Ich stehe alleine hier. Hilfe! Ich muss mich aus dieser Situation retten, sonst wird das Gericht ein Verwerfungsurteil erlassen. Verwerfungsurteil ist Mist. Das heißt, der Bußgeldbescheid wird, so wie er erlassen wurde, rechtskräftig. Das will ich keinesfalls. Eine Rettung gibt es aus dieser Sackgasse: Ich räume ein, dass Anton der Fahrer war. Das hätte ich ohnedies machen müssen, wenn Anton die Ausdrucke mitgebracht hätte. Außerdem beantrage ich die Befreiung von seiner Anwesenheitspflicht. Das Gericht stimmt zu. Die Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung für Anton wird aufgehoben.

Messfehler führen zu niedrigerem Bußgeld

Jetzt kann ich loslegen: Zuerst rüge ich den Verstoß gegen die Verwaltungsrichtlinie für Geschwindigkeitsmessungen in Thüringen. Danach schildere ich, dass die Schule sich gar nicht im näheren Umfeld der Straße befindet. Ich lege ein Video vor, das Ralf Grunert gedreht hat. Dieses Video zeigt, dass zu den Zeiten, an denen morgens die Schule beginnt und an denen sie mittags endet, kein Schülerverkehr auf den Bürgersteigen der Straße im Messbereich ist. Tatsächlich werden die Schüler mit den Bussen beziehungsweise mit den Autos der Eltern oben an der Schule abgeholt. Schüler finden sich auf der Hauptstraße durch den Ort nicht. Es besteht also kein Grund für die Beschilderung. Noch viel weniger aber besteht ein Grund für die Messung. Denn die Thüringer Verordnung vom 21.04.1998 sagt, dass die Kommunen an ausgewählten Gefahrenstellen im Einvernehmen mit der Polizei messen dürfen. Das ist etwas, was immer mehr übersehen wird. Die Kommunen messen wie wild, ohne sich mit der Polizei abzusprechen und ohne darauf zu achten, ob überhaupt eine besondere Gefahrenstelle vorliegt. Tja, Messen ist eben ein lukratives Geschäft. Die Richterin nimmt die Argumente zur Kenntnis, macht sich eifrig Notizen, fragt die Gerichtsschreiberin, ob sie alles mitgeschrieben habe. Die Verhandlung geht weiter. Der Messbeamte betritt den Gerichtssaal. Auf den habe ich gewartet. Bei diesem Messverfahren werden nämlich regelmäßig Fehler gemacht. Aber was hier gemacht wurde, ist furchtbar.

Das Fahrzeug muss nämlich, so wie es die Messskizze angeblich belegt, vorne weiter vom Straßenrand entfernt sein als hinten. Das Tatfoto zeigt genau das Gegenteil. Das Messfahrzeug steht vorne näher zum Straßenrand als hinten. Ich habe das mit zwei Geraden im Tatfoto skizziert. Der Messbeamte rettet sich von einer Entschuldigung in die nächste. Die Richterin guckt mich an. Ich grinse zugegebenermaßen etwas. "Zwei Alternativen gibt es jetzt", erläutert sie. Die erste Alternative wäre ein Sachverständigengutachten. Die zweite Alternative wäre eine Reduzierung des Bußgeldes in den punktefreien Bereich. Ich muss jetzt souverän bleiben. Deswegen sage ich, mir sei das gleich. Am Ende würde beides zum selben Ergebnis führen. Das Gutachten würde nur die Staatskasse belasten. Einer punktefreien Entscheidung würde ich notfalls zustimmen. Die bekomme ich dann auch mit einem Bußgeld von 50 Euro. Das zu erreichen war mein Job. Aus dem Auto informiere ich nach der Verhandlung telefonisch schnell Anton. Der steht gerade auf dem Autohof in Mellingen. Also nichts wie hin. Wir treffen uns auf einen Kaffee und lassen das Verfahren noch einmal Revue passieren.

Kleine Fälle

Ähnlichkeit der Fahrer sorgt für falsche Verdächtigungen

Eigentlich war an dem fraglichen Tag alles super gelaufen. Erich* fährt Linie, an diesem Tag war er eine Stunde früher in der Firma als sonst. Ein paar anderen Kollegen ging das auch so. Also beschloss man in der Firma, noch gemeinsam zu Abend zu essen. Karl* wurde ausgeguckt, um Bratwürste zu holen. Einziges Problem: Karl wird von seiner Frau von der Arbeit abgeholt, deswegen hat er kein Auto zur Verfügung. Erich hat Karl daher seines geliehen. Auf dem Weg zum Bratwurststand ist Karl dann geblitzt worden. Teuflisch an der Angelegenheit: Karl sieht Erich verdammt ähnlich. Vor dem Gerichtssaal macht Erich Rechtsanwalt Möller noch einmal klar, dass er keinesfalls den Namen von Karl sagen darf. Aus welchen Grund auch immer, Karl soll nicht benannt werden. Möller erklärt Erich noch einmal, dass Karl nichts passieren kann. Es könne gar kein Problem für Karl geben, gegen den sei alles verjährt.

Im Gerichtssaal erkennt der Richter Erich sofort anhand des Tatfotos wieder. Möller weist ihn darauf hin, dass Erich nun wirklich nicht der Fahrer sei. Die Nase bei Erich ist weit größer. Das Gesicht ist bei Erich schmaler. Auch die Ohren haben eine andere Form. Der Richter bleibt steinhart. Er bietet 400 Euro und Verzicht auf das Fahrverbot an. Ein sogenanntes Kompensationsgeschäft. Erich will zustimmen. Möller fällt Erich ins Wort – 400 Euro sind viel Geld. Außerdem gibt es zwei Punkte, die fünf Jahre drinnen bleiben. Er geht mit den Tatfotos noch mal zum Richtertisch und erklärt dem Richter aus seiner Perspektive, welche Gesichtsmerkmale nicht übereinstimmen. Der Richter schaut die Gerichtsschreiberin an, die schaut sich das Tatfoto an und meint nur: "Schwierig, schwierig." Der Richter schaut hoch, sagt nur "Einstellung – einverstanden?" Alle nicken, das Verfahren wird nach § 47 II OWiG sanktions- und punktelos eingestellt. Erich bleibt bei null Punkten.

AG Erfurt Az.: 633 Js 202069/16 62 OWi

Reduziertes Strafmaß rettet Existenzgrundlage

Julian* hat einen kleinen Baggerverleih. Hauptberuflich arbeitet er in einer riesigen Spedition. Dort ist er zuständig für Reparatur und Wartung der Lkw. Irgendwann will er da raus und will sich mit seinem Baggerverleih selbstständig machen. Einen Lkw hat er schon. Nach Feierabend fährt er in seinem Nebenbetrieb die Bagger aus und holt sie ab. An den Blitzer, der ihn erwischt hat, kann er sich noch genau erinnern. Er dachte, er fährt auf einer Kraftfahrstraße und dürfe dort unbegrenzt Gas geben. Ein fataler Irrtum. Die Straße dort ist nämlich gar nicht in jeder Richtung zweispurig mit Mittelleitplanke ausgebaut. Mist. Das Gericht hat zur Verhandlung die Staatsanwaltschaft hinzugezogen. Im dritten Verhandlungstermin in dieser Angelegenheit wird fast drei Stunden verhandelt. Am Ende gibt es eine salomonische, von der Verteidigung vorgeschlagene Lösung. Die Staatsanwaltschaft geht mit. Keine zwei Monate Fahrverbot, sondern nur ein Monat Fahrverbot. Dieses Fahrverbot aber begrenzt. Julian wird nur verboten, Fahrzeuge der Klasse B zu führen. Mit Lkw darf Julian also weiter fahren. Das ist wichtig – Julian hätte sonst wirklich Probleme mit seiner Existenzgrundlage gehabt. Der Arbeitgeber hätte ihn möglicherweise gefeuert und den kleinen Betrieb, den er sich aufgebaut hat, hätte er wahrscheinlich in die Tonne treten können. Aber die Beschränkung des Fahrverbotes ist eine maßvolle und verständnisvolle Lösung.

AG Coburg Az.: 5 OWi 109 Js 9884/15

Fernfahrertelefon

Rechtsanwältin Heike Herzog sitzt am Fernfahrertelefon und steht euch mit Rat und Tat zur Seite. Hier ein Auszug von individuellen Fragen der Kollegen – und die Antworten der Juristin.

Frank*: Wieso muss ich den Nachweis über berücksichtigungsfreie Tage überhaupt haben und mitführen?

Heike Herzog: "Sinn und Zweck der Vorschrift des Paragrafen 20 der Fahrpersonalverordnung ist es, den Kontrollbehörden eine lückenlose Kontrolle für den aktuellen und die vorausgegangenen 28 Tage überhaupt erst zu ermöglichen. Fehlen die Nachweise oder manuellen Nachträge, wären Tür und Tor geöffnet für Spekulationen."

Reicht denn ein Fax des Arbeitgebers?

"Gemäß Paragraf 20 Absatz 2 Fahrpersonalverordnung darf die Bescheinigung nach Absatz 1 auch als Telefax oder digitalisierte Kopie zur Verfügung gestellt werden. In Deutschland besteht (abweichend vom Ausland) die Möglichkeit, den Fahrer auf elektronischem Wege entweder mit einer eingescannten oder per Fax übermittelten Bescheinigung, die vom Unternehmer unterzeichnet wurde, zu versorgen. Damit sie gültig ist, muss sie der Fahrer aber ausdrucken und auch noch unterschreiben. In den Fällen, in denen eine solche Bescheinigung nicht ausgestellt werden konnte, hat der Unternehmer, der nicht zugleich Fahrer ist, auf Verlangen der zuständigen Kontrollbehörde nachträglich eine Bescheinigung auszustellen."

Und was passiert, wenn ich die Nachweise nicht dabei habe?

"Pro 24-Stunden-Zeitraum kann eine Geldbuße für vorsätzliche Tatbegehung in Höhe von 250 Euro verhängt werden. Üblicherweise wird Fahrlässigkeit angenommen, was im Ergebnis die halbe Geldbuße, also 125 Euro, bedeutet."

* Name von der Redaktion geändert

Dieser Artikel stammt aus diesem Heft
FF 06 Titel
FERNFAHRER 06 / 2017
2. Mai 2017
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2. Mai 2017
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