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Ukrainekrieg setzt Lieferketten unter extremen Druck Zu abhängig von Russland

Die globale Supply Chain im Blick. Foto: THATREE - fotolia

Der russische Angriffskrieg in der Ukraine macht deutsche wie euro­päische Schwächen und Abhängigkeiten brutal sichtbar. Bereits gestörte globale Lieferketten stehen unter noch größerem Druck.

Dabei erweist sich Russlands mächtige Rolle bei der Energieversorgung als kaum lösbares Problem. Nachdem die EU den Überfall mit zahlreichen Sanktionen beantwortet hat, werden nun wichtige Rohstoffe knapp. Bei alledem ist die Transport­logistik als Rückgrat humanitärer Hilfe gefordert; sie soll helfen, unsägliches Leid zu lindern, und muss die Versorgungsflüsse am Laufen halten.

Einheitliches Vorgehen wichtig

Das Deutsche Verkehrsforum (DVF) hat deshalb eindringlich an die Bundesregierung und an Brüssel appelliert, europaweit politisch abgestimmt vorzugehen und einheitliche Regeln sowie Erleichterungen für Transporte zu schaffen: „Es treten zunehmend massive Verwerfungen in den Lieferketten auf, Grenzübergänge sind überlastet, Transportrouten sind versperrt, Fracht bleibt in den Häfen liegen, Energieverknappungen drohen, Arbeitskräfte fehlen. Nicht zu vergessen ist, dass wir immer noch unter Pandemiebedingungen arbeiten. Das alles bremst Hilfslieferungen genauso wie die Evakuierungen aus dem Kriegsgebiet und die Versorgungslogistik“, mahnt der DVF-Präsidiumsvorsitzende Prof. Raimund Klinkner.

Dieselpreise explodieren

Für Wirtschaft und Bevölkerung gleichermaßen spürbar sind die explodierenden Energiepreise. Diesel und LNG für Lkw werden weiterhin ungebremst teurer, und das könnte für Transportunternehmen existenzbedrohend werden, warnt der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL). Mit über zwei Euro pro Liter hat der Diesel inzwischen das Benzin überholt. Vorstandssprecher Prof. Dirk Engelhardt fordert deshalb in Deutschland die Einführung von verbilligtem Gewerbediesel für Lkw.

BGL fordert Gewerbediesel

„Gerade die Dieselkosten steigen so schnell, dass nicht einmal die sogenannten Dieselfloater hinterherkommen, die bislang für einen gewissen Ausgleich gesorgt haben“, sagt er. Es drohe im deutschen Transportlogistikgewerbe eine Insolvenzwelle, die die Versorgung gefährde. Immer mehr Unternehmen befänden sich in einem großen Dilemma, so der BGL. Einerseits seien ihre Preise bei den rasant gestiegenen Kosten nicht mehr auskömmlich, andererseits müssten sie sich an Verträge halten und weiterfahren.

20 Prozent weniger Luftfrachtkapazität

„Mit der Sperrung des russischen Luftraums sinken die weltweiten Luftfrachtkapazitäten um bis zu 20 Prozent“, hebt Frank Huster, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Spedition und Logistik (DSLV), hervor. Europäische und russische Häfen seien für Schiffe des jeweils anderen Wirtschaftsraums inzwischen vielerorts tabu. „Maritime Lieferketten sind kaum noch planbar und werden auch drohende Einschränkungen des asiatisch-europäischen Schienengüterverkehrs nicht auffangen können“, erläutert er.

Russlandtransporte gestoppt

Große Containerreeder wie MSC, ­Maersk, CMA CGM, One oder Hapag-Lloyd haben ihre Russlandtransporte weitgehend gestoppt, im Hamburger ­Hafen werden keine Container mehr umgeschlagen, die aus Russland kommen oder dorthin gehen sollen. „Das gilt auch für Ladung, die mit der Bahn, dem Binnenschiff oder dem Lkw transportiert wird“, teilte die Hamburger Hafen und Logistik (HHLA) mit. Sie folge damit dem Beispiel von Terminalbetreibern in anderen europäischen Häfen.

Rotterdam Anlaufpunkt für russische Fossilprodukte

Ganz anders sieht das in Rotterdam aus, wo 30 Prozent des russischen Erdöls, 25 Prozent des LNG und 20 Prozent der russischen Kohle und der Ölprodukte umgeschlagen werden, die bislang nicht unter das Embargo fallen. Auch Stahl, Kupfer, Aluminium und Nickel kämen weiter an, hält der Hafen Rotterdam fest. Im Containerbereich hätten die Unsicherheiten aber dazu geführt, dass mehrere Terminals und Reeder keine Container aus und nach Russland mehr annähmen, heißt es. Der Russland-Anteil macht satte 13 Prozent am Gesamtgeschäft der Rotterdamer Hafengesellschaft aus.

Große Verspätungen in den Häfen

Die Angst, gegen Boykottbestimmungen der EU zu verstoßen, ist überall groß. Aufgrund verschärfter Kontrollen kommt es bei Transportunternehmen zu einem enormen Mehraufwand und in den Häfen zu weiteren Verzögerungen und längeren Liegezeiten. Diese hätten sich über alle europäischen Häfen seit Mitte Februar bis Anfang März um 25 Prozent erhöht, berichtet die Plattform für Lieferkettentransparenz Fourkites. Die Spanne rangiere von 41 Prozent in Westeuropa bis zu 17 Prozent im Norden des Kontinents. Gleichzeitig seien die Seefrachtraten zeitweise um das 20- bis 40-Fache in die Höhe geschossen. Auch die Verfügbarkeit von Containern, die aufgrund der Corona­pandemie bereits eingeschränkt war, hat sich kriegsbedingt weiter verschlechtert.

Seidenstraße läuft rund

In Duisburg als Endpunkt der eisernen Seidenstraße wiederum sind bislang keine Kriegsauswirkungen zu spüren. „Unsere Verkehre laufen nicht durch die Ukraine, sondern planmäßig durch Belarus und Russland“, unterstreicht Duisport-Sprecher Andreas Bartel. Es gebe keinerlei Einschränkungen, aber viel Unsicherheit im Markt. Einige Kunden hätten angekündigt, ihre Transporte auf dem Landweg durch Russland vorerst einstellen zu wollen und auf den Seeverkehr umzustellen. „Es ist nicht auszuschließen, dass es auf der Route zwischen China und Duisburg zu Verzögerungen oder Unterbrechungen kommt und dass internationale Versicherer den Versicherungsschutz für Transporte durch Belarus und Russland kündigen“, sagt Bartel.

Deutschland braucht bundesweite Regeln

Auch nach zwei Jahren Coronapandemie ist die Europäische Union in der neuen Krise nicht imstande, schnell überall gültige Regeln zu schaffen, an denen sich die Transportbranche ausrichten kann. DVF-Geschäftsführer Florian Eck mahnt deshalb einen einheitlichen Umgang mit Transshipment und Embargoregeln an. Ein grenzüberschreitend abgestimmtes Vorgehen trotz unterschiedlicher Zuständigkeiten sei auch innerhalb Deutschlands unbedingt notwendig. „Ausnahmen von Feiertagsfahrverboten und Sonderregelungen bei den Lenk- und Ruhezeiten müssen bundesweit einheitlich in Kraft treten, bevor es zu Engpässen kommt“, erklärt er.

Fahrermangel verschärft sich

Durch den Krieg wird zudem der Fahrermangel, der in Deutschland auf 60.000 bis 80.000 Beschäftigte geschätzt wird, weiter verschärft. Insbesondere Ukrainer, aber auch Fahrer aus Belarus und Russland kehren in ihre Heimatländer zurück. „Jeder dritte Lkw-Fahrer, der für polnische Transportunternehmen oder Speditionen im internationalen Verkehr unterwegs ist, kommt nach Angaben unseres polnischen Schwesterverbandes aus der Ukraine. In Litauen dürfte der Anteil mindestens ebenso groß sein“, sagt BGL-Sprecher Martin Bulheller.

Personal aus der Ukraine und Belarus fehlt

Auf Deutschland heruntergebrochen bedeutet das, dass 2021 in mindestens sieben Prozent der hierzulande eingesetzten Lkw ukrainische Fahrer hinter dem Steuer saßen. „Wir haben von ost­europäischen Transportunternehmen und Speditionen gehört, dass dort erste Transporte verschoben oder abgesagt werden müssen“, berichtet Bulheller. Inwieweit sich das auch auf die Versorgungssituation in Deutschland auswirken werde, lasse sich derzeit noch nicht abschätzen.

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