Truck Talk Podcast (8) Die Entsendung - einfach erklärt

Podcast

Nach den ersten beiden großen Bausteinen des Mobilitätspakets, den Sozialvorschriften und dem Marktzugang mit der Kabotage, schließt sich ab dem 2. Februar 2022 mit dem dritten Bereich, den Entsenderegeln, der Kreis für einen in der politischen Kommunikation angekündigten fairen und sozialen Wettbewerb. Das Ziel: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort. In der gelebten Praxis geht es allerdings um entscheidende Fragen, wie die, ob ein Fahrer eine Ladung entsendefrei befördern darf, weil sie Teil einer sogenannten bilateralen Beförderung ist oder ob keine Ausnahme greift, weil es sich schlicht um eine grenzüberschreitende Beförderung handelt. Und wie all das wirksam kontrolliert werden kann.

Am 2. Februar 2022 erlangt der nunmehr dritte Baustein des zeitlich aufeinander abgestimmten Mobilititätspakets I Geltung, die Richtlinie (EU) 2020/1057. Nach den Änderungen bei den Sozialvorschriften, die bereits am 20. August 2020 in Kraft getreten sind, und dem Komplex aus Marktzugang und Kabotage, der ab dem 21. Februar 2022 auf alle Unternehmen im Güterverkehr zukommt (Folge 7), konkretisiert die Entsenderichtlinie die Regelungen bei der Entsendung von, so der Wortlaut, „Kraftfahrern, die bei in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Unternehmen beschäftigt sind“ und bei „länderübergreifenden Maßnahmen“ eingesetzt werden.

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort

Es ist einer der Grundfehler der Europäischen Union, dass sie sich bis heute in erster Linie als gemeinsamer Wirtschaftsraum und Binnenmarkt begreift und keinen direkten Einfluss auf die Sozialsysteme der Mitgliedstaaten hat. Was natürlich seit der ersten Osterweiterung im Jahr 2004 dazu geführt hat, dass einerseits die westeuropäische Industrie sofort in den Osten gegangen ist und andererseits bald die ersten Lkw aus Osteuropa mit ihren dort geltenden Beschäftigungsbedingungen nach Westeuropa kamen. Schnell gründeten auch westeuropäische Speditionen ihre Niederlassungen oder Briefkastenfirmen in Osteuropa. Aus ihrem Wettbewerbsvorteil durch einen geringen nationalen Grundlohn und hohe Nettospesen für die Fahrer wurde alsbald der Begriff des „Sozialdumpings“ mit Fahrern, die monatelang zu den Bedingungen ihrer Heimat- oder Niederlassungsländer in ganz Westeuropa unterwegs sind. Mit der Einführung der speziellen Entsenderegeln für Kraftfahrer soll ab 2022 daher auch der vor allem von Gewerkschaften geprägte Wunsch „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ endlich Wirklichkeit werden.

Nichts ist ungleicher als die Tourenplanung

Doch weit gefehlt. Diese Faustformel hat bereits in sich ungleiche Bedingungen, denn sie hängt, das ist der Kompromiss aus den Trilogverhandlungen zum Mobilitätspaket, tatsächlich davon ab, auf welcher Tour der Fahrer eingeteilt ist. In der achten Folge des „Truck Talk“ stoßen Jan Bergrath und Götz Bopp daher bei der Frage, wann ein Fahrer als entsendet gilt und wann nicht, in die Untiefen eines nahezu absurden Wirrwarrs von möglichen Ausnahmen vor. Beim reinen Transit durch einen Staat und bei den sogenannten bilateralen Transporten, die auf direktem Wege zwischen dem Niederlassungsmitgliedstaat und einem anderen Mitglied- oder Drittstaat ablaufen, gilt der Fahrer künftig nicht als entsendet. Davon wird insbesondere die Automobilindustrie bei ihren Zwischenwerksverkehren profitieren, da sie weiterhin auf die osteuropäischen Frachtführer mit den schlechter bezahlten Fahrern zurückgreifen kann.

Da bei den bilateralen Beförderungen zudem noch eine oder zwei Beiladungen in Ländern aufgenommen oder abgeladen werden können, „durch“ die der Fahrer fährt, entsteht erneut das, was wir alle am Mobilitätspaket so sehr lieben – ein Höchstmaß an Komplexität Dank begrifflicher Unklarheiten. Denn deshalb ist auch bei einer Tour durch mehrere Staaten die Frage, ob der Fahrer als entsendet anzusehen ist, nicht immer einfach zu beantworten. Lediglich bei der Kabotage ist klar, dass diese stets unter den Entlohnungs- und Beschäftigungsbedingungen des sogenannten Aufnahmemitgliedstaats durchgeführt werden muss.

Es kommt auf die Kontrollen an

Einmal mehr gilt: Auch die Wirksamkeit der Entsenderichtlinie ist nur so gut wie die Kontrolle in den jeweiligen Mitgliedstaaten. Wenn die Erstellung einer Entsendemeldung künftig über das Binnenmarkt-Informations-System läuft und aller Voraussicht nach deutlich einfacher vonstatten gehen wird und auch der einzelne Fahrer nurmehr einen definierten Umfang an Dokumenten mitführen muss, ist das einerseits eine erfreuliche Entwicklung. Sollte sich aber herausstellen, dass die Kontrollmechanismen, die der EU-Gesetzgeber auf Basis des Binnenmarkt-Informations-System künftig zugrunde legt, nicht funktionieren oder von einzelnen Mitgliedstaaten torpediert werden können, ist die Freude schnell dahin.

In Deutschland wird es dabei vor allem darauf ankommen, ob der Zoll spätestens zum Frühjahr 2022 von seinem bisherigen Prinzip abweicht, einen Teil der Nettospesen zum geltenden Mindestlohn hinzuzurechnen. Doch letzten Endes wird durch alle Neuerungen nicht sichergestellt, dass der osteuropäische Fahrer den jeweiligen Mindestlohn am Ende des Monats tatsächlich auch bekommt. Bei Verstößen wird weiter nur der Unternehmer mit einem Bußgeld bestraft. Der Fahrer muss auch künftig den Unterschied zu seinem für ihn geltenden nationalen Mindest- oder Tariflohn persönlich einklagen.

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