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TLN will höhere Strafen und mehr Kontrollen Handy-Nutzung am Steuer: Unfallgefahr wächst

Foto: Jan Bergath

Die Handy-Nutzung am Steuer birgt hohe Risiken. Der niederländische Logistikverband TLN will ihr einen Riegel vorschieben.

Schnell mal während der Fahrt auf eine Textnachricht antworten oder die Mails checken – Ablenkung durch das Handy ist nicht nur in Deutschland Unfallursache Nr. 1 und auch im Lkw ein großes Problem. Der größte niederländische Straßentransportverband TLN will jetzt die Reißleine ziehen und fordert Lkw- und Telefonhersteller auf, die Nutzung von Smartphones während der Fahrt weitgehend unmöglich zu machen. Als Sofortmaßnahme soll die Polizei mehr kontrollieren und schärfere Strafen verhängen.

Autobauer und Telefonanbieter müssten zusammenarbeiten, damit das „Appen“ und alle anderen Aktivitäten mit dem Handy hinter dem Steuer schlichtweg nicht mehr stattfinden können, fordert der Logistikverband. Nur noch Telefonieren über die Freisprechanlage und Navigieren sollten nach seiner Vorstellung möglich sein. „Wir müssen dafür sorgen, dass die Fahrer nicht mehr in Versuchung kommen, die Textfunktionen ihres Telefons zu nutzen“, sagte der TLN-Vorsitzende Arthur van Dijk.

Handy-Nutzung am Steuer: 230 Euro Strafe in den Niederlanden

Bis dies umgesetzt ist, soll die Polizei ran: Mehr Kontrollen mit Kameras von der Brücke herunter oder aus Reisebussen in die Fahrerkabinen hinein hält van Dijk für notwendig, Versuche mit neuen Kameras, die automatisch die Smartphonenutzung durch den Fahrer im Verkehr registrieren, werden von ihm begrüßt. Auch die Strafen müssten drastisch erhöht werden, betont er. Dabei liegen sie in den Niederlanden nach Angaben von TLN-Sprecher Quinten Snijders mit 230 Euro bereits jetzt deutlich über den 100 Euro, die hierzulande – plus einem Punkt in Flensburg – seit vergangenem Herbst bei einem Verstoß fällig werden. In Großbritannien können es im Übrigen mehr als 1.000 Euro sein.

Kontrollen mit Einblick in die Fahrerkabine gibt es in Deutschland auch. So setzt etwa das Polizeipräsidium Karlsruhe ein Wohnmobil mit erhöhtem Sitz zur Überwachung des gewerblichen Güter- und Personnverkehrs ein. „Bei Feststellung von fahrerfremden Tätigkeiten werden die Verstöße beweiskräftig mit einer digitalen Kamera dokumentiert“, erläutert Sprecher Dieter Werner gegenüber trans aktuell. Der Fahrer könne durch die Ablenkung seine Geschwindigkeit nicht den Umständen anpassen. „Oft sind in diesem Zusammenhang Abstandsverstöße mit kausal, was in Kombination mit den Geschwindigkeitsverstößen exorbitante Gefährdungspotenziale bietet“, sagt er. „Hierdurch sind obligatorisch schwere Verkehrsunfälle an Stauenden die logische Folge.“

Bundesverkehrsministerium setzt auf Kampage „Tipp, tipp, tot“

Deutschlands Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hält zwar die Handy-Nutzung am Steuer generell für brandgefährlich, von Einschränkungen und noch höheren Geldbußen wollte er aber bislang nichts wissen. Er setzt auf die Plakatkampagne „Tipp, tipp, tot“ an den Autobahnen. „Mein Weg ist es, dass wir die Verkehrsteilnehmer auf die Problematik aufmerksam machen“, sagte er kürzlich in Leipzig. Verkehrswissenschaftler wie der Vorsitzende der International Road Traffic Data and Analysis Group (IRTAD) der OECD, Prof. Fred Wegman, halten das für unzureichend und führen die Stagnation oder gar den Anstieg bei den Verkehrstoten im Straßenverkehr auf Ablenkung insbesondere durch Handys zurück.

Es gebe keine harten Zahlen zu Lkw-Unfällen durch Handynutzung, sagt der TLN-Vorsitzende van Dijk. „Aber wenn hier etwas schief geht, sind die Folgen bei einem Unfall aufgrund der Abmessungen und des Gewichts des Fahrzeuges um ein Vielfaches größer.“ Das kann die Dekra-Unfallforschung nur bestätigen. „Der Bremsweg moderner Lkw entspricht dem von Pkw“, sagt Unfallforscher Luigi Ancona. Aus einer Geschwindigkeit von 80 km/h stehen die Fahrzeuge nach rund 40 Metern. Für den Anhalteweg spielt aber auch die Reaktionszeit eine entscheidende Rolle: „Wenn ein Fahrer bei 80 km/h nur zwei Sekunden abgelenkt ist, legt er 44 Meter im Blindflug zurück“, erläutert er.

Dekra: Jeder dritte Lkw-Fahrer abgelenkt

Die Dekra-Unfallforschung hat die Ablenkungsrate am Steuer im vergangenen Herbst deutschlandweit untersucht und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass jeder dritte Lkw-Fahrer während der Fahrt gleichzeitig andere Dinge tut. Zur Ablenkungsquote durch das Handy mit sieben Prozent kommen zusätzlich noch andere elektronische Geräte wie Navi, Tablet oder Laptop sowie Essen, Trinken und das Lesen von Zeitschriften hinzu.

Van Dijk sieht die Profi-Fahrer in einer besonderen Verantwortung, grundsätzlich seien sie der „Kapitän des Schiffs“, sagt er. Aber auch die Unternehmen müssten sich engagieren, das Problem werde von ihnen oftmals zu wenig beachtet, kritisiert er und verweist auf den Safe Drive Pod (siehe Kasten rechts). Das Gerät der gleichnamigen niederländischen Firma wird seit kurzem von der Volkswagen-Tochter Car Mobility in Deutschland vertrieben und ermöglicht es, kontrolliert frei zu telefonieren und zu navigieren. Alle anderen Funktionen sind damit während der Fahrt gesperrt.

BGL appelliert: keine fahrfremden Tätigkeiten ausüben

Beim Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) sieht man das Problem der Ablenkung am Steuer mit großer Sorge: „Wir appellieren eindringlich an alle Fahrer, im Verkehr keine fahrfremden Tätigkeiten auszuüben“, sagt Dr. Werner Andres, Abteilungsleiter für Verkehrssicherheit im BGL. „Eine Möglichkeit, das umzusetzen besteht beispielsweise in der Anwendung von entsprechenden Apps, die eine unerlaubte Nutzung des Handys während der Fahrt unterbinden.“ Der Deutsche Speditions- und Logistikverband (DSLV) will derzeit zum Thema keine Stellung beziehen.

Viele hiesige Speditione weisen ihre Fahrer auf die mit dem Handy verbundenen Gefahren hin. „Wir haben schon lange unsere Kampagne 'Don‘t Text And Drive' ausgerollt“, sagt der Geschäftsführer von Meyer Logistik, Matthias Strehl. Persönliche Ansprache, Aufkleber in den Fahrzeugen, Poster in Dispobüros und anderen Fahrer-Anlaufstellen sowie eine eigene Firmen-App gehören dazu.

Bei Streck Transport aus Lörrach haben alle eigenen Lkw eine Freisprecheinrichtung, und die Nutzung von Apps sei aus betrieblichen Gründen nicht nötig, unterstreicht Geschäftsführer Gerald Penner. Er gießt gleichzeitig Wasser in den holländischen Wein: „Was hier ausgeblendet wird, ist die Parallel-Nutzung von privaten und geschäftlichen Endgeräten“, gibt er zu bedenken. Die Nutzung von privaten Geräten – in welcher Form auch immer – werde sich über eine solche Regelung nicht unterbinden lassen. „Hier helfen nur verstärkte Kontrollen und empfindliche Strafen.“

Die Lösung Safe Driver Pod

Der Safe Drive Pod ist eine Sicherheitslöung, die den Fahrer daran hindern soll, sich durch das Smartphone ablenken zu lassen. Da der Bildschirm während der Fahrt gesperrt ist, können Applikationen nicht genutzt werden, Telefonate über die Freisprechanlage sowie die Navigation bleiben aber weiterhin möglich. Das Gerät funktioniert ohne GPS und zeichnet folglich keine Fahrten auf. Die Lösung besteht aus den drei Bausteinen Hardware, Software und Server:

  • Der Safe Drive Pod hat die Größe einer Streichholzschachtel und wird im Fahrzeug an einer beliebigen Stelle angebracht. Über ein drahtloses Radiosignal und einen Vibrationssensor registriert das System, ob sich das Fahrzeug bewegt.
  • Die App auf dem Smartphone der Fahrer sperrt während der Fahrt den Zugang zu allen anderen Apps. Hält das Fahrzeug an, wird der Bildschirm nach 20 Sekunden entsperrt. Stellt der Fahrer das Gerät ab, wird er per Push-Nachricht und E-Mail informiert.
  • Über ein Monitoring-System hat das Transportunternehmen Kenntnis über die Anmeldeaktivitäten der Fahrer.

Das junge niederländische Unternehmen Safe Drive Pod will insbesondere Flottenmanager ansprechen. Mit dem Gerät würden Schadensfälle und Schadensersatzforderungen reduziert, lautet die Argumentation. In Deutschland hat seit kurzem Car Mobility, die unabhängige Fuhrparkmanagement-Gesellschaft der Volkswagen Financial Services den Vertrieb übernommen.

Was das Gesetz sagt

„Die Vorwerfbarkeit einer solchen Ordnungswidrigkeit basiert auf dem Tatbestand des §3 StVO, wonach der Fahrer seine Sicht nach vorne aufgrund der fahrerfremden Tätigkeit in erheblichem Maße selbst einschränkt und dadurch seine Geschwindigkeit nicht anpasst. Die Tatbestandsnummer aus dem bundeseinheitlichen Bußgeldkatalog lautet: 103618. Der Verstoß wird mit 80 Euro Bußgeld, einem Punkt in Flensburg und den anfallenden Verwaltungskosten in Höhe von zwischen 25 Euro und 30 Euro geahndet. Die Begründung wurde in Zusammenarbeit mit der Zentralen Bußgeldstelle in Karlsruhe ausgearbeitet. Hierfür ist faktisch das Gefahrenpotenzial eines Schwerfahrzeuges mit seiner enormen Masse zugrunde zu legen. Bei Abstandsverstößen in Kombination mit Geschwindigkeitsverstößen wird das Bußgeld entsprechend des Gefahrenpotenzials selbstverständlich angemessen erhöht.“ Quelle: Polizeipräsidium Karlsruhe

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