Verkehrsbehinderung Gefahr lauert am Staueende

Autobahnpolizei Mannheim, FF 7/2018, Report. Foto: Jan Bergrath 5 Bilder

Nach einem Lkw-Unfall mit vier Toten und einer Schwerverletzten am Stauende auf der A 5 will die Verkehrspolizei Mannheim nun gezielt gegen ein mögliches Aufmerksamkeitsdefizit von Fahrern vorgehen.

Der deutsche Sattelzug fährt mit mehr als achtzig Sachen Richtung Kreuz Walldorf. Das 17 Jahre alte Wohnmobil nimmt der Fahrer nicht wahr. Dafür sieht Polizeihauptkommissar Rüdiger Heiler am Steuer des Fiat Ducato, wie der Lkw gleich mehrmals zum Standstreifen schlingert. "Pro Sekunde legt ein Lkw 22 Meter zurück", sagt Heiler, "und gleich kommt die unfallträchtigste Stelle hier auf der A 5." Heiler zieht auf die Höhe des Fahrerhauses. Vom erhöhten Sitz im Innenraum kann nun Polizeikommissar Dieter Heß direkt in die Kabine sehen. "Der dreht Zigaretten", erkennt Heß. Heiler überholt, "Bitte folgen" leuchtet am Heck auf, er lotst den Lkw auf einen Parkplatz. Heiler, der 23 Jahre lang nebenbei für eine Spedition aus Östringen Lkw gefahren ist, hat Verständnis für viele aktuelle Probleme der Lkw-Fahrer. Doch beim Thema Ablenkung ist er konsequent. Der Fahrer muss 80 Euro Bußgeld bezahlen und wird später einen Punkt in Flensburg bekommen.

Unfall Stauuende, Pkw zwischen zwei Lkw zerquetscht, Auflieger mit Tierblut ausgelaufen, grausige Szene. Report FF 7/2018. Foto: Autobahnpolizei Mannheim
Am Rosenmontag 2018 übersah der polnische Fahrer einer deutschen Spedition ein Stauende auf der A 5 vor dem Kreuz Walldorf. Ungebremst schob er zwei Pkw auf einen Tankauflieger mit Tierblut, der leckschlug. Vier Pkw-Insassen starben in der grausamen Szenerie.

Der Fahrer einer deutschen Spedition raste mit 81 km/h in ein Stauende

Es handelt sich um einen Verstoß gegen Paragraf 3, Absatz 1, StVO. "Es wurde eine fahrerfremde und ablenkende Tätigkeit während der Fahrt festgestellt", sagt Heiler. "Die Strecke vor sich konnte der Fahrer nicht überblicken und er hätte im Bedarfsfall wohl auch nicht entsprechend reagiert." Am 12. Februar 2018 um 14.18 Uhr raste auf der A 5 bei Kilometer 592 der polnische Fahrer einer deutschen Spedition mit 81 km/h in ein Stauende. Ungebremst schob er zwei Autos auf einen Tankauflieger. In einem der beiden komplett zerstörten Pkw starben vier Mitglieder einer Familie aus Köln, nur die 15-jährige Tochter überlebt schwer verletzt. "Die Ermittlungen laufen noch, der Fahrer kann sich nicht an den Unfall erinnern", schildert es Polizeidirektor Dieter Schäfer, Leiter der Verkehrspolizeidirektion Mannheim, in dessen Zuständigkeitsbereich auch das Kreuz Walldorf gehört. Dort sind jeden Tag rund 25.000 Lkw unterwegs. Einen Notbremsassistenten hatte der Volvo FH nicht, die Kontrolle der Tachodaten ergab keinen Verstoß gegen die Lenk- und Ruhezeiten. Schäfer vermutet, dass der Fahrer in die dortige Staufalle geraten ist: Vor dem Kreuz Walldorf gibt es, aus Karlsruhe kommend, auf dem dreispurigen Teilstück der A 5 eine lang gezogene Rechtskurve. Auf der rechten Spur zur A 6 bildet sich hier ein nicht zu erkennender Rückstau, während der Verkehr auf den beiden Spuren Richtung Frankfurt oft normal fließt. "Beim peripheren Sehen nehmen Fahrer dann wahr, dass die gesamte Strecke frei ist", erklärt Schäfer. Etliche Lkw-Bremsspuren auf dem Asphalt zeigen deutlich das Gefahrenpotenzial.

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"Kurzfristig brauchen wir wirksame Warnungen vor Unfallgefahren."

Beim Blick auf die örtliche Unfallverteilung liegen die Schwerpunkte eindeutig auf der A 6 vor und nach dem Walldorfer Kreuz in Fahrtrichtung Ost und auf der A 5 in Fahrtrichtung Nord. "Hier verzeichnen wir auf den Teilstücken eine Zunahme der Unfälle um bis zu 78 Prozent gegenüber dem Vorjahr", sagt Schäfer. Eine Folge der Einrichtung der Dauerbaustelle zwischen Rauenberg und Sinsheim sowie der chronischen Überlastung der A 6. Dazu kommt nun noch die Baustelle auf der A 5 Richtung Frankfurt unmittelbar hinter dem Kreuz Walldorf – und somit eine erhöhte Unfallgefahr für die nächsten Jahre. "Kein Fahrer fährt absichtlich auf ein Stauende auf", ist Schäfer überzeugt. "Wir müssen schnellstmöglich hinsichtlich der Aufmerksamkeitsdefizite bei den schwarzen Schafen unter den Lkw-Fahrern intervenieren. Kurzfristig brauchen wir wirksame Warnungen vor Unfallgefahren." Nach einem Fachvortrag vor Spediteuren aus dem Wirtschaftsraum Mannheim/Ludwigshafen wurde als erste Maßnahme die Aktion "Hellwach mit 80 km/h" ins Leben gerufen (siehe auch meinen gleichnamigen Blog auf www.eurotransport.de). Zudem fordert Schäfer unter anderem eine optische Warnung, um unaufmerksame Fahrer regelrecht zu "wecken".

Diese Sorgen hat Rüdiger Heiler nicht mehr. Seit die Baustelle auf der A 5 bei Karlsruhe beendet ist, gibt es keine Unfälle mehr am Stauende. Dennoch fährt sein Team weiter Streife mit dem Wohnmobil, wie nun bei "Achtung Kontrolle" in einem sehr informativen Beitrag vom 25. April auf Kabel 1 zu sehen ist. Seine Bilanz ist heute positiv. "Von den rund 100 Lkw-Fahrern, die wir beobachtet haben, saßen 95 Prozent voll konzentriert auf den Verkehr hinter dem Lenkrad."

Dieser Artikel stammt aus diesem Heft
FF 07 2018 Titel
FERNFAHRER 07 / 2018
2. Juni 2018
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