Stau-Chaos in England Unerträgliche Zumutung für Lkw-Fahrer

Großbritannien Foto: Peter Grieve 8 Bilder

Weil eine Mutation von Covid-19 in Südengland entdeckt wurde, hat zunächst Frankreich alle Fähr- und Zugverbindungen aus Dover und Folkestone gekappt. Allein über 300 deutsche Fahrer stehen im Stau oder noch an den Ladestellen. Ob sie an Weihnachten daheim sind, ist ungewiss. Mit jeder Stunde Ungewissheit schwindet die Hoffnung.

Man muss wahrscheinlich Nerven wie Helmut Huhn haben, um in dem aktuellen Chaos auf der britischen Insel noch halbwegs besonnen zu sein. Aber Helmut kennt unendliche lange Wartezeiten an Grenzen von seinen Touren in die Ukraine. Nun wollte er in der Woche vor Weihnachten mit seinem neuen Scania im Auftrag der Spedition Maintaler noch mal „schnell“ nach Großbritannien. Dann traf auch ihn völlig überraschend die alleinige Entscheidung Frankreichs, alle Fähr- und Zugverbindungen vor allem aus Dover (Fähre) und Folkestone (Eurotunnel) zu kappen. Bis zu 10.000 Lkw werden normalerweise in Dover vor Weihnachten im Hafen abgefertigt. Jetzt weist ein Display auf den Anfahrtstrecken über die M2 und die M 20 lapidar darauf hin: „Routes to France closed. Stay home.“ Die Routen nach Frankreich sind geschlossen. Bleiben Sie Zuhause.

Gestrandet auf einem Parkplatz

Doch Helmut ist kein Brite, der einfach umkehren könnte. Er will nach Hause. So wie nach einer Schätzung des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) e.V. mindestens 300 weitere deutsche Fahrer. Wenn nicht mehr. Allein von Maintaler hängen an diesem Dienstag fünf Fahrer fest. Einer auch noch im Sprinter. Für ihn sei es besonders übel, sagt sein Chef Markus Grenzer, der rund um die Uhr telefoniert und nach Lösungen sucht. „Denn natürlich sind auch alle Hotels in der Gegend geschlossen“, so Grenzer. Helmut hat es dagegen fast noch ideal getroffen. Er konnte sich in der Nacht bis auf den Dover Truck Stop an der M 2 kurz vor der Abfahrt in den Hafen selbst durchschlagen. Dort wartet er nun darauf, eingesperrt zwischen Lastzügen aus aller Herren Länder, wie es wann weitergeht. „Vielleicht habe ich Glück“, sagt er. „Vielleicht fährt doch noch irgendeine Fähre. Es ist nicht abzusehen.“

Auch 32 Lkw von Kottmeyer hängen fest

„Das sind unzumutbare Zustände“, sagt Horst Kottmeyer von der gleichnamigen Spedition aus Bad Oeynhausen. Normalerweise fährt er mit 15 bis 18 Ladungen täglich nach England und Irland. Aktuell ist ein Teil der 32 blauen Volumenzüge noch im Zulauf zu den Häfen oder sie hängen bereits im Stau fest, so wie etwa Peter Grieve auf der M 20 rund 20 Kilometer vor Dover. Die Autobahn rechts und links ist Teil des sogenannten „Operation Stack“ des britischen Notfallplans, der eigentlich erst greifen sollte, wenn Großbritannien mit dem harten Brexit, sollte er nun wirklich kommen, am 1. Januar 2021 die EU ohne Abkommen verlassen wird. Auch der Flughafen Manston ist zugeparkt. Sieben komplette Kottmeyer-Züge nach England, deren Ladungen sogar mit hohen Konventionalstrafen belegt sind, stehen noch in Deutschland. „Derzeit bemühen wir uns, für unsere Fahrer irgendwo in England einen PCR-Test zu bekommen“, so Kottmeyer, „damit sie überhaupt nach Frankreich einreisen dürfen, falls die Fähren doch wieder fahren.“

Unsägliche Informationspolitik

Stand Dienstagmittag weiß niemand, was passiert. Die Entscheidung Frankreichs erfolgte ohne Vorwarnung und wohl auch ohne Abstimmung mit der EU, die ja grundsätzlich zugesagt hatte, dass es sogenannte Green Lanes für den Güterverkehr geben solle. Nun ist zudem die Versorgung der Briten vor allem mit frischen Lebensmitteln nicht mehr gesichert. 20 Prozent aller in Großbritannien verkauften Güter kommen über den Ärmelkanal ins Königreich. Immerhin: Kevin Kij, der für die Spedition Böpple aus Esslingen am Montag in Reading im Süden geladen hatte, machte sich von dort gleich auf in den Norden, zur Fähre von Hull nach Zeebrugge. Dort steht er nun auf der Warteliste. „Wenn ich viel Glück habe bin ich Weihnachten vielleicht doch daheim.“

Mögliche Lieferengpässe

Es ist abzusehen, dass in den nächsten Tagen und Wochen im UK Lieferengpässe drohen. Die Lager, auch des Einzelhandels, sollen zwar gut gefüllt worden sein, aber die frischen Waren sind das Problem. Einzige Hoffnung: Bislang sollen die Regelungen nur 48 Stunden dauern. Doch selbst dann würde es noch Tage dauern, die kilometerlangen Staus abzubauen. Die bisherigen Kapazitäten an Fähren und Zügen reichen bei Weitem nicht für einen schnellen Abfluss der Lkw aus. Die alternativen Fähren in den anderen Häfen sind bereits jetzt restlos überbucht. Die Wucht der französischen Entscheidung hat aus dem Stand das vollkommene Chaos verursacht.

Die Hoffnung schwindet

„Dass der Verkehr von der Insel zum Festland am Sonntag komplett eingestellt wurde, hat alle Fahrer und Spediteure aus dem Nichts überrascht und unvorbereitet getroffen“, sagt auch Helmut Huhn. „Fast alle hatten die Planung, sich auf den Weg nach Hause zu begeben, um mit Ihren Familien Weihnachten zu feiern. Deswegen sind die Lebensmittelvorräte im Lkw knapp und wir Fahrer sind nicht darauf eingestellt, Tage im endlosen Stau vor dem Hafen von Dover zu verbringen. Es ist schon frustrierend und deprimierend hier zu stehen und nicht zu wissen, wann es endlich weiter geht. Und selbst wenn, wie lange dauert es dann, bis man auf die Fähre kommt? Wahrscheinlich dauert es Tage, bis der Rückstau abgearbeitet ist. Und mit jeder Stunde, die man hier wartet, schwindet die Hoffnung, es rechtzeitig zu schaffen. Zumal an den Feiertagen ja auch Fahrverbot besteht. Es wäre zumindest eine Hilfe, dieses für die gestrandeten Lkw-Fahrer aufzuheben, damit wir im Falle des Falles wenigstens verspätet noch zur Familie kommen könnten.“

Laut aktueller Informationen des BGL am heutigen Dienstagvormittag gibt es auf EU-Ebene noch heute eine Videokonferenz. Die Lkw-Fahrer sollen aus humanitären Gründen möglichst ohne einen Test das UK verlassen können. Das einzige Land, das dagegen ist, ist aktuell Frankreich.

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