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Soziale Agenda für den Transport Kontrollen gegen Dumping

LaSi Kontrolle Großkontrolle Foto: Jacek Bilski

Die Verwerfungen im Straßentransport, etwa durch Kabotage, stehen in Brüssel auf der Tagesordnung ganz oben. Eine Konferenz soll jetzt Klarheit bringen.

Freier Warenverkehr und Dienstleistungsfreiheit im Binnenmarkt versus soziale Bedingungen und Menschenwürde – in der Anhörung von Experten und Interessenvertretern zum Markt für Straßengüterverkehr vor dem Verkehrsausschuss des Europäischen Parlaments (EP) zeigte sich erneut auch ein tiefer Graben zwischen west- und osteuropäischen Sichtweisen.

Agentur für Straßengüterverkehr

Die EU-Kommission denkt unterdessen über eine Agentur für Straßengüterverkehr nach, wie Verkehrskommissarin Violeta Bulc sagte. Dies werde sie jedoch nur mit entsprechender Rückendeckung der Parlamentarier vorschlagen, betonte sie bei der Präsentation ihres Arbeitsprogramms im Anschluss an die Anhörung. Ihre Behörde will im Herbst 2016 ein Straßenpaket präsentieren.

"Soziale Unfairness und illegaler Wettbewerb müssen bekämpft werden", sagte der für Verkehr zuständige Kommissions-Direktor Fotis Karamitsos. Nach einer genauen Analyse müsse man leicht umzusetzende europäische Lösungen finden, Alleingänge führten zur Zerstückelung des Binnenmarktes.

Zugang zum Beruf Kraftfahrer liberalisieren

Soziale Fragen im Straßengüterverkehr hingen oft mit strengen Reglementierungen zusammen, betonte er. "Der Zugang zum Beruf des Kraftfahrers sollte liberalisiert und die Märkte geöffnet werden." Dies werde derzeit ebenso geprüft wie die Kabotage-Bestimmungen, die oft als Ursache für Wettbewerbsverzerrungen angesehen würden.

Bei einer Ausweitung der  Durchführungsbefugnisse der Kommission ließen sich mehr Verstöße wie beispielsweise illegale Kabotage aufspüren. Die Anregungen aus einer öffentlichen Konferenz zum Thema "Eine Sozialagenda für den Transport" am 4. Juni in Brüssel sollen in das Straßenpaket der Kommission einfließen.

Vertragsverletzungsverfahren einleiten

Wenn die bestehenden Regelungen umgesetzt würden, wäre schon viel erreicht, um Sozialdumping und Wettbewerbsverzerrung im Straßengüterverkehr zu verhindern, waren sich Parlamenta­rier, Interessenvertreter und EU-Kommission weitgehend einig. Dies scheitere aber an Mitgliedstaaten, die sie ignorierten oder kaum kontrollierten.
In diesem Zusammenhang kritisierten die Parlamentarier die Kommission, die bislang noch nie wirksam nachgehakt oder Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet habe. Immerhin sei sie sich inzwischen des Problems bewusst geworden. "Jetzt gibt es Hoffnung", sagte der sozialdemokratische Abgeordnete Jens Nilsson aus Schweden.
Der Generaldelegierte von Euro Controle Route (ECR), Gerard Schipper, verlangte Unterstützung von der EU-Kommission, die bereits seit vier Jahren an der Ruhezeiten-Richtlinie arbeite. Er berichtete, dass seine Organisation, die europaweit die Kooperation bei Kontrollen verbessern will, krisenbedingt nur noch über ein Viertel ihres Personals verfüge. Hauptproblem sei die Manipulation von Fahrtenschreibern, aus 15 Mitgliedstaaten seien 50.000 Fälle gemeldet worden.

Gesetzgebung nicht klar genug

Zumeist handele es sich um Verfälschungen durch Magnete oder um doppelte Fahrerkarten, es gebe aber auch ganz neue Methoden. Die Gesetzgebung sei nicht klar genug und oft nicht anwendbar, kritisierte Schipper. Nötig sei ein europaweiter Datenaustausch, um Unternehmen aufs Korn nehmen zu können. "Wir stochern im Nebel und greifen uns einfach irgendwelche Fahrzeuge heraus."

Der schwedische Abgeordnete Peter Lundgren (Fraktion Europa der Freiheit) forderte gleiche Regeln für alle. Seriöse Akteure dürften nicht bestraft werden. Für die Kontrolle grenzüberschreitender Verkehre ließe sich möglicherweise das deutsche Mautsystem nutzen. Überlegungen zu einer weiteren Öffnung der Märkte seien ein Zeichen dafür, dass jeglicher Kontakt mit der Realität verloren gegangen sei. Seine christdemokratische Kollegin Elzbieta Lukacijewska aus Polen dagegen fragte sich, ob es wirklich so viel Sozialdumping gebe.

Der Begriff Sozialdumping müsse zunächst definiert werden, meinte Zdzislaw Kordel von der Universität Gdansk (Polen). »Ein Land mit niedrigen Kosten darf nicht diskriminiert werden«, sagte er. Gehe es um das Anpassen des Sozialniveaus, könnten auch die alten EU-Staaten ihres senken.

Roberto Parillo vom internationalen Verband der Verkehrsarbeitnehmer ETF setzte sich für eine strenge Anwendung der bestehenden Regeln ein. Michael Nielsen von der Brüsseler Vertretung der internationalen Straßentransportorganisation (IRU) plädierte für eine effektive Kontrolle durch die Mitgliedstaaten – hierfür seien anstelle von Fahrtenschreibern auch kostengünstigere Funksysteme geeignet. Weiterer Regeln für die Kabotage bedürfe es nicht.

Tommy Pilarp vom Logistikerverband Clecat verlangte, Verstöße nachzuweisen, bevor Sanktionen verhängt würden. Jedes Unternehmen müsse nach seiner Fasson in den Wettbewerb treten können – »sonst ist es ja kein Wettbewerb«.

Die Konferenz

Zum Thema "Eine soziale Agenda für den Transport" findet am 4. Juni in Brüssel eine öffentliche hochrangige Konferenz statt. An der Veranstaltung werden Verkehrskommissarin Violeta Bulc und Beschäftigungskommissarin Marianne Thyssen teilnehmen. Zu drei Workshops und Diskussionsrunden sind Experten und Interessenvertreter geladen. Dabei geht es unter anderem um die Sicherung von Arbeitskräften für die Zukunft und die Verbesserung von Arbeitsbedingungen.

Die Pläne

Verkehrskommissarin Violeta Bulc will die Gesetzgebung klarer gestalten und vereinfachen. Sie kündigte für den Transportsektor acht Aktionen im Rahmen des sogenannten Refit-Programms an. Dazu gehören auch der Kombinierte Verkehr, den sie als ganz besonders wichtig erachtet und die Tunnelsicherheit. Im kommenden Jahr habe jedoch das Straßenpaket Priorität, sagte Bulc. Der Straßenverkehrsmarkt funktioniere nicht richtig, es gebe keine gleiche Ausgangsbasis für alle, Infrastruktur und Fahrzeugflotte würden nicht optimal genutzt. Gebraucht werde daher ein faires System zur Gebührenerhebung nach dem Verursacherprinzip und zur Finanzierung der Infrastruktur. Dafür müssten die Barrieren beim Marktzugang abgebaut und zudem soziale Regeln vereinfacht werden.

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