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Sozialdumping Das Tauziehen zwischen Ost und West beginnt

Die Raststätte Aachener Land an der A 4. Jedes Wochenende ist der Lkw-Parkplatz total überlastet. Foto: Jan Bergrath

In ihrem Kampf gegen zunehmendes Sozialdumping im Straßentransport haben Frankreich und Deutschland sowie sechs weitere europäische Länder einen dringlichen Appell an die EU-Kommission geschickt.

Verkehrskommissarin Violeta Bulc wird aufgefordert, gegen den Missbrauch von Grundfreiheiten und die Verletzung von EU-Recht vorzugehen. In dem Brief, der der Redaktion vorliegt, heißt es auch, die Europäische Union müsse mehr sein, "als eine Wirtschaftsgemeinschaft, in der freier Wettbewerb und das Streben nach größtmöglichem Profit uneingeschränkte Priorität haben".

Das drei Seiten lange Schreiben wurde von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) und seinem französischen Kollegen Alain Vidalies unterschrieben. Weitere Unterzeichner sind die Minister von Belgien, Dänemark, Italien, Luxemburg, Norwegen und Österreich. Sie betonen, dass Regelungen auf EU-Ebene grundsätzlich nationalem Handeln vorzuziehen seien. Angesichts des sich häufenden Missbrauchs oder der vorsätzlichen Umgehung von EU-Regelungen sehe man jedoch "zunehmend das Erfordernis, umfangreiche Maßnahmen zu ergreifen".

Die Minister fordern klarere Vorschriften. So sollte es gesetzlich verboten werden, die wöchentliche Ruhezeit von mindestens 45 Stunden im Fahrerhaus zu verbringen. Das sei nicht nur eine unzumutbare Lebensbedingung, sondern auch unbezahlte Arbeit, heißt es aus Ministeriumskreisen. Der Fahrer bewache auf dem Parkplatz schließlich gleichzeitig Ware und Fahrzeug. Bei der Kabotage müssten die Kontrollen vereinheitlicht und verschärft werden. Nicht selten würden Fahrer auf in Ost- und Südosteuropa zugelassenen Lkw angetroffen, die mehrere Wochen ununterbrochen in Westeuropa im Einsatz seien.

"Es erscheint uns grundlegend, dass die Anwendung vergleichbarer Vorschriften und Sozialstandards auf EU-Ebene Voraussetzung für jede Diskussion weiterer Liberalisierungsschritte im Straßengüterverkehrsmarkt ist", unterstreichen die Acht. Sie erwarten von Brüssel auch Maßnahmen, die Briefkastenfirmen und den überbordenden Einsatz leichter Nutzfahrzeuge  im grenzüberschreitenden Transport unterbinden.

Die gemeinsame Initiative hat einen Hintergrund: Bevor die EU-Kommission ihre für Anfang 2017 angekündigten Vorschläge zur Überarbeitung der EU-Gesetzgebung im Straßengüterverkehr vorlegt, wollen die beiden europäischen Schwergewichte und größten Transitländer Deutschland und Frankreich Pflöcke einschlagen. Dafür haben sie allerdings nur bei anderen westeuropäischen Staaten Unterstützung erhalten. Insbesondere Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn sind da ganz anderer Ansicht. Für sie existiert Sozialdumping nicht als Tatbestand, sie setzen auf eine weitere Öffnung des Marktes und mehr Flexibilität.

Die Minister werden in ihrem Brief europapolitisch grundsätzlich und verweisen darauf, dass angesichts des vielerorts aufkeimenden Populismus den Bürgern die Hoffnung und die Ziele eines integrierten Europas zurückgegeben werden müssten - "ein Europa, das sie beschützt ist und mehr ist als ein reiner Wirtschaftsraum, der von einem harten innereuropäischen Wettbewerb ohne gemeinsame soziale Mindeststandards regiert wird". Man zähle auf den vollen Einsatz der Kommissarin, um wirkungsvoll das Risiko einer Spaltung Europas zu bekämpfen.

Der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) begrüßte den Vorstoß zur Wiederherstellung eines fairen Wettbewerbs. Minister Dobrindt habe damit ein weiteres Mal unter Beweis gestellt, "dass er die Sorgen und Nöte der mittelständischen Transportunternehmen in Deutschland und ganz Westeuropa verstanden hat", sagte BGL-Präsident Adalbert Wandt. Schlupflöcher in der europäischen Gesetzgebung dürften nicht länger missbraucht werden, um Binnenmarkt, Dienstleistungsfreiheit und die europäische Idee zu unterminieren.

Kürzlich hatte erst das Europäische Parlament darauf gedrungen, die Entsenderichtlinie auch auf den Straßentransportsektor zu übertragen, um so das Sozialdumping zu bekämpfen. Dagegen hatten sich bereits im Vorfeld zehn osteuropäische Staaten positioniert. Frankreich wendet die Regelung seit dem 1. Juli an und hat sich dafür ein Vertragsverletzungsverfahren seitens der EU-Kommission eingehandelt. Deutschland muss sich wegen der Einführung eines Mindestlohns im Straßentransports rechtfertigen.

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