Sozialdumping Bericht aus der Parallelwelt

Lkw-Fahrer Pause, Rasthof Foto: Jan Bergrath

Am Mittwoch, 14. Dezember, widmet sich die ARD-Sendung Plusminus dem Wettbewerb im internationalen Straßengütertransport. Link zum Video im Artikel.

Ein Reporterteam des NDR zeigt, wie die Flotten aus den mittel- und osteuropäischen Ländern durch billige Löhne und krasse Arbeitsbedingungen der Fahrer die Oberhand gewinnen.

Seit meiner Reportage Nomaden im Heft 5/2013 des Magazins FERNFAHRER berichte ich über die schlimmen Zustände im internationalen Straßengüterverkehr, die mittlerweile unter dem Begriff Sozialdumping zusammengefasst sind. Darunter fällt im Prinzip ein ganz bestimmter Teil des Wettbewerbs der seit 2004 rapide gewachsenen Lkw-Flotten aus den mittel- und osteuropäischen Ländern. Es geht nicht in erster Linie um die reinen bilateralen Transporte zwischen den Ländern des Ostens und des Westens. Es geht um den brutalen Dumpingwettbewerb vor allem der multinational aufgestellten Logistikkonzerne aber auch der produzierenden Industrie selber, die Frachtführer aus Osteuropa einsetzen, um auf den lukrativen westlichen Frachtmärkten Europas durch eine kaum zu kontrollierende und höchst liberale Kabotageregelung neue Marktanteile zu generieren.

Raymond und die Ruhezeit

Für die meisten deutschen Fahrer und Unternehmer ist es kein großes Geheimnis, was sich am Wochenende hinter den Tausenden Lkw aus Osteuropa verbirgt, die auf den bis hin zur Ein- und Ausfahrt vollbesetzten Raststätten direkt an den Transitautobahnen auf die Weiterfahrt bis Sonntagabend warten. Es war der belgische Hauptinspektor Raymond Lausberg, der 2013 an der E 40 zum ersten Mal ein Bußgeld gegen Fahrer aus Osteuropa erlassen hat, weil diese entgegen der Regelung aus der EU-Verordnung 561/2006 ihre regelmäßige wöchentliche Ruhezeit im Lkw verbrachten. Längst ist es in Belgien eine mit einem Bußgeld in Höhe von 1.800 Euro für die Unternehmer belegte Straftat, wenn die Polizei am Wochenende Fahrer im Lkw antrifft, die ungarische Spedition Waberer`s musste letzten Monat eine hohe vierstellige Strafe bezahlen, weil die Fahrer sogar auf dem eigenen Firmengelände im Lkw übernachteten.

Seit Belgien durchgreift, ist vor allem die A 4 zwischen Köln und Aachen zu einer Art Auffanglager für die Lkw aus Osteuropa geworden. Die Fahrer, die ich dort immer wieder antreffe, haben einen großen Respekt vor den Bußen in Belgien und in Frankreich.  Erst letzte Woche hat nun die zweite Kammer eines nationalen Gerichtes in den Niederlanden bestätigt, dass dort ebenfalls ein Bußgeld für den Unternehmer in Höhe von 1.500 Euro fällig wird, wenn Fahrer in ihrer 45-stündigen Pause im Lkw angetroffen werden. Mittlerweile ist eine Anordnung an die nationalen Kontrollbehörden ergangen, das Verbot endlich zu kontrollieren.

Der Einfluss von Alkohol

Für die meisten Autofahrer, die ja letzten Endes auch Konsumenten sind, ist es eine Art Parallelwelt, was sich am Rande der Autobahn abspielt. Die Zustände sind für westliche Augen, besonders jetzt im Winter, das pure Elend. Erst vor wenigen Wochen habe ich in meinem Blog "ErnüchterndeBilanz" beschrieben, wie sehr sich der Frust, mehrere Wochen im Lkw fern der Heimat und, soweit vorhanden, fern der Familie unterwegs zu sein, in der Flucht so mancher Fahrer in den Alkohol spiegelt. Seitdem sind noch einmal einige krasse Fälle dazu gekommen, Anfang Dezember etwas gab es bei Augsburg eine alkoholbedingte kleine Massenschlägerei.

Die modernen Sklaven der Autobahn

Nun zeigen die beiden NDR-Autorin Carola Beyer mit dem Reporter Christoph Lütgert am Mittwochabend ab 21.45 Uhr in der Sendung "Plusminus" erschreckende Bilder eben aus dieser Parallelwelt. Sie bringen den Zuschauern Ausschnitte des Lebens der modernen Sklaven der Autobahn ins Wohnzimmer. Vor allem rumänische Lkw-Fahrer, deren Flotten einen immer größeren Anteil im internationalen Gütertransport erlangt haben, berichten, wie sie teilweise monatelang im Lkw leben – und welche Nöte daraus entstehen. Viele von ihnen vermissen ihre Familien, sehen ihre Kinder nicht aufwachsen, und ihre Ehen gehen kaputt. Auch der wirtschaftliche Aspekt kommt nicht zu kurz: Denn die osteuropäischen Frachtführer, so zeigen die Autoren, übernehmen auch in Deutschland immer mehr Aufträge - und große Logistik-Unternehmen verdienen daran. Gedreht wurde zum großen Teil auf Raststätten entlang der A 4. Auch ein deutscher Fahrer kommt zu Wort. Er schildert, wie dieser Wettbewerb sich auf seinen Job auswirkt.

Langer Entscheidungsweg in der EU

Es ist gut möglich, dass dieser Report auch die Politik in Berlin noch einmal wachrüttelt, den Druck auf die EU-Kommission zu erhöhen, mit der für 2017 geplanten "Straßeninitiative" endlich für klare Verhältnisse im Kampf gegen illegale Machenschaften zu sorgen, also etwa die Briefkastenfirmen westeuropäischer Speditionen in Osteuropa wirksam zu unterbinden. Allerdings fürchte ich, dass auf die EU selbst in einem in Nationalismus verfallenden Europa kein so großer Verlass ist, doch noch etwa eine von acht westeuropäischen Verkehrsministern jüngst geforderte europäische Lösung zu einem Verbot der Verbringung der regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeit im Lkw auf die Beine zu stellen. Nach aktuellen Informationen aus der Kommission selbst sollen die Klarstellungen und möglichen Änderungen erst im zweiten Quartal 2017 vorgestellt werden. Bis am Ende der Ministerrat und das EU-Parlament dann zu einem Konsens gefunden haben, wird es Mitte 2019. Und sollte es keine gemeinsame Lösung geben, dann fürchte ich, besteht sogar die Gefahr, dass die aktuelle EU-Verkehrskommission ohne konkrete Gesetzesänderungen wieder abgelöst wird. Und das Spiel beginnt wieder von vorne.

Das Nomadentum in Deutschland stoppen

Alle Hoffnung ruht deshalb auf einem parlamentarischen Vorstoß, den der Bundestagsabgeordnete Udo Schiefner, Berichterstatter für Güterverkehr, Transport und Logistik der SPD-Bundestagsfraktion, fraktionsübergreifend mit seinem Kollegen Oliver Wittke, Berichterstatter für Güterkraftverkehr der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nun vorantreibt: Ein nationales Verbot über das deutsche Fahrpersonalgesetz. Denn, und das ist der Hintergrund für diesen Weg und zugegeben auch für mich neu: Das Bundesjustizministerium ist, anders als es das Bundesverkehrsministerium jahrelang vertreten hat, jetzt durchaus der Meinung, dass der Artikel 8 (8), der es dem Fahrer nur erlaubt, die tägliche und die verkürzte wöchentliche Ruhezeit im Lkw zu verbringen, im Umkehrschluss doch ein klares Verbot bedeutet, die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit im Lkw zu verbringen. Eine Kehrtwende. Das Problem dabei: Da der besagte Artikel 8 (8) nun nicht im entsprechenden deutschen Bußgeldkatalog auftaucht, bleibt als Umweg nur der Weg über den Artikel 8 (6).

Hier der Link zum Beitrag von plusminus: http://www.daserste.de/information/wirtschaft-boerse/plusminus/videos/plusminus-lkw-100.html

Vereinfacht gesagt: Der Gesetzgeber will definieren, dass die Ruhezeit des Fahrers, die ja faktisch auf der Fahrerkarte aufgezeichnet wird, wenn diese gerade am Wochenende im Lkw verbleibt oder der Fahrer sie nach der Rückkehr von einem im Fahrpersonalgesetz wohl neu definierten "Ort der Regeneration" im Tacho nachträgt, nur eine verkürzte Ruhezeit ist. Denn es ist ihm ja verboten, seine 45 Stunden im Lkw zu verbringen. Mit einem Bußgeld belegt werden sollen dann der Unternehmer und der Fahrer, der in diesem Konstrukt seine Ruhezeit zweimal hintereinander verkürzt hat. Anders, so eine Aussage aus Berlin, sei es im Ordnungswidrigkeitsrecht derzeit nicht zu regeln. Doch die Fahrer aus Osteuropa trifft ja die geringste Schuld an diesem Zustand – und an der Tourenplanung. Raymond Lausberg verweist bei jeder seiner Anzeigen auf den Artikel 10 (2). Der besagt, dass der Unternehmer die Arbeit seiner Fahrer so zu organisieren hat, dass dieser sich an die Vorschriften halten kann.

Am Ende endet es wieder vor dem EuGH

Ich kann an dieser Stelle nur hoffen, dass es bis zur Abstimmung Ende Januar in Berlin eine bessere, eine wasserdichte Lösung geben wird. Denn ganz Osteuropa wird mit Argusaugen auf die deutsche nationale Lösung blicken – und alle Verbände sowie betroffene Speditionen werden mit dem ersten Bußgeld, sollte das Bundesamt für Güterverkehr überhaupt auf der neuen Gesetzesgrundlage kontrollieren wollen - vor ein Gericht gehen. Auch fürchte ich, dass die EU zwar keine eigene Lösung haben wird, diese deutsche Variante aber vor den EuGH bringen wird. So wie den deutschen Mindestlohn für Fahrer aus Osteuropa. Und dann stoppt niemand mehr das Nomadentum in Europa.

Hier der Link zum Beitrag von plusminus (abrufbar bis 14.12.2017): http://www.daserste.de/information/wirtschaft-boerse/plusminus/videos/plusminus-lkw-100.html

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