Digital-Spedition Sennder kauft weiter zu. Geschäftsführer Julius Köhler über die Rolle als disruptiver Game Changer im Transport.
Köhler: Durch die Übernahme des französischen Unternehmens Everoad, einem unserer bisher größten Wettbewerber, können wir unsere Führungsposition auf dem europäischen Straßengüter-Verkehrsmarkt weiter erfolgreich ausbauen. Sennder und Everoad verbinden gemeinsame Unternehmenswerte und Kultur sowie die Vision, den Straßengüterverkehr in das digitale Zeitalter zu bringen. Aus diesem Grund kommen wir mit der Integration des 110-köpfigen Everoad-Teams hervorragend voran.
Die Integration des Innroute-Teams ist nahezu abgeschlossen und verlief sehr erfolgreich. Die beiden Übernahmen bedeuten wichtige Synergien für uns und zahlen auf die strategische Umsetzung unserer Agenda ein.
Wie haben Sie das als Start-up finanziert und was haben die Übernahmen gekostet?Bei der Übernahme konnten wir auf die Unterstützung und das Vertrauen unserer Investoren bauen. So konnten wir die Transaktion entsprechend stemmen. Dem Merger unterliegt ein Share-Deal. Das hat natürlich auch dabei geholfen, alles sehr schlank und schnell umzusetzen.
Stehen weitere Investitionsrunden an?Ja, die nächste Investitionsrunde haben wir für Ende 2021 geplant. Wir sind glücklicherweise in der angenehmen Situation, dass wir noch den Großteil der Gelder aus unseren letzten Finanzierungsrunden zur Verfügung haben, die wir innerhalb der letzten vier Jahre eingesammelt haben.
Und damit einhergehend: Stehen weitere Zukäufe an?Definitiv, wir schauen uns hier auch nicht nur nach Start-ups um, sondern haben auch traditionelle Broker und Speditionen im Auge, die durch uns stark profitieren könnten.
Sie haben die Eine-Milliarde-Umsatz-Grenze im Blick. Wie wollen Sie weiterwachsen?Wir haben uns hier eine Drei-Stufen-Strategie zurechtgelegt:Erstens wollen wir in Europa weiter mit unseren Kunden organisch wachsen. Zweitens bauen wir auf anorganische Wachstum: Dies können zum Beispiel weitere Merger mit Start-ups sein und zuvor genannte Akquisitionen von traditionellen Brokern.Drittens setzen wir auf strategische Partnerschaften mit traditionellen, etablierten Unternehmen, die über ein großes Volumen verfügen und deren Angebot wir optimieren und ergänzen können.
Sehen Sie digitale Speditionen wie Sennder als disruptive Game Changer?Definitiv, das ist unser Geschäftsmodell. Die Effizienz steigt proportional mit der Menge der möglichen Transporte. Hier sind wir dreimal so effizient wie nicht-digitale, traditionelle Speditionen.
Und die müssen jetzt zittern?Unserer Technologie bietet eine erhebliche Rentabilitätssteigerung bei alteingesessenen Spediteuren. Wir gewährleisten zum einen die Optimierung des gesamten Betriebs, durch eine höhere Netzwerkauslastung und bessere sowie fairere Preisgestaltung. Auf der anderen Seite erreicht Sennder eine immense Produktivitätssteigerung von Disponenten, durch vollständig digitalisierte Prozessabläufe sowie starke Prozessautomatisierung.
Nicht nur während des Corona-Lockdowns wurde unter anderem Sennder des Preisdumpings bezichtigt. Wie sehen Sie das?Das trifft so nicht ganz zu. Der Frachtmarkt wird, wie jeder andere Markt auch, von Angebot und Nachfrage gesteuert. Durch die Schließung von diversen Produktionsstandorten, Stichwort Automobilindustrie, gab es plötzlich mehr verfügbaren Frachtraum als Ladungen. So sind auch unsere Preise drastisch gefallen.
Wie ermitteln Sie diese?Sennder arbeitet heute mit Preis-Algorithmen zur Bestimmung von marktüblichen Konditionen, wir haben diese aufgrund des nie zuvor gesehenen volatilen Marktumfelds nun verbessert, um eben solche Entwicklungen zu vermeiden. Unabhängig davon wurden unsere Bestandspartner gemäß Ihrer Verträge bezahlt – nur so ist es uns möglich diese auch langfristig zu halten.
Wird da nicht ein ruinöser Preiskampf betrieben?Der Markt war und ist hoch volatil. Es gibt hier immer Situationen, wo Angebot und Nachfrage nicht übereinkommen. In Zeiten der globalen Corona-Pandemie gab es sehr hohe Schwankungen, sowohl nach oben als auch nach unten. Drei Wochen vor den absoluten Tiefpreisen befanden wir uns zum Beispiel in einer absoluten Hochpreis-Situation. Als die Grenzen aufgrund der Pandemie-Restriktionen geschlossen wurden, sind die Preise Mitte März um 30 Prozent gestiegen. Da haben die Spediteure profitiert. Danach entwickelte es sich dann gegenteilig. Insgesamt zählt aber der Durchschnitt. Wichtig ist, dass es langfristig stimmt und wir so Kapazitäten zu fairen Preisen einkaufen können.
Wie hat sich der Corona-bedingte Lockdown auf Sennder ausgewirkt?Insgesamt positiv. Besonders zu Beginn der Krise konnten wir uns sehr schnell und flexibel an die neuen Gegebenheiten anpassen. Sennder lebte schon vor der Krise das Agile-Working-Konzept mit flexibler Arbeitszeit und Ortsgestaltung. Wir haben auch keine statischen Festnetz-Anbindungen in unseren Offices, die zunächst umstrukturiert werden mussten. So konnten wir unsere Kunden ohne Unterbrechung und bei gewohnter Qualität weiter bedienen.
Haben Sie Beispiele, wie Sie Ihren Spediteurs-Kunden dabei helfen konnten, bei den zu transportierenden Gütern auf andere Segmente auszuweichen?Ja, hier bietet sich ein Beispiel unserer langjährigen Carriers an: Es gibt Speditionen, die ausschließlich für die Automobilindustrie gefahren sind. Diese war Corona-bedingt komplett lahmgelegt. Die Nachfrage an Food and Beverage sowie persönlicher Hygiene ging dafür durch die Decke. Auch der E-Commerce-Sektor hat ein bisher unbekanntes Hoch erfahren. In diesen Bereichen hat Sennder viele Kunden und es gab hier eine konstante und teilweise sogar gestiegene Nachfrage
Wie stellt sich das Ganze aktuell dar?Bei Sennder tracken und messen wir die gefahren Kilometer pro Tag und pro Lkw täglich. Im Vergleich zum Februar sind wir momentan bei einem Minus von 20 Prozent. Zum Krisen-Tiefpunkt erreichten wir ein Minus von 35 Prozent. Aktuell liegen wir zwischen einem Minus von 18 bis 15 Prozent. Um wieder auf unsere Vorjahreszahlen zu kommen, wird es wohl noch bis Ende des Jahres dauern.
Wenn Sie einen Blick in die Zukunft werfen: Was ist für Sie mit Blick auf die Logistik das nächste Ding in Sachen Digitalisierung?Die Rolle der traditionellen Akteure auf dem Straßengüter-Verkehrsmarkt wird sich im Laufe des nächsten Jahrzehnts stark verändern. Einerseits müssen Lkw-Hersteller wie Scania und Daimler ihr Geschäftsmodell, welches auf autonomen Lkw basiert, neu erfinden. Hier wird die sinnvolle Nutzung und Auswertung von Daten entscheidend sein.
Und auf Seiten der Transporteure?Auf der anderen Seite werden Spediteure eine viel spezialisiertere Rolle einnehmen. Längere Distanzen können autonom gefahren werden, beispielsweise von der Autobahneinfahrt bis zur Autobahnausfahrt. Hier wird ihr Fokus auf der Ergänzung autonomer Langstrecken-Transporte und Last-Mile-Delivery liegen. Ich denke etwa an Fahrten von der Autobahn zu den Lagerhäusern sowie an Spezialtransporte, etwa von Kraftstoffen.
Sennder sieht sich hier führend positioniert, um den Straßengüterverkehr in das digitale Zeitalter zu bringen und den Weg nach vorne zu ebnen. Mit vollständig digitalisierten Prozessabläufen sowie starken Automatisierungs- und Optimierungsbemühungen sehen wir uns als Haupttreiber in der Branche. Wir können allen Beteiligten modernste Technologien anbieten und langfristige Kundenbeziehungen aufbauen.
Zur Person
- Julius Köhler ist gebürtiger Stuttgarter und in den USA aufgewachsen
- Auf das BWL- und Marketing-Studium in Schottland folgte der MBA in Hongkong
- Es folgte eine Beratertätigkeit bei Roland Berger
- Dort lernte er die beiden Sennder Co-Founder, David Nothacker und Nicolaus Schefenacker kennen
- Des Weiteren war Köhler im Research und Innovation Team von McKinsey in Hongkong tätig
- 2016 gründeten Köhler, Nothacker und Schefenacker gemeinsam Sennder