Preisverfall im Transport Ehrlich gegen Clever

Foto: Jan Bergrath

Der ruinöse Wettbewerb in Deutschland liegt nicht ausschließlich an den Frachtführern aus Osteuropa, sondern auch an den deutschen Speditionen, die sie selber einsetzen. Mit erschreckenden Konsequenzen. 

Diese Geschichte spielt irgendwo in Deutschland. Ort und Namen bleiben ungenannt, denn auch in der Logistik bekommen Whistleblower, die über die schlimmen Zustände in der Branche berichten, die Folgen zu spüren – und am Ende keine Aufträge mehr. Aber sie ist wahr. Es geht um ein Papierwerk und zwei regionale Transportunternehmen, die für dieses Papierwerk fahren. Es geht um den ruinösen Wettbewerb in Deutschland, der sich gerade erst wieder an den gesunkenen Preisen messen lässt. Und um die Tatsache, dass eines der beiden Unternehmen absehbar höchstwahrscheinlich Selbstmord auf Raten begeht. Zunächst, jedenfalls auf den ersten Blick, zulasten des anderen Unternehmens. Und beispielhaft für die gesamte deutsche Transportwirtschaft. Ich nenne die erste Firma daher "Spedition Ehrlich", die zweite "Clever Trans". Das Papierwerk ist, was es ist.

Ausschreibungen übers Internet

Früher war sicher nicht alles besser, aber früher hat morgens das Papierwerk bei der Spedition Ehrlich angerufen und die Transportaufträge des Tages verhandelt. Zu Preisen, mit denen die Spedition Ehrlich ihre respektable Flotte gut unterhalten und die Fahrer sogar über Tarif bezahlen konnte. Bei absoluter Einhaltung der Sozialvorschriften. Die Fahrer dankten es mit guter Leistung, sprich: Qualität: Sie kümmerten sich auch um die Lkw, sorgten dafür, dass immer ausreichend Ladungssicherungsmaterial an Bord war. Und vor allem konnten sie damit umgehen, um die tonnenschweren Rollen ausreichend zu sichern. Der persönliche Kontakt war durchaus wichtig. Da hat die Spedition Ehrlich dem Papierwerk auch schon mal aus der Patsche geholfen, wenn eine Ladung noch dringend raus musste. Auch darauf konnte sich das Papierwerk verlassen.

Mittlerweile sind wir in der Logistik 2.0. Oder ist es schon 4.0? Alles ist nur noch digital. Die Auftragsvergabe läuft über eine Ausschreibungsplattform, für die die Spedition Ehrlich auch noch eine Gebühr bezahlen muss. Es zählt nicht mehr die Zuverlässigkeit sondern allein der Preis. Der ist seither für die Papierfrachten sukzessive gesunken. Auch weil die Spedition Clever bei den Touren mitbietet. Allerdings, und so ist es kein Einzelfall, schickt Clever jetzt weniger eigene Lkw sondern vergibt die meisten Touren an Frachtführer aus Osteuropa. Die sind aufgrund ihrer Kostenstruktur billiger. Deshalb kann Clever auch billiger anbieten. Und sackt sich eine Provision ein. Die Spedition Ehrlich hat das zu spüren bekommen, als eine Tour über eine mittlere Distanz zu vergeben war. 550 Euro sollte der Preis sein. Bis auf 500 Euro ging Ehrlich noch runter, dann hätte das Unternehmen für den Transport praktisch noch draufgezahlt. Verkauft wurde sie am Ende für 380 Euro. Gefahren hat sie ein Frachtführer aus Osteuropa. 

Das alles erscheint nur auf den ersten Blick clever. Nicht nur in der Papierlogistik. Dass die dauerhafte Weitergabe auf Subunternehmer und möglicherweise deren Subunternehmer auf Dauer nicht ohne Probleme sein wird, ist nun auch dem Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung, BGL, klar geworden. Bemerkenswert finde ich, dass der BGL nun seinen Trusted Carrier eingeführt hat, um diesem beinahe faustischen Pakt einen legalen Riegel vorzuschieben. Ich bin sehr gespannt, ob sich die BGL-Mitglieder in Zukunft daran halten. 

Ungenügende Ladungssicherung

Wenn die Fahrer der Spedition Ehrlich ihrem Chef berichten, was nun im Papierwerk los ist, kann dieser nur noch entsetzt staunen. In der Warteschlange von 35 Lkw sind nur noch etwa zehn aus Deutschland. Ladungssicherung scheint ein Fremdwort zu sein. Neulich, so hat ein Fahrer erzählt, stand ein Kollege aus Osteuropa hinter ihm in der Reihe. Gefordert sind für die Rollen Langhebelratschen mit 500 daN, der Kollege hatte nur kurze Ratschen für 200 daN dabei. Der Staplerfahrer hatte sich offenbar geweigert, den Lkw zu beladen, schließlich trägt er ebenfalls eine Verantwortung, dass der Lkw korrekt gesichert ist.

Dennoch wurde der Lkw beladen, laut dem Fahrer hätte das Papierwerk die Verantwortung übernommen. Hauptsache, die Ladung ist raus. Denn letzten Endes hängt der Preis des Papiers auch vom Transport ab. Auch über abgefahrene Reifen der Frachtführer aus Osteuropa hat der Fahrer berichtet – und es gab wohl niemandem im Werk, der das beanstandet hat. Ich halte gerade das für absolut verantwortungslos, besonders jetzt ist Sommer. Denn schon mehren sich wie jüngst auf der A 1 die Unfälle, die auf Reifenplatzer zurückzuführen sind. 

Clever Trans und die Folgen des Preisdumpings 

Clevere Lösungen, die allein auf maximale Kostenminimierung basieren, sind nur solange clever, wie alle Beteiligten mitspielen. Darauf ist leider kein Verlass. Vor Jahren hat einmal eine große süddeutsche Silospedition eine Ausschreibung für den Transport von Zement für einen Zementkonzern gewonnen. Sie war deutlich billiger, wollte den Transport allerdings auf Subunternehmer abwälzen. Die haben allerdings abgelehnt. Nun musste der Silospediteur mit eigenen Lkw selber fahren – und rutschte wenig später in die Insolvenz.

Dasselbe Prinzip musste jetzt auch die Clever Trans spüren. Denn plötzlich wollten die super billigen Frachtführer aus Osteuropa nicht mehr für die super billigen Preise fahren und sich nicht mehr nur ausnutzen lassen. Sie haben erkannt, dass sie direkt an den Ausschreibungen teilnehmen können. Clever Trans musste also wieder mehr eigene Lkw einsetzen. Mit Folgen: Denn tiefe Preise, die man einmal verhandelt hat, bekommt man nicht mehr hoch. Die Spedition Ehrlich hat das gemerkt, weil sie plötzlich Bewerbungen von Fahrern der Clever Trans auf dem Tisch hatte – und auch Fahrer eingestellt hatte. Die sagten dann, dass die Fahrerlöhne dort nicht nur stagnierten, sondern dafür die Arbeitsleistung gestiegen war. Besonders an den Samstagen. Vorladen im Papierwerk. Auf Anweisung der Disposition fahren ohne Fahrerkarte, wenn die Lenkzeit aufgebracht war. Die Folge: hohe Fluktuation, schlechtere Fahrer, mehr Verschleiß an den Fahrzeugen, der Verlust des guten Namens. Dem Werk war es bislang egal. Papier ist schließlich geduldig.

Ehrlich währt am längsten

Die Spedition Ehrlich hat dem lokalen Gewerbeaufsichtsamt die Vermutungen über die Verstöße bei Clever Trans mitgeteilt. Das Amt hat bislang nichts unternommen. Keine Leute, soll es geheißen haben. Streng genommen steht nach der neuen Punkteregel aus Brüssel die Lizenz von Clever Trans auf dem Spiel, zumindest die des Verkehrsleiters. Allerdings scheint sich niemand von den Arbeitsschutzbehörden bislang darum zu kümmern. Irgendwann, so schätze ich, kracht das System zusammen. Dann wird das Jammern groß sein. Außer bei der Spedition Ehrlich: sie fährt weiter nur die Touren für die Preise die sie braucht. Und sie springt jetzt immer öfter ein, wenn andere Touren platzen. Derzeit könnte sie noch fünf weitere Lkw einsetzen. Aber jetzt bekommt sie keine Fahrer mehr. Jedenfalls keine guten und qualifizierten. Aber das ist eine andere Geschichte. 

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