Polen-Sprinter im NDR Lebensgefahr auf Autobahnen

Meinung

Totale Übermüdung, kaum Ruhezeiten und Marathonfahrten – das NDR-Magazin "Markt" beklagt für 2017 nach einer Sonderauswertung des Statistischen Bundesamtes einen Anstieg der Unfälle der sogenannten "Polen-Sprinter" um 40 Prozent. Kontrollen sind schwierig. Die unbedingt nötige Einführung eines digitalen Tachografen für diese Fahrzeugklasse liegt jedoch in der Zuständigkeit der EU.

Das Problem der Kleintransporter mit Dachschlafkabine, den sogenannten „Polen-Sprintern", ist seit Jahren bekannt. Auch ich habe immer wieder darüber berichtet, dass sie etwa den Regelungen der Kabotage unterliegen. Nun hatte sich kürzlich Christian Jung, Verkehrsexperte der FDP-Fraktion im Bundestag und zudem Kritiker der organisieren Kriminalität in der osteuropäischen Logistik sowie brennender ICE-Züge, in einer kleinen Anfrage zu den „fahrenden Zeitbomben Polen-Sprinter" an das Bundesverkehrsministerium gewandt.

Das wiederum fiel der Redaktion des NDR-Wirtschaftsmagazins „Markt" auf, sie suchten im Netz und landeten prompt bei meiner Kritik eines TV-Magazins über „Polen-Sprinter". Dort hatte ich vor allem die hohen Unfallzahlen hinterfragt. Es hieß seinerzeit, „dass Fahrer von Kleintransportern 50 Prozent häufiger an Unfällen beteiligt waren als Pkw". Das konnte selbst das Statistische Bundesamt in Wiesbaden (Destatis) auf Anfrage nicht nachvollziehen.

Anstieg der Unfälle von polnischen Kleintransportern um 40 Prozent

Dieses Bundesamt verfügt beim Thema Verkehr über ellenlange und schwer zu lesende Zahlenreihen zu jeder Art von Unfällen. Allerdings bedurfte es erst einer Sonderauswertung für die Redaktion der Sendung „Markt" des NDR, um in einer für das Zielpublikum gut gemachten achtminütigen Reportage unter dem Titel „Lebensgefahr auf der Autobahn" eine erschreckende Zahl zu Tage zu bringen: „Von 2016 auf 2017 ist die Zahl der schweren Autobahnunfälle mit in Polen zugelassenen Fahrzeugen dieser Klasse um 40 Prozent gestiegen." Es dauert also nicht lange, bis ein freier Mitarbeiter des NDR bei mir anrief und fragte, ob ich zu diesem Thema für ein Interview Zeit hätte. Und just an dem Tag, als ich dort auf dem SVG-Autohof Eifeltor vor der Kamera stand, raste wieder eines dieser Fahrzeuge auf der A 3 in ein Stauende.

Ein sachlicher und informativer Filmbeitrag

Ich habe den Beitrag nun gesehen, er ist ziemlich sachlich und informativ, die Gespräche der Co-Autorin mit einigen Fahrern auf Rastplätzen und vor einem Lager von Amazon zeigen deutlich, wie krass die Zustände in diesem aktuell nahezu unkontrollierbaren Gewerbe tatsächlich sind. Und tatsächlich ist es auch gelungen, für die breite Bevölkerung unter den Zuschauern ohne Kenntnis der komplexen Regelwerke für das Transportgewerbe zu erläutern, warum derzeit nationale Regelungen wie die Fahrpersonalverordnung nicht greifen. Denn dazu müsste diese Fahrzeugklasse von 2,8 bis 3,5 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht endlich einen digitalen Tacho bekommen, um die sogenannten „Lügenbücher", mit denen die Fahrer heute tricksen, aus der Welt zu schaffen.

Eine Begleitung einer BAG-Kontrolle hätte hier vielleicht noch zusätzliche Erkenntnisse gebracht. Auf meine Nachfrage hat mir heute das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) immerhin geschrieben, dass man seit Dezember 2017 Beförderungen durch Fahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht von bis zu 3,5 Tonnen hinsichtlich der Einhaltung der Kabotage-Vorschriften nach VO EG 1072/2009 kontrolliert. Nach Auswertung der aktuellen Kontrollergebnisse wurden hauptsächlich folgende Verstoßarten festgestellt:

- mehr als drei Kabotagebeförderungen im Anschluss an die grenzüberschreitende Beförderung,
- vor erster Kabotagebeförderung keine grenzüberschreitende Beförderung, sowie
- vorzulegende Nachweise nicht ordnungsgemäß oder fehlend.

Das sind ebenfalls die vorwiegend festgestellten Verstöße bei Kontrollen von Fahrzeugen mit einem zulässigen Gesamtgewicht mehr als 3,5 Tonnen. Von Lenkzeitverstößen ist keine Rede.

Es liegt an der EU, die Reglementierung der „Polen-Sprinter" voranzutreiben

Allerdings liegt für die Einführung des digitalen Tachografen kein Initiativvorschlag der EU-Kommission zugrunde. Das EU-Parlament hat den Antrag eingebracht, und wenn es in Brüssel bei den nun wieder aufgenommenen Gesprächen zum Mobilitätspaket vor Anfang 2019 keine Lösung gibt, wird es auch für diese Fahrzeugklasse keinen digitalen Tacho geben. Traurig, aber wahr.

Nur einen Aspekt habe ich in dieser Verbrauchersendung vermisst. Dass es eben auch an den Verbraucherinnen und Verbrauchern selbst liegt, wenn Sie sich zehn Paar Schuhe im Internet bestellen, sich kostenlos zuschicken lassen und am nächsten Tag neun davon wieder kostenlos zurücksenden. Dass auch Sie damit den brutalen Wettbewerb über den Preis in der Logistik anheizen, scheint ihnen egal zu sein. Ein polnischer Fahrer, so zeigt es der Film, hat nun nach wochenlangen Touren am Rande der Legalität die Konsequenz ergriffen und seinem Arbeitgeber gekündigt.

Auch der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) hat bereits reagiert. Er spricht von einer „sehr schönen Argumentationshilfe fürs Mobilitätspaket".

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