Jans Blog Eine lohnende Debatte zum Mindestlohn

Lkw und Pkw auf einer Autobahn Foto: Alev Atas/ETM

Beim eher launigen Truck Grand Prix über den Mindestlohn zu sprechen ist mutig. Doch die kontroverse Runde vor vielen interessieren Zuhörern hat unsere Diskussion gerechtfertigt.

Seit über einem halben Jahr gilt nun in Deutschland ein Mindestlohn von 8,50 Euro pro Zeitstunde für alle Branchen, in denen es keinen übergeordneten Flächentarifvertrag gibt. Also auch in der Transportbranche. Aber es gibt Probleme in der Umsetzung, sowohl im nationalen als auch im internationalen Vergleich. Das habe ich schon früh im FERNFAHRER beschrieben. Also auch ein sehr spannendes Thema für eine Runde beim diesjährigen Truck Grand Prix.
 
Die Gäste hatte ich schnell gefunden, wir besprechen uns oft zu aktuellen Themen. Es sind Jutta Steinruck (SPD), seit 6 Jahren im Europarlament und seit 2014 beschäftigungspolitische Sprecherin der Fraktion der europäischen Sozialdemokraten; Gewerkschaftsurgestein Sigurd Holler, seit 2001 Fachsekretär von Verdi im Bereich Postdienste, Speditionen und Logistik in Rheinland-Pfalz; Götz Bopp, seit 2003 Fachreferent in der Abteilung Industrie und Verkehr der IHK der Region Stuttgart, mittlerweile einer unserer Experten auf Eurotransport.de, Rolf Hamprecht, seit 1982 in vierter Generation Geschäftsführer der Spedition Hamprechtin Künzelsau sowie natürlich Udo Skoppeck, seit über 30 Jahren Lkw-Fahrer und vor zwei Jahren Gründer der Actie in die Transport Deutschland. Er steht stellvertretend für die Sorgen der deutschen Fahrer auf der Bühne.

Entscheidung aus Brüssel steht bevor

Die Moderation habe ich mir mit unserem Chefredakteur, Thomas Rosenberger, geteilt.
Die hohe Zuschauerbeteiligung am Stand und auch parallel dazu bei Facebook zeigt – das Thema brennt den Kollegen gewaltig unter den Nägeln. Bis mindestens Ende Juli ist der Mindestlohn für Fahrer im Transit durch Deutschland eigentlich noch ausgesetzt, derzeit läuft ein Vertragsverletzungsverfahren, weil sich, wie Steinruck erklärte, einige osteuropäische Verbände gegen die unverhältnismäßigen Kontrollen wehren. Ich rechne praktisch jeden Tag damit, dass aus Brüssel eine Entscheidung kommt. Aber einfach wird es nicht. Mittlerweile prüft die EU-Kommission offenbar die Antwort aus Berlin, das Bundesarbeitsministerium (BMAS) sei, so heißt es, in intensiven Gesprächen mit der Kommission, um eine Lösung zu finden.
 
Steinruck vertritt die Ansicht, der Mindestlohn sei europarechtskonform und basiert auf der bestehenden Entsenderichtlinie, was Udo Skoppeck  bezweifelt, denn ein rumänischer Lkw-Fahrer, der seinen Lebensmittelpunkt im Heimatland hat und etwa mit Schuhen von Bukarest nach Bochum unterwegs ist, sei eben nicht entsendet, sondern nur auf Dienstreise. Ob er also, wie Steinruck meint, für seine dann anteilige Fahrt in Deutschland den Mindestlohn bekommen muss, ist vorerst strittig. Sollte es also zwischen Brüssel und Berlin keinen baldigen Kompromiss geben, müsste der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine Entscheidung treffen.
 
Der Konsens hier: Fahrern, die Kabotagetransporte durchführen, steht auf alle Fälle der Mindestlohn zu. Leider beharrt das BAG gerade darauf, dass auch die Kabotage im Rahmen des Kombinierten Verkehrs weiterhin legal ist. Ob der Zoll allerdings seiner Kontrollaufgabe nachkommen kann, wenn die ausländischen Unternehmer vor Beginn der Tour nur ein Fax an den Zoll schicken müssen, das Monate später im Keller des Hauptzollamts gesucht würde, bezweifelt Götz Bopp. Für ihn ist das Gesetz sehr überhastet verabschiedet worden und teilweise nicht praktikabel.

Bürokratiemonster als Alibi

Ein heftiger Diskussionspunkt ist natürlich die Frage nach der Aufzeichnungspflicht, die von Unternehmern gerne als "Bürokratiemonster" bezeichnet wird. Prompt hat das BMAS reagiert, Andreas Nahles hat dem Druck der Wirtschaft nachgegeben und eine Änderung an den Mindestlohnvorschriften im Mindestlohngesetz (MiLoG) bekannt gegeben. Das heißt: Die bisherige Einkommensschwelle von 2.958 Euro wird dahingehend ergänzt, dass die Arbeitszeitaufzeichnungspflicht bereits dann entfällt, wenn das regelmäßige Arbeitsentgelt mehr als 2.000 Euro brutto beträgt und das sich hieraus ergebende Nettoentgelt jeweils für die letzten tatsächlich abgerechneten zwölf Monate regelmäßig ausgezahlt worden ist. Unverändert unterliegen Fahrer, die sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind und sich an die EU-Sozialvorschriften halten müssen, der Aufzeichnungspflicht.
 
Ich habe mal nachgerechnet: Bei legalen 208 Stunden im Monat sind es genau 1.768 Euro als Mindestlohn. Da ein Lkw-Fahrer aber legal bis zu 260 Stunden im Monat arbeiten darf, wenn es binnen vier Monaten einen im Paragraf 21 a des Arbeitszeitgesetzes verankerten Zeitausgleich auf durchschnittlich 48  Stunden pro Woche gibt, liegt die Schwelle für Fahrer eigentlich bei rund 2.200 Euro. Das ist ein durchaus üblicher Lohn in der Transportbranche. Daraus ergibt sich bei 260 Stunden ein Lohn von 8.46 Euro. Das läge unter dem MiLoG-Satz. Dummerweise verlangen immer mehr Unternehmen aber von ihren Fahrern, dass sie ohne Ausgleich bis zu 60 Stunden im Monat arbeiten.

Bereitschaftszeit und Mindestlohn

Das ist natürlich illegal. Aus dem Bundesarbeitsministerin heißt es nun dazu: "Abseits aller Dokumentationspflichten und ihrer praktischen Handhabung durch Fahrer und Auftraggeber bleibt es dabei: Pro Stunde sind 8,50 Euro fällig. Wird das nicht gezahlt, wird gegen geltendes Recht verstoßen, wo das festgestellt wird, wird empfindlich sanktioniert."  Der Haken liegt im Detail der Antwort versteckt: "Die Aufzeichnung von Überstunden nach dem Arbeitszeitgesetz soll nicht mehr durch den Zoll überprüft werden. Die nach dem Arbeitszeitgesetz bestehenden Verpflichtungen bleiben bestehen, werden aber wie früher ausschließlich durch die zuständigen Behörden kontrolliert." Dazu hat Bopp eine klare Meinung: "Wenn die Arbeitsschutzbehörden der Länder und Landkreise weiterhin so wenig Personal für Kontrollen einsetzen wie bisher, wird sich für die Fahrer nicht viel ändern. Und vor allem dann nicht, wenn sie auf Druck des Arbeitgebers ihre wahre Arbeitszeit auch noch durch eine falsche Bedienung des Tachos und unzureichende Arbeitszeitaufzeichnungen verschleiern."
 
Denn zum Mindestlohn zählt laut BMAS auch die tatsächliche Bereitschaftszeit, wie Bopp klarstellte. Über Versuche, den Mindestlohn in Deutschland zu umgehen, berichtete Sigurd Holler aus seiner täglichen Praxis. Es ist offenbar eine riesige Grauzone. Alles steht und fällt einerseits mit der der Frage, ob die Fahrer tatsächlich den Mut aufbringen, ihre Arbeitszeit korrekt im Tacho einzutragen, andererseits mit der Durchsetzung. Erschreckend daher der sehr mutige Publikumsbeitrag von Udo Paffrath, der konstatierte, dass manche Unternehmen Fahrer, die sich an das Arbeitszeitgesetz halten wollen, unter Druck setzen. Vor allem in den ersten sechs Monaten, der Probezeit. Mein derzeitiges Fazit ist also wenig überraschend: Nur mit konsequenten Kontrollen lässt sich garantieren, dass die Fahrer den Lohn bekommen, der ihnen mindestens zusteht.

Massive Drohungen gegen Camion Pro

Als Überraschungsgast kam kurzfristig schließlich noch Andreas Mossyrch von Camion Pro, der mit einer Flyer-Aktion die Fahrer aus Osteuropa aufklären will und einen Film fürs ZDF mitverantwortet hat. Er war im ZDF zu sehen. Die Autoren sprechen darin eine klare Sprache und reden von der Transportmafia im Osten  – nun steht der kleine engagierte Verband bereits von unlauteren Aggressoren aus Osteuropa massiv unter Druck. Kein Wunder – dort will niemand den Mindestlohn. Mossyrch's  Erkenntnis aus einer Umfrage unter osteuropäischen Fahrern: Bislang hat noch keiner den Mindestlohn erhalten. Und viele Lohnmodelle basieren auf Leistungsbasis. Sie sind damit nach EU-Recht illegal. Unterwegs ist das von der Polizei kaum zu erkennen. Hier habe ich bereits in meinem letzten Kommentar geschrieben, dass dieser Gesetzesverstoß leider nur in den Ländern, wo die Spedition sitzt, geahndet oder ganz abgestellt werden kann. Doch danach sieht es derzeit nicht aus. 

Vielen Dank für die interessanten Beiträge

Mittlerweile ist auch amtlich, dass das Bundesarbeitsministerium in Berlin auf den blauen Brief geantwortet hat, man sei, so heißt es, in intensiven Gesprächen mit der EU-Kommission, um eine Lösung zu finden. Ich persönlich fürchte, dass sich das EU-Recht am Ende durchsetzen wird, und das bedeutet dann: doch kein Mindestlohn für Fahrer aus Osteuropa, wenn diese im Transit durch Deutschland und im bilateralen Transport unterwegs sind. Denn wenn das BMAS hier, leider, nicht nachgibt, landet der Mindestohn vor dem EuGH. Und der müsste sich, laut den Statuten der EU, für den freien Binnenmarkt und die Freiheit der Dienstleistungen entscheiden. Es bleibt also spannend.

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