Pierburg-Werk Niederrhein Automobilzulieferer setzt auf Nachhaltigkeit

Pierburg-Werk Niederrhein Foto: Clemens Hirschfeld 11 Bilder

Nachhaltigkeit spielt für Automobilzulieferer Pierburg eine zentrale Rolle, ist das Unternehmen doch spezialisiert auf Komponenten zur Schadstoffreduzierung.

Ein Nebenarm des Rheins gräbt sich in die Betonwüste des Ruhrgebiets. Auf einer Hafenmole, direkt gegenüber der Neusser Innenstadt, thront das neue Pierburg-Werk Niederrhein. Davor lagern, auf mehreren Paletten fein säuberlich gestapelt, glänzende Metallblöcke. Sie muten wie Silberbarren aus einem Banktresor an und bilden einen harschen Kontrast zum tristen, smogartigen Hochnebel, der wieder einmal über der Gießerei im Neusser Hafen liegt. Die Zufahrt zur ersten Hafenmole führt vorbei an haushohen Ölmühlen. Auf der schmalen Straße verkehren täglich mehr als 100 Lkw. Einige liefern besagte Blöcke aus Aluminium für die hauseigene Gießerei, aus denen unter anderem Kühlmodule von Abgasrückführungssystemen gefertigt werden.

Auch 150.000 Magnetventile, die hier täglich produziert werden, verlassen das Werk auf diesem Weg. Entsprechend eng geht es zu, denn auch vor den Ölmühlen und am angrenzenden Lebensmittel-Werk herrscht reger Lieferverkehr. Hinzu kommt Pendlerverkehr zu jedem Schichtwechsel. Ein extra eingerichteter Shuttle-Dienst bringt Mitarbeiter aus dem 40 Kilometer entfernten, ehemaligen Gießerei-Standort Nettetal nach Neuss.

Neues Werk entspricht strengen Nachhaltigkeitskriterien

Der Großteil der rund 700 Angestellten kommt aber über die eigens errichtete Fußgängerbrücke, welche die Hafenmole mit der Neusser City verbindet. Von hier hat man eine tolle Sicht auf die Stadt und den neu entstandenen Uferpark. Die Stadt Neuss hat entlang des Molenufers junge Bäume gepflanzt, Spazierwege, Spiel- und Sportplätze angelegt, die nun das 65.000 Quadratmeter große Werksgelände umringen. Seit den 90er-Jahren lag die schmucklose Industriefläche im Neusser Hafen brach, bis Pierburg das Gelände kaufte. So entstand im bis dahin farblosen Neusser Hafen trotz all der Industrie eine grüne Naherholungsinsel. "Als Automobilzulieferer, spezialisiert auf Komponenten zur Schadstoffreduzierung und zur Verbrauchsminderung, ist es für uns selbstverständlich, dass auch unser neues Werk strengen Nachhaltigkeitskriterien entsprechen muss", sagt Pierburg-Chef Olaf Hedden.

In der Tat dürfte der Pierburg-Bau in Neuss das erste Produktionswerk mit einer Gießerei sein, das eine Zertifizierung nach aktuellem Standard erhält. So unterschreitet das Gesamtbauwerk die Anforderungen der Energiesparverordnung an einen Neubau um mehr als 25 Prozent. Rund 50 Millionen Euro hat der Werksneubau im Neusser Hafen gekostet, der nun das alte Neusser Magnetventil-Werk und die Gießerei aus Nettetal in sich vereint. Sichtbar wird der Nachhaltigkeitsanspruch des Rheinmetall-Tochterunternehmens schon im Foyer. Wo den Besucher in anderen Werken nur metallisches Grau in Grau entgegenschlägt, stehen weiße Birkenholzstämme Spalier. Auf ihnen thronen zahlreiche Motorenkomponenten – vom VW-Vergaser aus den 60er-Jahren bis hin zum Ansaugkrümmer eines aktuellen AMG-Motors. Sie bilden gleichzeitig einen historischen Querschnitt durch die Geschichte von Pierburg und Kolbenschmid, die sich 1997 zu KSPG zusammenschlossen.

Rund 25.000 Quadratmeter Produktionsfläche

Den langen Flur zur lichtdurchfluteten Kantine säumen quadratische Wand-Holzkästen. In den würfelartigen Schaukästen posieren Ventile vor einem tiefgrünen Moosteppich. Hinter der Kantine beginnt der eigentliche Produktionskomplex. Das Werk verfügt über rund 25.000 Quadratmeter Produktionsfläche, die sich in vier große Bereiche untergliedert: Gießerei, Bearbeitung, Montage und Logistik sind jeweils klar voneinander abgrenzt. In der Gießereiluft liegt ein feiner Sprühnebelschleier. "Das zerstäubte Wasser dient der effektiven Kühlung der Gießmaschinen", erklärt Rolf Linsen, Leiter der Gießerei. Die Maschinen lärmen. Stöpsel für die Ohren sind ebenso Pflicht wie der Sicherheitsabstand zu den Arbeitsbereichen, der durch leuchtend gelbe Streifen am Boden gekennzeichnet ist.

In der Halle herrscht geschäftiges Treiben. An den meterhohen Gießmaschinen arbeitet blau gekleidetes Personal. Vor drei fast bis zur Decke reichenden Schmelzöfen im hinteren Teil der Halle stehen mehrere Paletten mit Aluminiumbarren darauf. Sie bestehen aus drei unterschiedlichen Legierungen und warten hier auf ihre Einschmelzung. Am unteren Teil der Schmelzöfen entnimmt ein Roboter den Schmelztiegel mit dem rund 700 Grad heißen, flüssigen Aluminium. Er befördert es zu einer der Gießmaschinen, wo die Legierung mit bis zu einhundert Bar in eine Form gespritzt wird. Es knallt laut – nicht ohne Grund spricht man vom Gießschuss. "Je nach Anforderung an das Produkt lässt sich die Gussform erhitzen oder kühlen. Auch ein Gießen im Vakuum ist möglich", erläutert Linsen.

Auch die Gießerei ist auf Nachhaltigkeit ausgelegt

Letzteres Gießen dient zur aktiven Entlüftung des Formhohlraums und verringert Lunker. Anschließend landen die Aluminiumteile in einem Kühlkorb. Bereits an dieser Stelle überprüfen Messgeräte automatisch, ob die Qualitätsanforderungen eingehalten wurden. Misslungene Gussteile werden sofort aussortiert und anschließend vollständig wiederverwertet. Genau wie überschüssiges Material, das beim Gießverfahren immer entsteht, werden die Aluminiumteile einfach erneut eingeschmolzen. Ein Ingenieur überwacht den Prozess und justiert die Maschinen bei Bedarf nach. Die Gießerei ist auf Nachhaltigkeit ausgelegt: So verfügt das Unternehmen über eine effektive Wärmerückgewinnung in der Druckluftanlage und nutzt die Abwärme der Schmelzöfen.

Nachdem die gegossenen Bauteile erkaltet sind, befreien sie Stanzen von überstehendem Material. Arbeiter prüfen die Gussteile, entgraten und transportieren sie zur nächsten Station. Heute entstehen in der Gießerei drei Bauteile, die sich später zu einem Kühlermodul für die Abgasrückführung des Deutz-Motors TCD 2.9 zusammenfügen – der Dieselmotor wird unter anderem in Teer- oder Landmaschinen eingesetzt. "Entsprechend Auslastung und Auftragslage können die Maschinen binnen weniger Stunden umgerüstet werden und andere Teile herstellen", erklärt Linsen.

Bauteile kommen in spezielle Mini-Waschanlage

Durch eine kleine Tür verlassen wir die Gießerei. Im angrenzenden Hallenteil erfolgt die mechanische Bearbeitung. Hier ist es deutlich leiser, aber trotzdem nicht weniger geschäftig. Das Atmen fällt leichter. Die Arbeitsbereiche sind viel besser zu überblicken, da die Maschinen zumindest in der Höhe kleiner ausfallen als die massiven Gießmaschinen. Damit die drei Komponenten der Kühlerkassette nun zusammengefügt werden können, müssen Arbeiter jetzt die Schweißphasen vorbereiten. Die Bauteile werden dazu an den Stirnflächen abgeschliffen, sodass diese dann passgenau ineinandergreifen. Nach jedem Arbeitsgang wandern die Bauteile in eine spezielle Mini-Waschanlage. "So lassen sich Verunreinigungen weitgehend verhindern", erklärt Linsen, der auch die mechanische Bearbeitung verantwortet.

Um die Bauteile der Kühlkassette zu verbinden, setzt Pierburg ein patentiertes Reibrühr-Schweißverfahren ein. Die Schweißanlagen haben die Ausmaße von Eisenbahnwaggons und erstrecken sich wie ein Güterzug durch die gesamte Halle. Wie auf einem Verladebahnhof können große Teile mit einem mobilen Kran bewegt werden. Vor den Schweißgeräten stehen die Mitarbeiter auf weichen Lochgummimatten. Die sind rutschfest und gelenkschonend. Letzteres wird spürbar, wenn man selbst sieben bis acht Stunden am Tag einer stehenden Tätigkeit nachgeht.

30 Sekunden bis zur perfekten Verbindung der Einzelteile

Die Portaltüren der Schweißmaschine öffnen sich. Ayse Zorlu setzt die Kühlrippen in die untere Gehäusehälfte ein. Dann spannt sie die Bauteile mit zwei Halteklammern in der Maschine ein. Sie drückt den Startknopf auf dem Bedienpult an der Außenseite der Maschine – die Türen schließen sich. Vollautomatisch taucht der sogenannte Pin in den Fügespalt zwischen den zwei Komponenten ein. Der Pin rotiert mit hoher Geschwindigkeit, wodurch sich das Alu bis kurz unter den Schmelzpunkt erhitzt. Kein Lichtbogen ist zu sehen, der Pin wirkt eher wie ein Bohrer, der den Spalt entlangfährt. Die Haltevorrichtung ist beweglich gelagert und dreht die Bauteile in die jeweils erforderliche Position. Nach nur 30 Sekunden sind die Einzelteile mit einer perfekten Schweißnaht verbunden. Ayse Zorlu entnimmt die halbe Kühlkassette und kontrolliert die komplett plane Schweißstelle. "Von Hand zu schweißen würde deutlich länger dauern und die Qualität wäre schlechter", erläutert Rolf Linsen. Stichprobenartig werden die Schweißnähte auf Lufteinschlüsse und Dichtheit untersucht. Bevor die Module die Bearbeitungshalle verlassen, wandern sie noch in eine Druckspülanlage. Wasser spritzt an die Plexiglasscheibe, als das Bauteil mit hohem Druck von innen gereinigt wird. "So stellen wir sicher, dass der Innenraum frei von Spänen ist", erläutert Linsen.

Zur weiteren Verarbeitung wandert das Kühlmodul in den sogenannten Supermarkt in der benachbarten Montageabteilung. Ähnlich einem Einkaufswagen-Stellplatz beim Discounter stehen hier, auf mehreren Spuren nebeneinander, rollbare Gitterboxen mit den fertigen Einzelteilen parat. Die Montagemannschaft bringt die Teile zu den U-förmig aufgebauten, teilautomatisierten Montageanlagen. Dort arbeiten bei hoher Auslastung bis zu zwei Personen an der Montagestation. Heute aber übernimmt Guido Funken die Fertigmontage allein.

Bis zu 80.000 Einheiten produziert das Werk im Jahr

Dazu trägt ein Roboterarm zunächst einen dunkelgrauen Zweikomponenten-Silikonstreifen auf das Bauteil auf. Das Silikon ist extrem temperaturbeständig und sorgt als Dichtung später dafür, dass keine Kühlflüssigkeit austritt. Funken begleitet das Bauteil anschließend im Uhrzeigersinn von Station zu Station. Zunächst wird ein Kühlmittelrohr eingepresst, bevor er die einzelnen Bauteile miteinander verschraubt. Ein kurzer Blick zum Bildschirm über dem Montageplatz zeigt ihm, dass er in der Zeitvorgabe liegt. Ein weiterer Bildschirm an der Wand informiert derweil über demnächst anstehende Betriebsratsversammlungen in der Neusser Stadthalle. Neben nachhaltigem Handeln sind Pierburg Transparenz und klare Kommunikation wichtig.

Das nur 30 Zentimeter lange Kühlmodul für das Abgasführungssystem des Deutz-Dieselmotors ist fertig. In der Logistik werden die Module nun für den Transport vorbereitet. Bis zu 80.000 Einheiten produziert das Werk Niederrhein im Jahr. Verpackt in schmucklose graue Kartons verlassen die immer noch silbrig glänzenden Aluminiumbauteile Hafenmole eins, auf derselben schmalen Straße, auf der sie als silberne Barren angeliefert wurden.

Dieser Artikel stammt aus diesem Heft
Lao 10 2016 Titel
lastauto omnibus 10 / 2016
21. September 2016
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