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Neue EU-Verordnung ab Januar Punkte aus Brüssel

BAG, Autobahn, Kontrolle Foto: BAG

Ab Januar 2017 tritt eine neue EU-Verordnung in Kraft – im äußersten Fall droht Entzug der Zuverlässigkeit.

Die Kontrollstatistik des Bundesamts für Güterverkehr (BAG) für 2015 ist durchaus besorgniserregend. Insgesamt wurden 511.592 Lkw kontrolliert, 203.019 oder fast 40 Prozent aus Deutschland und 308.573 oder rund 60 Prozent aus dem Ausland. Obwohl also in der Summe mehr Lkw aus dem Ausland kontrolliert wurden, liegen in den meisten Kategorien deutsche Frachtführer und deren Fahrer vorne.

Erschreckend: Insgesamt macht das nicht ordnungsmäßige Verwenden von Fahrerkarten oder Schaublättern mit 49,84 Prozent den größten Anteil aus, dabei wurden 57.010 deutsche und 26.981 ausländische Fahrer erwischt. Das ist ein kein gutes Vorzeichen für das kommende Jahr. Zum 1. Januar 2017 tritt die neue EU-Verordnung zum Risikoeinstufungsverfahren, längst auch als sogenannte Todsündenliste bekannt, in Kraft. In der Liste sind rund 130 Verstöße aufgeführt, dabei zählt etwa der Missbrauch von Fahrerkarten zur Gruppe der schwersten Verstöße. 

Die Liste beruht auf der Verordnung (EU) 2016/403 der Kommission vom 18. März 2016 zur Ergänzung der Verordnung (EG) Nr. 1071/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die Einstufung schwerwiegender Verstöße gegen die Unionsvorschriften, die zur Ab­erkennung der Zuverlässigkeit der Kraftverkehrsunternehmer führen können. Diese Zuverlässigkeit ist wie die finanzielle Leistungsfähigkeit und die fachliche Eignung des Verkehrsleiters Bedingung für die Erteilung einer Transportlizenz. Der Verkehrsleiter wird von einem Unternehmen des gewerblichen Güter- oder Personenverkehrs benannt und hat die Leitung der Verkehrstätigkeiten eines Unternehmens inne. Dazu zählt unter anderem die Disposition von Ladung und Fahrpersonal ebenso wie die Einhaltung von Unfallverhütungsvorschriften und Ladungssicherung. 

Unternehmen müssen bei Verstößen bangen

"Wäre das Risiko-Einstufungssystem mit einer engen Auslegung bereits für diese Kontrollperiode zur Anwendung gekommen, müssten in Deutschland allein aufgrund nicht verbauter Kon­trollgeräte knapp 260 Verkehrsleiter beziehungsweise Unternehmen um ihre Zukunft bangen, da auch dieser Verstoß als schwerster Verstoß angesehen wird", sagt Götz Bopp, Experte für alle Fragen zu Sozialvorschriften in der Abteilung Industrie und Verkehr der IHK Region Stuttgart. "Wenn in nur zehn Prozent dieser Verstöße ein schwerster Verstoß realisiert wurde, wäre jedes 20. im Bereich Verkehr und Lagerei tätige Unternehmen ein Kandidat für den Marktaustritt."

Ein Bund-Länder-Ausschuss arbeitet aktuell daran, das von Brüssel vorgegebene Punktesystem für die hiesige Verwaltungspraxis zu formulieren. Ab Januar 2017 gilt also aller Voraussicht nach folgende Rechenart: Für einen schweren oder schwerwiegenden Verstoß gibt es je drei Punkte, für einen schwersten Verstoß fünf Zähler. Als Unternehmen mit einem erhöhten Risiko gilt dann, wer als Firma mit bis zu zehn Lkw fünf Punkte, mit bis zu 50 Lkw acht Punkte und mit mehr als 50 Lkw elf Punkte im Laufe eines Jahres eingesammelt hat.

Heißt also: Bei den schwersten Verstößen (MSI) reicht "bereits ein einmaliger Verstoß, um ein entsprechendes Entzugsverfahren einzuleiten", sagt Rechtsanwalt Matthias Pfitzenmaier von der Kanzlei Dietz, Tonhäuser & Partner aus Heilbronn. Daneben gibt es schwere sowie schwerwiegende Verstöße (SI und VSI). "Liegen im Schnitt pro Fahrer drei schwere oder schwerwiegende Verstöße vor, führt dies zur Einleitung eines nationalen Verfahrens zur Beurteilung der Zuverlässigkeit."

Große Firmen gefährdeter

Je größer das Unternehmen ist, erklärt der IHK-Experte Bopp, desto größer ist also auch die Gefahr, dass schon zwei oder drei Fahrer, die besonders deutlich gegen die Sozialvorschriften verstoßen, das Unternehmen in Gefahr bringen, die Lizenz zu verlieren. "Nach aktuellem Kenntnisstand muss allerdings davon ausgegangen werden, dass die Systematik der Todsündenliste nur gegenüber den Schwarzen Schafen greift", sagt Bopp. "Dass kleinere und kleinste Verstöße, die sich in unserer hochverdichteten Arbeitswelt und dem zumindest in und um die Ballungsgebiete hoffnungslos überlasteten Straßennetz leider nicht immer vermeiden lassen, letztlich die Existenz der Unternehmen gefährden, steht nicht zu befürchten."

Der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) hält die Begriffe "Missbrauch bei Fahrerkarten" und "Todsünden" in dem Zusammenhang für etwas übertrieben. "Wenn Sie sich alleine vergegenwärtigen, dass der Digitacho mit mehreren Dutzend Piktogrammen aufwarten kann, die Fahrer jedoch in der Mehrzahl nicht über ein abgeschlossenes Mathematikstudium verfügen, können Sie schon mal viele Verstöße unter Fehlbedienung aus Unkenntnis wegbuchen", heißt es diesbezüglich vonseiten des Verbands.

Doch damit nicht genug: "Wenn Sie auch noch dagegenhalten, wie lasch deutsche Strafverfolgungsbehörden Fahrer zur Verantwortung ziehen, die mit wirklich krimineller Energie sicherheitsgefährdende Umbauten an ihren Fahrzeugen vorgenommen haben, werden Sie feststellen, dass wir Probleme in diesem Land an ganz anderer Stelle haben als bei Fahrern, die mal vergessen haben, übers Wochenende die Fahrerkarte zu ziehen."

Die Schulung aller Mitarbeiter, auch der im Unternehmen Verantwortlichen und der Disponenten, ist ein erster wichtiger Schritt, um in Zukunft nicht als Risikobetrieb zu gelten, der mit einer erhöhten Kontrolldichte rechnen muss. "Unabhängig davon kann es nicht schaden, einen Verkehrsleiter in Reserve vorzuhalten."

Die Todsündenliste

  • In der Verordnung sind Verstöße aus zehn Rechtsgebieten definiert, unterteilt in drei Kategorien je nach Schweregrad  entsprechend der von ihnen ausgehenden potenziellen Gefahr tödlicher oder schwerer Verletzungen. Die Liste ist unter "Verordnung (EU) 2016/403" im Internet hinterlegt, etwa unter http://eur-lex.europa.eu/
  • Als schwerwiegender Verstoß (Serious Infringement, SI) gilt etwa die Überschreitung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit von 48 Stunden, sofern von der Möglichkeit zur Erhöhung auf 60 Stunden bereits Gebrauch gemacht wurde
  • Ein sehr schwerwiegender Verstoß (Very Serious Infringement, VSI) ist etwa die Überschreitung der wöchentlichen Lenkzeit auf 65 bis 70 Stunden
  • Als schwerster Verstoß (Most Serious Infringement, MSI) wird die Verwendung einer Fahrerkarte durch einen Fahrer, der nicht der Inhaber ist, gewertet  
Dieser Artikel stammt aus diesem Heft
Titel ta 17 2016
trans aktuell 17 / 2016
26. August 2016
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