Mobilitätspaket Außer Reichweite

Wochenendruhezeit auf dem Rasthof Foto: Foto: Jan Bergrath
Meinung

Es ist ein Konstruktionsfehler der europäischen Union, dass die EU-Kommission nur eine bescheidene Handhabe hat, wenn einzelne Staaten Richtlinien zwar umsetzen, sie aber nachher nicht mit Leben füllen – sprich wirklich umsetzen. Das wird aller Voraussicht nach auch der Fall sein, wenn ausgerechnet jene Staaten, die in Brüssel bis zum Schluss gegen das Mobilitätspaket abgestimmt haben, künftig das Sozialdumping ihrer Transportflotten in Westeuropa bekämpfen sollen.

Gut, es gibt immer noch die theoretische Möglichkeit, dass in dieser Woche bei der finalen Abstimmung zum Mobilitätspaket im Europäischen Parlament die überwiegend aus Südost- und Osteuropa stammenden Gegner der über drei Jahre mühsam geführten Verhandlungen 353 nötige Stimmen von insgesamt 705 Abgeordneten zusammenbekommen, um das Projekt zu kippen. Aber nachdem bei der letzten Sitzung der Ausschüsse noch einmal 82 von nunmehr mehr als 1.500 Änderungsanträgen abgelehnt wurden, rechnet der deutsche EU-Parlamentarier Ismail Ertug (SPD), der die Verhandlungen entscheidend mitgeführt hat, nicht mehr mit einem Scheitern auf den letzten Metern.

In weiser Voraussicht hat das Team von FERNFAHRER live Ertug und weitere Gäste daher am 9. Juli, wenn das Ergebnis offiziell verkündet werden soll, ab 17 Uhr in die Sendung zum Mobilitätspaket eingeladen. Siehe dazu auch den Terminhinweis am Ende des Blogs. Wir wollen darüber diskutieren, wie die einzelnen Maßnahmen, die in verschiedenen zeitlichen Stufen in Kraft treten, in der Praxis umgesetzt und konsequent kontrolliert werden, damit aus dem komplexen Maßnahmenpaket am Ende kein Papiertiger wird.

Schon wird mit dem EuGH gedroht

Das Mobilitätspaket ist noch gar nicht beschlossen, da droht aus den Reihen der Gegner wie dem Rumänen Marian-Jean Marinescu, dem verkehrspolitischen Koordinator der EVP-Fraktion, bereits der Gang zum Europäischen Gerichtshof (EuGH). Marinescu hält das Paket für puren Protektionismus westlicher EU-Staaten samt ihrer Gewerkschaften und Verbände sowie für unvereinbar mit den grundsätzlichen Pfeilern der EU, wie dem freien Binnenmarkt und der Dienstleistungsfreiheit. Vor allem die Rückkehrpflicht der gebietsfremden Lkw nach spätestens acht Wochen an den meist osteuropäischen Standort, wo sie gemeldet sind, ist den Gegnern aus diesen Ländern ein massiver Dorn im Auge.

Leer zurück nach Südosteuropa

Und in der Tat: Es ist schon einer der größten Widersprüche der „Brüsseler Kompromisse“, dass die aktuellen Regeln der Kabotage von der EU-Kommission immer damit begründet wurden, Leerfahrten zu vermeiden. Und nun führt ausgerechnet im Bereich des internationalen Kombinierten Verkehrs, der zu massiven Wettbewerbsnachteilen lokaler Speditionen wie Köppen in Duisburg führt, diese Rückkehrpflicht von geschätzt mehr als Tausend in Osteuropa zugelassenen Zugmaschinen allein entlang der Rheinschiene zur paradoxen Situation, dass diese mangels verfügbarer Ladungen leer an die Standorte zurückkehren müssen. Dass die großen internationalen Logistiker wie Lkw Walter (A) oder Samskip (NL) dabei überwiegend kleine Frachtführer aus Bulgarien und Rumänien einsetzen, verschärft diesen vorhersehbaren Umweltirrsinn.

Drohende Massenpleite

Das wiederspricht natürlich dem „Green Deal“ der EU-Kommission, die allerdings im aktuellen Mobilitätspaket nicht mehr eingreifen kann. Sollte dieser Teil des Mobilitätspaketes tatsächlich auch konsequent acht Wochen nach Inkrafttreten kontrolliert werden, sind nach meiner Prognose diese Frachtführer pleite und vom Markt verschwunden, bevor der EuGH nur einen Gedanken an den gezielten Protektionismus verschwendet hat. Ob deutsche Frachtführer die fehlenden Frachtführer in den gut zehn Tagen, wo diese sinnlos leer hin und her pendeln, ersetzten können und wollen, bleibt die große Frage. Ich gehe davon aus, dass Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), der nun während seiner laufenden Ratspräsidentschaft das Mobilitätspaket auch als großen Erfolg Deutschlands im EU-Rat verkaufen wird, den Vor- und Nachlauf im KV nicht als Kabotage einstufen wird. Denn dann wird es richtig kompliziert und unkontrollierbar. Scheuer hat ja noch nicht einmal das Zusatzprotokoll in der Verordnung (EG) 1072/2009 (Kabotage) für den Einsatz des E-CMR umgesetzt, der die Kontrollen für das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) erheblich erleichtern würde.

Der große Wirrwarr

Bereits in meinem Blog „Die neuen wöchentlichen Ruhezeiten“ habe ich beschrieben, dass das Mobilitätspaket im Bereich der Lenk- und Ruhezeiten, also den „Sozialvorschriften“ aus der VO (EG) 561/2006, nun eine Trennung zwischen dem nationalen, also hier dem deutschen, und dem internationalen Fernverkehr vollzogen hat, die einzig dem Ziel dient, die Politiker der Beitrittsländer aus Ost- und Südosteuropa bei der Stange zu halten. Ich muss meinen ausführlichen Blog hier nicht noch einmal wiederholen, aber um den Wirrwarr an einem einfachen Beispiel zu beschrieben: Bleibt es wahrscheinlich dabei, dass Deutschland den Vor- und Nachlauf im Kombinierten Verkehr weiter als Teil eines internationalen Transportes betrachten wird, dann dürfen die mazedonischen Fahrer der bulgarischen Zugmaschinen etwa im Logport von Duisburg oder im Westhafen von Herne zweimal hintereinander eine reduzierte wöchentliche Ruhezeit im Lkw einlegen, bevor sie am Ende der dritten Woche – in einem Bezugsrahmen von vier Wochen - ihre wöchentliche Ruhezeit sowie den Ausgleich in der „Heimat“ verbringen dürfen. Wird der KV doch als Kabotage und damit als nationaler Nahverkehr deklariert, müssen sie am Wochenende ins Hotel oder in eine geeignete Unterkunft vor Ort.

Kaum zu kontrollieren

Wie das BAG diese Aufteilung auf Dauer wirklich auseinanderhalten soll, ist mir ein Rätsel. Zumal es sich nun herausgestellt hat, dass die Fahrer ja gar nicht vom Unternehmer auf ihre Kosten in die „Heimat“ zurückgeholt werden müssen, wie man es ihnen versprochen hat. Wer es nicht glaubt, für den habe ich den Zusatz 8a in der aktuell überarbeiteten VO (EG) 561/2006 herausgesucht. Dort heißt es: „Verkehrsunternehmen planen die Arbeit der Fahrer so, dass jeder Fahrer in der Lage ist, innerhalb jedes Zeitraums von vier aufeinanderfolgenden Wochen zu der im Mitgliedstaat der Niederlassung des Arbeitgebers gelegenen Betriebsstätte des Arbeitgebers, der der Fahrer normalerweise zugeordnet ist und an der er seine wöchentliche Ruhezeit beginnt, oder zu seinem Wohnsitz zurückzukehren, um dort mindestens eine regelmäßige wöchentliche Ruhezeit oder eine wöchentliche Ruhezeit von mehr als 45 Stunden als Ausgleich für eine reduzierte wöchentliche Ruhezeit zu verbringen.“

Ein Warnhinweis am Rande: alle neuen Regeln im Bereich des Fahrpersonalrechts treten als Verordnung bereits 20 Tage nach der Veröffentlichung im Amtsblatt der EU in Kraft, auch in Deutschland also etwa Ende August/Anfang September. In der Sendung 25 von FERNFAHRER live haben die neuen Regeln in einer Diskussion mit Götz Bopp von der IHK der Region Stuttgart bereits für verständliche Verwirrung bei den deutschen Fahrern geführt, die im internationalen Transport unterwegs sind.

Der neue Artikel 8a der VO (EG) 561/2006 bedeutet im Klartext, dass etwa die ukrainischen und weißrussischen Fahrer, die immer öfter für die litauische Großspedition Girteka oder die Niederlassungen der deutschen Hegelmann Express in Litauen und Polen monatelang in Westeuropa unterwegs sind, nur bis dorthin auf Kosten der Firmen zurückgeholt werden müssen. Wie sie dann von dort in ihre Heimat kommen, ist ihre Sache. Und dass sie dann im Rahmen ihres verpflichtenden Freizeitausgleichs wohl nicht für diese Freizeit bezahlt werden, ist dem Sozialsystem der osteuropäischen Länder zu verdanken, das anders als in Deutschland keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder Urlaub kennt. Zusatz: Bei einem extrem hohen Anteil von Nettospesen nur bei gefahrenen Touren fallen sie auf den nationalen Mindestlohn zurück.

Kaum eine Handhabe deutscher Kontrollbehörden

Auch die erste gemeinsame Sonderkontrolle von BAG und Zoll unter anderem im Logport von Duisburg belegt angesichts der offensichtlichen Hilflosigkeit des Zolls bei einem ukrainischen Fahrer von Hegelmann, wie fragil auch das Mobilitätspaket eigentlich im Grunde sein wird. Es wimmelt nur so von „Kann“- und „Sollte“ - Bestimmungen, die wohl verpuffen werden, solange die wirklich entscheidenden Betriebskontrollen in den Ländern Osteuropas stattfinden müssen. Bei den seltenen Unterwegskontrollen droht allenfalls eine Sicherheitsleistung, in Belgien etwa werden höhere Bußgelder aus der Portokasse bezahlt. Schnell und bargeldlos.

Mein vorläufiges Fazit: Es ist ein Konstruktionsfehler der Europäischen Union, dass die EU-Kommission nur eine bescheidene Handhabe hat, wenn einzelne Staaten Richtlinien zwar umsetzen, sie aber nachher nicht mit Leben füllen – sprich wirklich umsetzen. Das wird aller Voraussicht nach auch der Fall sein, wenn ausgerechnet jene Staaten, die bis zum Schluss gegen das Mobilitätspaket abgestimmt haben, künftig das Sozialdumping ihrer Transportflotten in Westeuropa bekämpfen sollen.

Terminhinweis:

Am Donnerstag, dem 9. Juli, diskutiert in einer etwas größeren Runde der EU-Parlamentarier Ismail Ertug mit Prof. Dirk Engelhardt, dem Vorstandsprecher des BGL, Bernd Krekeler, dem Abteilungsleiter Kontrolldienste beim BAG und Tim Segger, dem stellvertretenden Abteilungsleiter Ordnungsrecht / Marktzugang beim BAG, dem Spediteur Jochen Köppen aus Duisburg, dem Lkw-Fahrer Udo Skopppeck sowie dem niederländischen Gewerkschafter Edwin Atema.

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