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Mindestlohn Schwer zu tragen

Mindestlohn, Unternehmerhaftung Foto: Götz Mannchen, Montage: Jan Grobosch

Im Juli hat der Bundestag den Mindestlohn beschlossen. Damit einher geht eine Neuregelung der Unternehmerhaftung, die bei den Branchenverbänden AMÖ, ASL und DSLV nicht gut ankommt.

Auf ganze 90 Seiten hat sich der Vorentwurf der Drucksache 18/1558 zum Tarifautonomie-Stärkungsgesetz der Drucksache 18/1558 ausgedehnt. Die Ziele waren klar: "Die Tarifautonomie zu stärken und angemessene Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sicherzustellen", so der Gesetzestext. Drei Branchenverbände sind "not amused" über das Gesetz. Dabei stören sich der Deutsche Speditions- und Logistikverband (DSLV) und der Arbeitgeberverband Spedition und Logistik Deutschland (ASL) ausdrücklich nicht am Mindestlohn, "denn Spedition und Logistik sind keine Niedriglohnbranche", stellen diese klar.

Tarifautonomie werde beschädigt

Der Ärger entzündet sich daran, dass die Tarifautonomie beschädigt und die Generalunternehmerhaftung für Auftraggeber verschärft werde. Letztere berge nun ein inakzeptables Risiko beim Abschluss von Werk- und Dienstverträgen, so der DSLV. "Es ist nicht nachzuvollziehen, warum ein gewissenhafter Auftraggeber die Verantwortung dafür übernehmen muss, dass in der gesamten Nachunternehmerkette (…) der Mindestlohn gezahlt wird", kritisiert DSLV-Hauptgeschäftsführer Frank Huster. Beide Verbände hatten sich nach eigenen Worten vehement für die Beibehaltung der Exkulpationsmöglichkeit (Schuldbefreiung) für Auftraggeber eingesetzt.  

Der Arbeitsrechtler Thomas Röll, der auch stellvertretender Geschäftsführer des Speditions- und Logistikverbands Hessen/Rheinland-Pfalz ist, sieht dem Mindestlohngesetz etwas gelassener entgegen. "Ich glaube nicht, dass auf die Speditionen größere Kosten zukommen", sagte er auf Anfrage von trans aktuell. Zwar sei der Exkulpationsparagraf kurz vor der Verabschiedung des Gesetzes gestrichen worden, sodass nun das Arbeitnehmerentsendegesetz gelte. Der Paragraf hätte es Firmen ermöglicht, sich bei einem Subunternehmer schriftlich versichern zu lassen, dass er seinen Mitarbeitern den gesetzlichen Mindestlohn bezahlt. Und das reichte aus. "Nun hat der Auftraggeber keine Chance mehr, sich abzusichern", bedauert Röll – und zwar gegenüber allen Sub-Subunternehmern. Möglich sei, sich neben einer schriftlichen Erklärung auch die Lohnabrechungen zeigen zu lassen und entsprechend zu handeln. Ob das ausreicht, wird sich zeigen.

Mindestlohn gilt für alle

Der Mindestlohn gilt für alle Unternehmen, die in Deutschland fahren – selbst wenn die Fahrer einen anderen Pass haben und im Ausland angestellt sind. Doch was droht eigentlich einem Unternehmen, dessen Aufträge von Subunternehmer ohne Mindestlohn-Bezahlung abgearbeitet werden? "Der Mitarbeiter könnte den Spediteur auf Bezahlung der Differenz verklagen", sagt Röll. Auch die Deutsche Rentenversicherung könnte auf Zahlung der Sozialbeiträge bestehen, befürchtet er. "Je nach Umfang und Dauer des Auftrags kann das teuer werden", sagt der Rechtsanwalt.

Sozialversicherungsbeiträge sind auf das arbeitsrechtlich zustehende Entgelt zu entrichten und auf Basis des gesetzlichen oder tarifvertraglichen  Mindestlohns berechnet, teilt Dirk Manthey von der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Bund auf Anfrage mit. Unterschreitet das tatsächlich gezahlte Entgelt den Mindestlohn, werden trotzdem Sozial­versicherungsbeiträge auf Mindestlohnniveau fällig. "Im Rahmen von Betriebsprüfungen werden gegebenenfalls fehlende Beiträge per Bescheid nachgefordert", bestätigt Manthey. Allerdings nicht vom Spediteur selbst, sondern direkt vom Subunternehmer, da nur zwischen ihm und dem Arbeitnehmer ein Arbeitsverhältnis bestehe.

Betroffen sind Unternehmen aus den neuen Bundesländern

Betroffen von der Gesetzesänderung sind laut Anwalt Röll vor allem Unternehmen aus den neuen Bundesländern, die teilweise einen sehr niedrigen Tariflohn haben oder wo keine Tarifbindung besteht. Für sie gelten die 8,50 Euro Stundenlohn auch bereits ab 2015 – ein Aufschub ist nicht möglich, da dieser nur für bundeseinheitliche Tarifverträge besteht. In der Speditionsbranche gelten jedoch Landestarifverträge.

"Öffentliche Hand aus der Verantwortung genommen"

Bei den Möbelspediteuren sorgt hingegen ein anderes Thema für Wallungen: "Die öffentliche Hand wurde mit diesem Gesetz wieder einmal aus der Verantwortung genommen" kritisiert Dierk Hochgesang, Geschäftsführer des Bundesverbandes Möbelspedition und Logistik (AMÖ). Ihn ärgert an der geltenden Vergabepraxis, dass bei öffentlichen Ausschreibungen im Regelfall der billigste Anbieter zum Zuge komme. Dabei schreibt der Paragraf 97, Absatz 5 des Gesetzes gegen Wettbewerbsgeschränkung nur vor, dass der wirtschaftlichste Anbieter zum Zug kommt.

Die Politik hätte mit dem Mindestlohngesetz zeigen können, dass der Staat sich selbst der Verantwortung stellt, bedauert der AMÖ-Chef. "Bei Auftragsvergaben durch öffentliche Dienststellen hätten diese zukünftig nicht mehr von der Praxis der Billigstvergabe profitieren dürfen, wenn ein eingesetztes Unternehmen den Mindestlohn nicht bezahlt", fordert die AMÖ. Ob das Arbeitnehmerstärkungsgesetz tatsächlich eine Last für die Unternehmen ist, wird sich noch zeigen. 




Das Gesetz

Am 5. Juni wurde das Tarifpaket der großen Koalition in erster Lesung im Bundestag beraten und am 11. Juli im Bundestag beschlossen. Damit soll die Grundlage für die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns in Höhe von 8,50 Euro pro Stunde ab dem Jahr 2015 geschaffen werden. Der Antrag der Linken Fraktion, den Mindestlohn auf zehn Euro aufzustocken, wurde mehrheitlich abgelehnt. Eine Ausnahme gilt für Tarifverträge mit niedrigeren Brutto-Stundenlöhnen. Sie gelten bis Ende 2016 weiter, sodass der Mindestlohn uneingeschränkt erst ab Januar 2017 voll greift. Eine Mindestlohnkommission entscheidet jährlich über die Anpassung des Mindestlohns, die ab 1. Januar 2018 erstmals erfolgen kann.

So wird kontrolliert

Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls wird ab Januar 2015 auch die Einhaltung der Verpflichtungen nach dem Mindestlohngesetz prüfen. Dies wird – wie auch die Prüfung der Einhaltung der Mindestlohn-Verpflichtungen nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz oder dem Arbeitnehmer-Überlassungsgesetz – im Rahmen der üblichen Prüfungen nach dem Schwarzarbeits-Bekämpfungsgesetz erfolgen.  Wer als Arbeitgeber gegen das Mindestlohngesetz verstößt, muss mit einer Geldbuße bis zu 500.000 Euro rechnen, wie eine Sprecherin des Bundesfinanzministeriums auf Anfrage von trans aktuell erklärt. "Daneben sieht das Mindestlohngesetz weitere Geldbußen vor, etwa bei unterlassenen Meldungen oder nicht vorgehaltenen Unterlagen."

Für Arbeitnehmer gilt: Unabhängig vom Mindestlohngesetz können sie – auf Wunsch
anonym, aber auch namentlich – der Finanzkontrolle Hinweise auf mögliche Rechtsverletzungen ihres Arbeitgebers geben. "Regelmäßig wird diesen Hinweisen nachgegangen", sagt die Sprecherin. Die zivilrechtliche Durchsetzung des Lohnspruchs falle jedoch nicht in den Zuständigkeitsbereich der Finanzkontrolle Schwarzarbeit – das muss der Arbeitnehmer selbst durchkämpfen, im Zweifelsfall mit anwaltlicher Hilfe.

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