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Mindestlohn Löchrig wie ein Schweizer Käse

Lkw und Pkw auf einer Autobahn Foto: Alev Atas/ETM

Auf Transitfahrten durch Deutschland wird zunächst kein Mindestlohn fällig. Fraglich ist auch, ob die darüber hinausgehende Anwendung des Gesetzes europakonform ist.

Tags zuvor hatte sie noch einen flächendeckenden Mindestlohn ohne Schlupflöcher propagiert, aber der Druck aus Osteuropa und unbequeme Fragen der EU-Kommission haben Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) zurückweichen lassen. Transitfahrten sind jetzt vom Mindestlohn erst einmal ausgenommen, es muss geklärt werden, ob die Regelung mit europäischem Recht vereinbar ist. Und da gibt es in Brüssel offenbar erhebliche Zweifel. Die EU-Kommission hat nach Beschwerden anderer EU-Staaten mit dem sogenannten Pilot-Verfahren eine Prüfung des seit dem 1. Januar gültigen Gesetzes eingeleitet, die in ein Vertragsverletzungsverfahren münden könnte.

Deutschland muss Stellung nehmen

Deutschland wird noch in diesem Monat zu den Fragen Stellung nehmen müssen. "In diesem Zusammenhang möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, dass aus Sicht der Bundesregierung die derzeitige Regelung konform mit EU-Recht ist", sagte Nahles nach einem Gespräch mit ihrem polnischen Amtskollegen Władysław Kosiniak-Kamysz in Berlin und begründete ihren Rückzieher mit  einem "Zeichen guter Nachbarschaft". Da hatte aber Polens Regierungschefin Ewa Kopacz schon längst mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gesprochen, und beide waren übereingekommen, dass sich die Fachminister des Themas annehmen sollten.

"Jetzt ist der Ball im Feld der EU"

Kopacz macht sich vehement für die Interessen der heimischen Transportbranche stark. Das Land, dass sich den Löwenanteil am internationalen Straßengüterverkehr gesichert hat, hatte sich an die Spitze einer Gruppe von osteuropäischen Staaten gesetzt, die gegen den deutschen Mindestlohn von 8,50 Euro Sturm gelaufen waren. "Polen hat getan, was es konnte, jetzt ist der Ball im Feld der EU", sagte sie.

Es finden keine Kontrollen statt

Bis zum Abschluss der Untersuchungen können die Transit-Transporteure aus dem Ausland nun erst einmal aufatmen, denn es finden keine Kontrollen statt, es wird keine Ordnungswidrigkeitsverfahren geben, eventuell bereits laufende Verfahren werden eingestellt.  Außerdem müssen keine Meldungen und Einsatzpläne abgeliefert oder Aufzeichnungen erstellt werden. Die Aussetzung des Mindestlohns gilt allerdings nicht für Kabotage-­Fahrten und nicht für den grenzüberschreitenden Verkehr mit Be- oder Entladung in Deutschland.

Einiges an Ärger um das neue Gesetz hätte sich das Arbeitsministerium ersparen können. Zu knappe Vorbereitungszeiten und mangelhafte Informationen über Kontrollen und Pflichten zur Dokumentation haben die Betroffenen wohl erst so richtig aufgebracht. So erfuhr trans aktuell, dass die deutschen Botschaften erst am Tag des Nahles-Rückzugs angewiesen wurden, die EU-Partner umfassend über die Neuerungen in Kenntnis zu setzen. Versuche, über das Internet an Informationen zu kommen, gleichen einem Hindernislauf, fremdsprachige Formulare gibt es nicht, eine Registrierung per Fax erscheint Verbänden wie Clecat oder der internationalen Straßentransportunion (IRU) vorsintflutlich.

Keine Benachteiligung deutscher Unternehmen

Mathias Krage, Präsident des Deutschen Speditions- und Logistikverbands (DSLV), verlangte, dass die jetzige Aussetzung der Kontrollen nicht zu einer Benachteiligung deutscher Unternehmen führen dürfe. Vor dem Hintergrund der Auftraggeberhaftung sei es für die Unternehmen der Speditions- und Logistikwirtschaft von besonderem Interesse, dass Rechtssicherheit herrsche. "Sie müssen verlässlich wissen, bei welchen internationalen Verkehren der ausländische Arbeitgeber deutschen Mindestlohn schuldet", verlangt Krage.

BGL wurde nicht zum Gesetz angehört

Für den Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL), Prof. Dr. Karlheinz Schmidt, war es von vornherein unsinnig, den reinen Transit in das Mindestlohngesetz einzubeziehen. "Ausländische Fahrer können in Deutschland niemanden verklagen, um den Mindestlohn durchzusetzen, und der Gesetzgeber hat keine Möglichkeit, eine Ordnungswidrigkeit zu vollstrecken, weil diejenigen, die den Transport veranlasst haben, auch nicht in Deutschland sind", sagt er gegenüber trans aktuell. Die gegenwärtige missliche Lage sei auch darauf zurückzuführen, dass Fachverbände wie der BGL bei der Anhörung zum Gesetz nicht konsultiert worden seien.

Mindestlohn als "Teil einer Reihe von Maßnahmen"

Die Europäische Transportarbeiter-Föderation (ETF) interpretiert die Anwendung des Mindestlohns auf Transitfahrten als "Teil einer Reihe von Maßnahmen, die die Bundesregierung ergriffen hat, um das massive Phänomen des Sozialdumpings anzugehen". Solange die Europäische Kommission dabei versage, die kritische soziale Situation und Arbeitslage in der Branche durch bindende Regelungen zu verbessern, würden die Mitgliedstaaten weiter natio­nale Lösungen suchen. Das Gesetz stelle sicher, dass hierzulande angesiedelte Unternehmen, die der Mindestlohnpflicht unterliegen, nicht unterlaufen werden können, sagt Verdi-Sprecher Jan Jurczyk auf Anfrage.

Sind Kabotage-Fahrten mindestlohnpflichtig?

Einig sind sich der Gewerkschafts- und die Verbandsvertreter in der Einschätzung, dass es für die Branche kritisch wird, wenn der Mindestlohn für ausländische Fahrer grundsätzlich wegfiele. Denn es geht nicht nur um den Transit. Die EU-Kommission bezweifelt auch, ob Verkehre, bei denen der Auftraggeber nicht in Deutschland sitzt, oder Kabotage-Fahrten überhaupt mindestlohnpflichtig sind. Sollte sich diese Sichtweise durchsetzen, sieht BGL-Mann Schmidt große Probleme für das deutsche Transportgewerbe: "Dann können viele hier einpacken." Gerade kleine Unternehmen könnten es sich nicht leisten auszuflaggen.

Eine bessere europäische Regelung gefordert

Schmidt fordert bessere europäische Regelungen ein. Die Europäische Kommission müsste grundsätzlich genau festlegen, was Dienstleistungsfreiheit bedeute, sagte er. Auch wenn man im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit das Lohn- und Sozialkostengefälle nutze, dürfe sie nicht im Widerspruch zur Niederlassungspflicht stehen. "Das heißt, immer dann, wenn Transporte aus Deutschland organisiert werden, die Fuhrparks überwiegend in Deutschland eingesetzt werden, dann ist das keine Frage der Dienstleistungsfreiheit mehr, sondern muss in die Niederlassungspflicht führen."







EU-KOMMISSION fragt nach

Die deutschen Behörden sollen erläutern, "welches überwiegende öffentliche Interesse es rechtfertigt, dass ausländische Verkehrsunternehmen, insbesondere solche, die Deutschland ohne Be- oder Entladung durchqueren und in der Regel keine Dienstleistungen für in Deutschland tätige Parteien erbringen, das deutsche Mindestlohngesetz einhalten müssen". Das fordert die EU-Kommission. Aber auch den grenzüberschreitenden Straßenverkehr mit Ausgangspunkt oder Ziel innerhalb Deutschlands sowie Kabotage-Fahrten innerhalb Deutschlands hat die Kommission im Visier. Einige dieser Verkehrsleisten fielen möglicherweise unter das Entsendegesetz, und hier dürften die Mitgliedstaaten nur Verwaltungsanforderungen und Kontrollmaßnahmen vorschreiben, "die notwendig sind, um eine wirksame Überwachung der Einhaltung zu gewährleisten".

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