Migranten Auf der Flucht

Foto: Fotolia, Andrea Lehmkuhl

Das Flüchtlingsdrama spitzt sich zu. Davon betroffen ist auch die Logistikbranche. Schleuserbanden missbrauchen zunehmend Lkw-Transporte für ihre Zwecke und schmuggeln Flüchtlinge als blinde Passagiere an Bord.

Vergogna! Eine Schande sei es, eine Schande für Europa. Harte Worte wie diese sind aus dem Mund eines Kirchenoberhaupts eher ungewöhnlich. Doch Giusi Nicolini ist Papst Franziskus dafür dankbar. Überhaupt ist die Bürgermeisterin der kleinen italienischen Inseln Lampedusa und Linosa dem Argentinier dankbar, dass er sich des Flüchtlingsdramas im Mittelmeer annimmt. Er ist kaum zwei Monate im Amt, da führt ihn seine erste offizielle Reise im Juli 2013 bereits nach Lampedusa.

Die Bilder gehen um die Welt – die Messe auf dem kleinen Sportplatz ebenso wie die Kranzniederlegung über die Reling eines Schiffes der Küstenwache. Der Papst betet für die Tausenden von Afrikanern, die in der Hoffnung auf ein besseres Leben Schleusern ihre gesamten Ersparnisse vermachen und in überfüllte, seeuntüchtige Kähne oder Schlauchboote steigen. Das Ziel: Europa beziehungsweise Lampedusa als südlichster Punkt Italiens, eine Insel, die näher an Afrika als an Europa liegt. Viele der Kähne kentern. Besonders drastisch ist der Schiffbruch am 3. Oktober 2013, bei dem 365 Menschen ertrinken. Bis Lampedusa war es nicht mehr weit.

Das Mittelmeer ist ein Friedhof geworden

"Das Mittelmeer ist ein Friedhof geworden", sagte Nicolini vor kurzem bei einer Debatte zum Thema Flüchtlinge in Stuttgart. Der Besuch des Papstes habe dazu beigetragen, dass die verzweifelte Lage der Migranten den Europäern ins Bewusstsein gerückt sei. Das Schweigen sei gebrochen. Dafür ist sie Franziskus dankbar.

Lampedusa ist zum Inbegriff des Flüchtlingselends und zum Symbol für das Scheiterns der EU-Migrationspolitik geworden. Denn nicht nur Lampedusa und Italien tun sich schwer, der Situation Herr zu werden. Die gesamte EU ist angesichts der gewaltigen Flüchtlingsströme und des Ausmaßes an organisiertem Schleusertum überfordert. Die Migranten bleiben auch meist nicht in Italien und den überfüllten Flüchtlingscamps. "Dort herrschen Verhältnisse wie in Afrika", sagt ein Nigerianer, der in Stuttgart gestrandet ist. Also zieht es die Migranten weiter – nach Deutschland, Benelux oder Skandinavien, meist erneut mit der Hilfe von Schleusern.

Freilich kommen die Syrer, Eriträer oder Nigerianer nicht nur auf dem Seeweg nach Italien. Ebenfalls stark genutzt wird laut Bundesministerium des Inneren die ostmediterrane Route von der Türkei nach Griechenland. Das zeigen Beobachtungen am Hafen in Patras. Dort warten junge Männer auf den günstigen Moment, um über die Zäune zu klettern und an Bord eines Aufliegers auf die Fähre nach Triest zu kommen.

Die alpine Region ist es denn auch, die das Innenministerium als Drehkreuz für die Binnenmigration identifiziert hat – gemeint sind Norditalien, Österreich, die Schweiz und Süddeutschland. "Insbesondere die Stadt Mailand ist Dreh- und Angelpunkt für unerlaubt reisende Migranten", teilt das Ministerium gegenüber trans aktuell mit. Unfreiwillig sind damit auch die im grenzüberschreitenden Verkehr im Mittelmeerraum und über die Alpen tätigen Speditionen mit dem Flüchtlingsthema konfrontiert.

Intensive Kontrollen der Lkw-Ladeflächen beziehungsweise Container

So auch der Logistikdienstleister Dachser, der mit eigenen Landesgesellschaften in den Maghreb-Staaten vertreten ist und mit Partnern in Griechenland, Türkei und Italien zusammenarbeitet. "Um Menschenschmuggel zu unterbinden, führen wir intensive Kontrollen der Lkw-Ladeflächen beziehungsweise Container durch", heißt es aus dem Unternehmen. "Vor allem arbeiten wir langfristig mit gut ausgebildeten eigenen Fahrern und vertrauenswürdigen Transportunternehmen zusammen."

Auch bei Militzer & Münch (M&M) werden Vorsicht und Wachsamkeit groß geschrieben.  "Die Sicherheit von Prozessketten steht im Vordergrund, daher werden besonders in Nordafrika unsere operativen Transportprozesse einer ständigen Überwachung unterzogen", erläutert Geschäftsführer Sven-Boris Brunner gegenüber trans aktuell. Alle Beteiligten in der Logistikkette würden in die Sicherheitskonzepte einbezogen. "Das fängt beim Lkw-Fahrer an und hört bei den Lagermitarbeitern auf." Wichtig sei, dass alle hinter dem Sicherheitskonzept stünden. Das Unternehmen ist in Marokko, Algerien, Tunesien, aber auch der Türkei sowie in Griechenland und Bulgarien mit eigenen Landesgesellschaften präsent.

Besondere Aufmerksamkeit bekommen die Fahrer. Sie werden geschult, den Verlockungen der Schleuser zu widerstehen. "Es gibt zusätzliche Prämiensysteme für Fahrer, wenn sie sicher und ohne Unregelmäßigkeiten ihre Fahraufträge ausführen", sagt Brunner. Der M&M-Mann bezweifelt, dass sich die Flüchtlingssituation bald entschärfen wird. "Es geht um sehr komplexe Konflikte im Nahen Osten, die wir als Europäer sehr ernst nehmen müssen."

Vorsicht ist auch auf der Schiene geboten

Vorsicht ist nicht nur bei Straßentransporten, sondern auch auf der Schiene geboten. So traf die Bundespolizei die Hälfte der illegal einreisenden Migranten voriges Jahr hierzulande in Zügen oder auf Bahnanlagen an. Auf rund ein Fünftel wurde sie in Autos aufmerksam, auf zwölf Prozent in Flugzeugen, auf acht Prozent in Bussen und auf zwei Prozent in Lkw. Dort sind die Flüchtlinge meist als blinde Passagiere an Bord.

Schaut man sich die absoluten Zahlen an, fallen aber auch diese zwei Prozent ins Gewicht. Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wurden im vergangenen Jahr 202.834 Asylanträge in Deutschland gestellt. Das sind 60 Prozent mehr als im Vorjahr und der vierthöchste Stand überhaupt. Für 2015 rechnet das Bundesamt mit einem weiteren rasanten Anstieg auf etwa 230.000 Asylanträge.

Nicht ohne Grund wenden sich die Behörden daher auch an die Transport- und Logistikfirmen und deren Fahrer. Denn der Landweg nach Deutschland wird für Schleuser beliebter, wie der besonders drastische Fall vom 26. Oktober zeigt, als die Bundespolizei Konstanz auf der A 96 bei Wangen 22 auf der Ladefläche eines Transporters zusammengepferchte Syrer, darunter zwölf Kinder, entdeckte.

Was Berufskraftfahrer beachten sollten, um sich vor illegalem Schleusertum zu schützen, hat die Bundespolizei auf einer Taschenkarte zusammengefasst. "Kontrollieren Sie Ihr Fahrzeug vor Fahrtbeginn!", heißt es darin. "Stellen Sie Ihr Fahrzeug stets möglichst so ab, dass Sie es beobachten können!" und "Teilen Sie Anwerbungsversuche oder sonstige eigene Feststellungen bitte unverzüglich mit!"

Lkw vor Abfahrt in Augenschein nehmen

Die Polizei rät Fahrern dringend, den Lkw vor der Abfahrt in Augenschein zu nehmen. "Überwachungsergebnisse belegen, dass Schleuser in Einzelfällen die Geschleusten ohne Kenntnis des Fahrers auf dem Lkw platzieren und sich dabei Pausenzeiten zu Nutze machen", teilt das Innenministerium mit. Es fordert die Fahrer auf, sofort die Polizei zu informieren, wenn Personen auf dem Fahrzeug festgestellt oder vermutet werden. Auf keinen Fall weiterfahren, sondern auf die Polizei warten, lautet der Appell.

Verdacht einer Beihilfe zur unerlaubten Einreise

Es lässt sich nicht vermeiden, dass sich der Fahrer dann den Fragen der Beamten stellen muss. Denn wann immer die Bundespolizei auf Menschen ohne Papiere aufmerksam wird, die ins Bundesgebiet befördert werden, besteht der Verdacht einer Beihilfe zur unerlaubten Einreise oder des Einschleusens von Ausländern. "Der Verdacht erfordert weitere polizeiliche Maßnahmen zur Tataufklärung", heißt es. Vor allem gilt es zu klären, ob der Fahrer von den Personen wusste.

Schutzsuchende bei Registrierungsstelle absetzen

Das Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR rät gegenüber trans aktuell, sich der blinden Passagiere anzunehmen. "Wenn es möglich ist, den Schutzsuchenden in der Nähe einer Aufnahmeeinrichtung oder Registrierungsstelle für Asylverfahren abzusetzen, wäre das für den Schutzsuchenden am besten", erklärt es.

Giusi Nicolini hatte noch im November die Hoffnung geäußert, dass ihre Insel im Winter zur Ruhe kommen könnte. Mit Kähnen und Gummibooten ist das aufgewühlte Mittelmeer im Winter nur schwer zu bezwingen. Doch die Schleuser machen unbeirrt weiter. Vorige Woche kamen rund 300 Syrer ums Leben. Sie waren in Schlauchbooten von der afrikanischen Küste aufgebrochen.

Manövrierunfähige Schiffe ohne Sprit treiben über das Mittelmeer

Hinzu kommt, dass die Banden in ihrer Skrupellosigkeit immer neue waghalsige Möglichkeiten der Seepassage testen: Sie haben begonnen, ausgemusterte Geisterschiffe zu chartern – wie den knapp 50 Jahre alten Viehfrachter Ezadeen oder das rund 40 Jahre alte Handelsschiff Blue Sky M. Die Banden pferchen Hunderte Menschen darauf zusammen und schicken sie mit Autopilot in Richtung Italien. Die Schleuser selbst suchen frühzeitig das Weite und verlassen die manövrierunfähigen Schiffe ohne Treibstoff ihrem Schicksal. Der Papst hat das Wort Schande nicht ohne Grund gewählt.

Hohe Strafen für Schleuser

Wer wissentlich oder gegen Vorteile Ausländer illegal nach Deutschland befördert, muss mit hohen Strafen rechnen. Das Einschleusen von Migranten ist nach Paragraf 96 des Aufenthaltsgesetzes strafbar, sofern die betreffende Person im Gegenzug einen Vorteil erhält oder in Aussicht gestellt bekommt beziehungsweise sie wiederholt oder zugunsten mehrerer Migranten handelt. Darauf stehen Geldstrafen oder Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren. Sechs Monate bis zehn Jahre Haft blühen Menschen, die gewerbsmäßig handeln, Mitglied einer Bande sind, dabei Waffen mit sich tragen oder das Leben der Geschleusten gefährdet.

Gut geschützt

Die Bundespolizei erklärt in einer Taschenkarte, wie sich Fahrer und Firmen vor Schleusertum schützen können. Hier kommen Sie auf die Seite der Polizei.

Das Elend in Zahlen

202.834 Asylanträge wurden 2014 in Deutschland gestellt – ein Plus von 60 Prozent. Für 2015 rechnet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit 230.000 Anträgen.

100.000 Menschen hat die inzwischen ausgelaufene italienische Operation Mare Nostrum innerhalb eines Jahres bei 558 Einsätzen seit Oktober 2013 aus dem Mittelmeer gerettet.

2.600 US-Dollar zahlt ein Flüchtling im Durchschnitt für die gefährliche Überfahrt von Libyen nach Lampedusa. Dafür verschulden sich die  Familien oft über viele Jahre.

51,2 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Das ist der höchste Stand seit dem Zweiten Weltkrieg. Afghanistan, Syrien und Somalia  bilden die größten Herkunftsländer.

4 Sekunden – alle vier Sekunden ist nach Angaben des Uno-Flüchtlingshilfswerks UNHCR weltweit ein Mensch gezwungen, vor Krieg und Verfolgung zu fliehen.

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