Mannheimer Initiative gegen Lkw-Unfälle Hoffnung auf Max 80

Jan Bergrath Foto: Jan Bergrath
Meinung

Ablenkung am Steuer ist laut Verkehrspolizei Mannheim ein erheblicher Grund für die Zunahme der schweren Stauendeunfälle rund um das Kreuz Walldorf. Zehn Regeln zur Selbstverpflichtung sollen jetzt Berufskraftfahrer und Transportunternehmen für die Gefahr sensibilisieren.

„Wenn wir einmal die Chance haben, etwas zu tun, bevor etwas passiert, dann müssen wir sie auch nutzen“. Roland Koch ist Prokurist und Pressesprecher der Mannheimer Versicherungs AG. Neben Polizeidirektor Dieter Schäfer, Chef der Verkehrspolizei Mannheim, und Konrad Fischer, Geschäftsführer der Contargo Rhein-Neckar GmbH, ist er einer der Initiatoren der Selbstverpflichtungsinitiative "Hellwach mit 80 km/h", über die ich bereits berichtet habe.

Sie wurde im März 2018 von Mitgliedern des Hafenclubs Mannheim nach einer Reihe von schweren Lkw-Unfällen gegründet. Neben lokalen Logistikunternehmen haben mittlerweile auch der Bundesverband Güterverkehr, Logistik und Entsorgung, BGL, sowie der Verband Spedition und Logistik Baden-Württemberg, VSL, ihre Unterstützung zugesagt. Offizieller Startschuss der Kampagne war am 19. Juli im Mannheimer Hafen, wo auch der Sympathieträger der Initiative, die Figur "Max 80" des Mannheimer Illustrators Karl Gärtner, vorgestellt wurde.

Deutliche Steigerung der Unfallzahlen

Denn die Metropolregion um die Städte Mannheim und Ludwigshafen mit dem zweitgrößten deutschen Binnenhafen unter Leitung der Contargo hat ein massives Problem: Es sind die baustellenbedingten Staus auf den Autobahnen A5 und A6, die sich am Kreuz Walldorf treffen. „Wir können immer noch keine Entwarnung geben“, sagt Polizeidirektor Dieter Schäfer. Die Dauerbaustellen auf der A5 und A6 fordern weiterhin einen hohen Unfalltribut. Auf dem Teilstück der A5 zwischen AS Kronau und Walldorfer Kreuz nahm allein die Zahl der Unfälle, an denen Lkw beteiligt waren, auf 38 zu. Im Vorjahreszeitraum war es noch 23. Dabei hatten 10 (6) Unfälle Personenschaden zur Folge, wobei 15 (9) Leichtverletzte, 3 (5) Schwerverletzte und 4 (0) Tote zu verzeichnen waren.

Auch auf dem Teilstück der A6 zwischen Autobahndreieck Hockenheim und der Baustelle bei AS Rauenberg zählte die Autobahnpolizei 35 (23) LKW-Unfälle, davon 10 (7) mit Personenschaden. Es wurden 9 (4) Personen leicht und 7 (5) Personen schwer verletzt. Zum Glück gab es keine Toten. In der Gegenrichtung, von der AS Sinsheim kommend, gab es 29 (13) Lkw-Unfälle, davon 7 (4) mit Personenschaden. Leicht verletzt wurden 4 (2) Personen, schwer verletzt 6 (4) Personen. Tote gab es auch hier nicht. Unabhängig von der Initiative fordert Schäfer immer wieder Blitzanlagen für Lkw-Fahrer, die sich den Staus nähern. „Nicht um Bußgelder einzutreiben“, sagt Schäfer, „sondern um die Fahrer einfach zu wecken.“

Ablenkung als Hauptursache

„Wir gehen davon aus, dass ein großer Teil der Unfälle am Stauende wegen eines akuten Aufmerksamkeitsdefizites bei den Fahrern passiert“, so Schäfer. Dafür sprechen laut Schäfer auch die Ergebnisse der temporären Schwerpunktüberwachungen zu fahrfremden Tätigkeiten bei Lkw-Fahrern. Allein an 17 Einsatztagen im April und Juni waren die Beamten des Verkehrskommissariats Walldorf mit dem besonders ausgerüsteten Wohnmobil des Polizeipräsidiums Karlsruhe auf Beobachtungsstreife. „Unter Berücksichtigung, dass jeder Kontrollvorgang etwa eine Stunde Aufwand bedeutet, haben unsere Beamten in 74 Einsatzstunden 66 Lkw-Fahrer dokumentiert, die mehrere Sekunden abgelenkt unterwegs waren. Und in einer Sekunde legt ein Lkw bei 80 Stundenkilometern rund 22 Meter zurück.“

Gefährliche Routine

Es habe sich unter den Fahrern eine gefährliche Routine eingeschlichen, warnte Schäfer. „Jeder glaubt, die Situation des peripheren Sehens mit dem gleichzeitigen Blick auf das Smartphone zu beherrschen.“ Das ist allerdings ein Trugschluss, wie auch ich immer wieder beschreibe. Denn mehrmals am Tag, besonders vor den baustellenbedingten Staus, gibt es eben diese eine verhängnisvolle Konstellation, deren Folge dann ein schwerer Unfall ist. Ein zwar etwas älterer aber nicht minder erschreckender Film des ADAC über einen Crashtest mit Pkw am Stauende, den Schäfer in Mannheim gezeigt hat, demonstriert die ungeheuerlichen Zerstörungskraft „nur“ eines 7,5 Tonners. „Bei einem 40-Tonner sind diese Kräfte noch viel stärker.“ Der Erste Bürgermeister Mannheims, Christian Specht, zuständig auch für die Feuerwehr, sprach von traumatischen Erfahrungen insbesondere für die Retter, die in solchen Fällen zum Unfallort gerufen werden.

Notbremsassistenten nur ein Teil der Lösung

„Rein technisch ließe sich die Gefahr durch den Notbremsassistenten wenn nicht verhindern so zumindest abmildern“, ist Schäfer überzeugt, was er bereits im Rahmen des "Talk am Truck" beim Truck Grand Prix am Stand des FERNFAHRER zum Ausdruck brachte. Doch die meisten an Stauende-Unfällen beteiligten Lkw, die seine Mitarbeiter rund um das Kreuz Walldorf untersucht haben, hatten überhaupt noch keinen Notbremsassistenten. Im FERNFAHRER 8/2018 des habe ich mich ausgiebig mit diesem Thema auseinandergesetzt.

Alle müssen gemeinsam an einem Strang ziehen

So setzt die Mannheimer Initiative auf die Selbstverpflichtung und hat nun zehn Regeln aufgestellt. „Kein Fahrer fährt absichtlich auf ein Stauende auf“, begründet Schäfer. „Die tödliche Gefahr am Stauende kann daher nur gelöst werden, wenn alle Beteiligten, also Fahrer, Unternehmen, die Wirtschaft und die Politik, gemeinsam an einem Strang ziehen. Wir müssen den Fahrern die tödliche Gefahr besser bewusst machen.“

Etwa 600 bis 700 Lkw kommen täglich allein zu den beiden Contargo-Terminals rechts und links des Rheins. Aus Geldmitteln der Mannheimer Versicherung werden nun zunächst 10.000 Handzettel gedruckt, später sogar in bis zu neun Sprachen. Contargo will sie an die Fahrer verteilen, und dazu seine rund 130 festen Frachtführer auffordern, dass sich deren Fahrer die Regeln auch zu Herzen nehmen.

Bei der Erfolgskontrolle leichter hat es Jochen Graeff, Geschäftsführer der gleichnamigen alteingesessenen Mannheimer Spedition, der seine Fahrer nun durch konkrete innbetriebliche Maßnahmen für das Thema sensibilisieren wird. Auch BGL und VSL denken darüber nach, wie diese zehn Regeln möglichst bald in Umlauf kommen können.

Zehn Regeln zur Selbstverpflichtung

„Ein verantwortungsvoller Fahrer verhält sich so, dass er in allen Verkehrssituationen weder sich, noch andere Verkehrsteilnehmer, noch seine Ladung gefährdet“, sagt Dieter Schäfer. Hier sind die zehn Regeln. Ich persönlich halte sie eigentlich für selbstverständlich.

1. Lenk- und Pausenzeiten stets einhalten, Pausen sinnvoll nutzen.

2. Nur dringende Telefonate führen und nur dann, wenn eine Freisprechanlage vorhanden ist. Jedes Telefonat lenkt ab.

3. Social Media Nutzung per Smartphone, Notebook, Tablet etc., wie Facebook, WhatsApp, SMS oder YouTube muss unterbleiben.

4. Dispositionen über Route, Routenänderung oder Auftragsbearbeitung nicht während der Fahrt vornehmen.

5. FahrerfremdeTätigkeiten wie Lesen, Kaffee kochen, Speisen zubereiten, Körperpflege, etc. sind mit einem sicheren Fahren unvereinbar und sind zu unterlassen.

6. Essen und Trinken während der Fahrt nur, wenn sichergestellt ist, dass die Konzentration auf den Verkehr nicht gestört wird.

7. Alkohol und sonstige die Reaktion und Konzentration beeinflussende Mittel, aber auch Medikamente, die das Fahren ausschließen, sind direkt vor und während den Fahrzeiten strikt untersagt.

8. Kleiderwechsel erst beim nächsten Parkplatz oder in der Pause vornehmen. Festes Schuhwerk tragen.

9. Wenn etwas herunterfällt, bei nächster Gelegenheit anhalten und es erst dann aufheben.

10. Max-Achtzig-Gebot: Ich halte mich - gerade auf Strecken mit Staugefahr und in Baustellen - korrekt an die vorgegebenen Geschwindigkeitsbegrenzungen. Ich halte Sicherheitsabstände und Überholverbote ein und bin hellwach.

Download Hier der Max 80-Flyer zum Herunterladen und Ausdrucken (PDF, 0,26 MByte) Kostenlos
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