Lohnentwicklung im Zeichen der Finanzkrise Harter Arbeit Lohn

Große-Vehne-LkW's Foto: Jan Bergrath

Speditionen suchen Fahrer. Trotzdem steigen die Löhne nur minimal. Denn die Kosten explodieren. Der Preiskampf im Gewerbe ist brutal.

Keine andere Frage beschäftigt Politik und Bürger derzeit mehr als die Auswirkungen der aktuellen Finanzkrise. Kippt der Euro oder übersteht die gemeinsame Währung von 17 europäischen Ländern am Ende die Wirtschafts- und Vertrauenskrise? Und das nur zwei Jahre, nachdem die Weltwirtschaft den letzten großen Crash überstanden hat.

Maßgeblich zwei Entwicklungen haben die Euroländer in Schieflage gebracht: Wirtschaftlich schwache Staaten aus Südeuropa, allen voran Griechenland, konnten sich durch den Beitritt zum Euro an den Finanzmärkten Geld zu sehr günstigen Zinssätzen leihen. Sie haben aber ihre maroden Haushalte nicht saniert, sodass die Schulden überhandnehmen. Große Banken, die diese Staatsanleihen halten, sind selbst ins Trudeln geraten, weil die Kredite nicht zurückfließen. Sie müssen finanziell gestützt werden. So kauft mittlerweile die Europäische Zentralbank (EZB) diese Staatsanleihen auf, damit Italien, Spanien, Portugal oder Griechenland nicht der totale Staatsbankrott droht.

Als stärkste europäische Wirtschaftsnation hat Deutschland bislang vom Euro profitiert. Der Export von begehrten Autos, Maschinen und Konsumgütern wurde auch dadurch befeuert, dass sich die Wirtschaft und Bürger der Importländer massiv verschuldet haben, um diese Produkte zu erwerben. Die hohen Summen, die Deutschland nun zur Rettung des Euro und als Garantie für die Rettungsschirme aufbringen muss, wurden in der Zeit, als der Export noch mächtig brummte, längst erwirtschaftet.

Doch nun gerät die Weltökonomie, auch aufgrund der Eurokrise, wieder ins Stocken. Zuletzt warnte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) davor, dass Deutschlands Wirtschaft im zweiten Halbjahr schrumpfen wird und dass sich die Lage noch verschlimmern könnte, sollte der Kampf gegen die Schuldenkrise am Ende scheitern. Der leichte Rückgang des Containerumschlags im Hamburger Hafen ist ein erstes Warnzeichen.

Die Löhne sollen sich verdoppeln

Was hat das alles mit deutschen Fahrerlöhnen zu tun? Sehr viel. Seit letztem November macht ein Satz des Präsidenten des Deutschen Speditions- und Logistikverbands (DSLV), Mathias Krage, die Runde, dass sich aufgrund des drohenden Fahrermangels die Löhne verdoppeln werden. In einem Interview relativiert er jedoch seine Prognose. Denn derzeit mehren sich die Anzeichen, dass die Löhne eher stagnieren werden. Deutlich höhere Vergütungen sind nur durchzusetzen, wenn die Transportunternehmen selbst eine bessere Umsatzrendite erzielen.

Die Marge liegt aber bei ein bis drei Prozent. Das ist seit vielen Jahren im Wettbewerb über den Frachtpreis die Realität im deutschen Gewerbe. Und immer mehr Unternehmen, auch namhafte, sind derzeit eher von Insolvenz bedroht, als dass sie die Löhne ihrer Mitarbeiter erhöhen könnten. Kein Wunder: Komplettladungen von Antwerpen bis ins Ruhrgebiet für 200 Euro sind an der Tagesordnung. Nur der billigste Anbieter erhält den Zuschlag.

Verlader, die selbst unter Preisdruck stehen, wechseln für zehn Euro den langjährigen Partner oder fordern diesen auf, selbst seinen Preis zu senken. Ein Spediteur aus dem Rheinland, der nicht genannt werden möchte, beschreibt es so: „Eine Papierfabrik hat sich von allen Transportunternehmern ein Angebot kommen lassen. Im Versand hängt eine Liste. Der billigste Frachtführer steht oben. Bei der Tourenvergabe werden die Unternehmen von oben nach unten abtelefoniert. Fakten wie gutes Equipment oder qualifizierte Fahrer zählen dabei nicht.“

Zu diesem grundsätzlich niedrigen Preisniveau gesellt sich eine Kostenexplosion. René Große-Vehne ist Geschäftsführer der gleichnamigen Spedition in Schwieberdingen, dazu in der GV Trucknet für rund 700 Lkw verantwortlich. Die Fahrzeuge sind unter anderem im Einsatz für die Automobil-, Paket- und Papierlogistik. „Rund 35 Prozent unserer Kosten sind Lohnkosten“, sagt Große- Vehne. „Das ist in der Transportbranche eine konstante Größe. Was uns große Sorgen bereitet, ist die Entwicklung der Energiekosten, insbesondere Diesel für die Lkw und Strom im Lagerbereich. Auch steigen wegen der zunehmenden Schadensquote im Transportgewerbe die Versicherungsprämien.“

Fahrstilprämie zu Sparzwecken

Aufgrund langfristiger Klauseln kann Große-Vehne die Steigerungen der Dieselpreise überwiegend an die Kunden weiterberechnen. Die Mautkosten sind auch kein Thema mehr. Außerdem akzeptieren die meisten seiner Kunden grundsätzlich, dass die Löhne für die Fahrer steigen müssen. „Allerdings klappt die Umsetzung in der Praxis noch nicht so richtig“, bedauert Große-Vehne.

„Wenn ich unseren Fahrern mehr Lohn bezahlen möchte, muss ich das in meine Preise einkalkulieren. Ich biete dann eine Linie zum Beispiel für 1.000 Euro an und verliere sie an einen Frachtführer, der die Tour für 900 Euro fährt, ohne eben seinen Fahrer besser zu bezahlen. Wir können die Löhne im Augenblick also nur erhöhen, indem wir an den Dieselkosten sparen. Deshalb führen wir jetzt eine Fahrstilprämie ein, die über die Telematik ermittelt wird.“ Große-Vehne hätte es leichter, die Frachtraten anzupassen, wenn sich die gesamte Branche an die Tariflöhne halten würde.

Er spricht von einem Oligopol mit unterschiedlicher Lohnstruktur: Viele Nachfrager, in diesem Fall Frachtführer, stehen wenigen Anbietern gegenüber. Das verschärft den Wettbewerb. Und Schuld sind nicht nur die Ausländer, wie es die Branchenverbände gerne darstellen. „In internationalen Verkehren drücken die Flotten aus Osteuropa in der Tat massiv auf die Preise“, so Große-Vehne. „Im nationalen Transport müssen wir uns dagegen an die eigene Nase fassen.“

Wie kommen Löhne überhaupt zustande? In turnusmäßigen Verhandlungen erzielt die Gewerkschaft Verdi in den Landesbezirken mit den Verbänden der Transportunternehmen Vereinbarungen, die sich in den Stundenlöhnen spiegeln. In der Regel gibt es nach der 40. Stunde einen Überstundenzuschlag von 25 Prozent. Laut Paragraf 21 a des Arbeitszeitgesetzes sind im Mittel von vier Monaten aber maximal 208 Stunden Arbeitszeit im Monat möglich – die aktuellen Tarifverträge richten sich danach. Das sind beispielsweise in Nordrhein- Westfalen für Kraftfahrer CE 2.269,48 Euro und für Berufskraftfahrer 2.348,83 Euro.

Das Problem: Nicht alle Transportunternehmen sind tariflich gebunden. Über das Verhältnis gibt es verschiedene Aussagen. Der Verband LBT in Bayern etwa spricht von 1.650 Mitgliedern. In seiner aktuellen Statistik weist das Bundesamt für Güterverkehr für Bayern aber 8.400 Unternehmen im gewerblichen Güterverkehr aus. Auf alle Tarifbezirke gerechnet sind die Mehrzahl der Betriebe nicht tarifgebunden, vor allem Kleinunternehmen mit bis zu fünf Fahrzeugen. Sie zahlen Löhne, die sie für angemessen halten – etwa nach einem internen Leistungsprinzip.

Einige Fahrer werden unter Tarif bezahlt

Natürlich gibt es in der Branche viele positive Beispiele. Andreas Normann aus Bendorf hat seine Flotte nach Zukauf eines Silotransportunternehmens jetzt auf 35 Fahrzeuge erhöht. Die Fahrer, die bei ihm beschäftigt sind und übertariflich bezahlt werden, schätzen vor allem den neuen Fuhrpark, das gute Arbeits- und Betriebsklima sowie den persönlichen Umgang der Geschäftsleitung. „Wir kümmern uns um unsere Leute, auch bei familiären Problemen“, so Normann. „Und einmal im Jahr stärken wir den Teamgeist auf dem Nürburgring.“

Doch aus einer Verdi-Umfrage im Oktober 2011 geht hervor, dass etwa 20 Prozent der Fahrer deutlich unter Tarif bezahlt werden, selbst wenn man nur die normale Vollzeitarbeit zugrunde legen würde. 50 Prozent verdienen zwischen 1.700 und 2.300 Euro. Lediglich acht Prozent liegen oberhalb von 2.900 Euro.

„Bei dieser Betrachtung ist zu beachten, dass etwa drei Viertel der teilnehmenden Fahrer einen Pauschallohn erhalten, in dem somit die ebenfalls zu bezahlenden Bereitschaftszeiten bereits enthalten sind“, so Pressesprecher Jan Jurczyk. „Nur 30 Prozent der Fahrer kennen überhaupt den für sie geltenden Tarifvertrag, 33 Prozent gaben an, dass für sie kein Tarifvertrag gelte. Genau hier offenbart sich das Dilemma des in vielen Speditionsunternehmen schlechten Organisationsgrades der Fahrer in einer ausgesprochen kleinteiligen Branchenstruktur.“

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